David Lynch Gefährliche Anbiederung an die Wissenschaft
„An der Transzendentalen Meditation (TM) reizte mich spontan die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität“ gesteht Regisseur David Sieveking, der selbst aus einer atheistischen Familie stammt. TM gibt sich betont unreligiös und bemüht sich darum, die Wirkung ihrer Meditation – insbesondere auch deren übernatürlichen Leistungen, wie den Maharishi-Effekt - wissenschaftlich zu belegen. Die zahlreichen Studien sollen jedoch zumeist von TM-Anhängern und -Nahestehenden durchgeführt worden sein, und werden von Fachleuten in ihrer Wissenschaftlichkeit stark angezweifelt.
Die grundlegende Meditationsform der TM-Bewegung, die einfache Mantrameditation, führt dennoch zweifelsohne zu messbaren Ergebnissen der Hirntätigkeit. Den Beleg dafür liefert der Neurologe und Meditationsexperte Professor Dr. Michael Persinger von der Laurentia University in Kanada, bei dem Sieveking unter neurologischer Beobachtung seine Meditation durchführt. Kritischer wird es hingegen, wenn TM von der Erleuchtung spricht, die durch die Meditation herbeigeführt werden soll. Völlig absurd wird es aber spätestens dann, wenn der Zuschauer von den höheren Zielen der Organisation erfährt: Nichts Geringeres als der Himmel auf Erden soll durch eine große Anzahl Yogischer Flieger herbeimeditiert werden und das an keinem geringeren Ort, als der Hauptstadt des Weltfriedens, einer eigens errichteten, aber weitestgehend leer stehenden Siedlung im Herzen Indiens.
Subjektiv, investigativ und sehr persönlich – der frische Stil des David Sieveking
Nicht nur inhaltlich überzeugt „David Wants to Fly“. Auch auf filmischer Ebene hat Regisseur David Sieveking einiges zu bieten.
Zunächst ist da die Perspektive. Höchst subjektiv steigt Sieveking in den Stoff ein, als er sein großes Vorbild, den berühmten Regisseur David Lynch glorifiziert und sich selbst zugleich als bisweilen uninspirierten Filmschaffenden portraitiert, der gerade eben erst die Filmhochschule abgeschlossen hat. An den Wänden seiner Wohnung, die noch immer den Eindruck einer Studenten-WG erweckt, hängen Poster wichtiger Werke David Lynchs: Eraserhead, The Elephant Man, Blue Velvet.
Je weiter Sieveking in seinem Werk voranschreitet, desto stärker kommt die Genialität dieses zunächst vermeintlich naiven Einstiegs hervor. Beeindruckend ist es, was der junge Filmemacher da zusammenträgt, an Schauplätzen und Interviewpartnern, wie es ihm immer wieder gelingt, zu den oberen Führungsspitzen der TM-Bewegung vorzudringen. Zugleich bröckelt der Mythos Lynch leise dahin. Nicht sein Werk, nein, der Mensch David Lynch. Mit seiner konsequenten Art, sich für die TM-Bewegung einzusetzen und sich zugleich gegen scharfe Kritik abzuschirmen macht sich Lynch unglaubwürdig. Wo er sich als prominente Person öffentlich für die TM-Bewegung einsetzt, muss er auch damit rechnen, unliebsame Fragen gestellt zu bekommen. Nur unter dem Vorbehalt aber, dass Sieveking ihm keine kritischen Fragen zu TM stellt, gewährt ihm Lynch am Ende ein letztes, zehnminütiges Gespräch.
Auf der Ebene der Erzählung sticht eine Besonderheit hervor. In seinen ansonsten stringent verfolgten roten Faden – die Suche nach der Wahrheit um die TM-Organisation und ihren Begründer Maharishi – spinnt Sieveking einen weiteren Subplot ein, nämlich seine Beziehung zu Marie. Dadurch, dass er immer wieder auf diese Beziehung zurückkommt und dabei den inhaltlichen Kernbereich seines Dokumentarfilms verlässt, fügt er deutliche Elemente des Beziehungsdramas hinzu. Ganz bewusst zeigt er Gefühle, die im engeren Sinne nichts mit dem Thema des Films zu tun haben und verleiht diesem dadurch eine emotionale, narrative Ebene, die über die Dokumentation im klassischen Sinne hinausgeht. Unsinnig ist dies aber keineswegs. Im Gegenteil übernimmt dieser Subplot mehrere wichtige Funktionen: Erstens ist die gesamte Dokumentation in der Form eines subjektiven Erfahrungs- und Erlebnisberichtes aufgebaut. Die private Erdung des Themas verleiht Sieveking ein notwendiges Maß an Authentizität. Zweitens zieht sich ein weiterer roter Faden durch den Film, nämlich Sievekings Weg vom jungen Absolventen der Filmakademie zum ernsthaften Filmemacher. Die Gespräche mit Marie bieten dieser filmischen Selbstreflexion den notwendigen Freiraum und ergänzen seinen dokumentarischen Kommentar aus dem Off. Drittens hat die Beziehung zu Marie ganz praktischen Nutzen für das Voranschreiten und die Begründung der Dokumentation – ob bei der Herstellung des ersten Kontaktes zu Lynch oder bei der kritischen Frage nach dem Sinn des Projektes an sich.
Auch wenn man sich als Zuschauer sicher sein kann, dass Sieveking die Meditation als durchaus wertvolle Praxis für sich entdeckt hat, so bleibt es ebenso wenig verborgen, dass er immer wieder einen satirischen Unterton einbaut. Bierernst und konzentriert sieht man ihn im Gespräch mit Würdenträgern und Lehrern des TM, die an ihm ihre überaus fragwürdige und bisweilen unfreiwillig komische Aufklärung und Fortbildung betreiben. Häufig erfolgt der Schnitt auf ihn als Interviewer in solchen Momenten, die trotz ihrer oberflächlichen Ernsthaftigkeit unweigerlich ein Schmunzeln ins Gesicht des Zuschauers treiben. Dazu kommen zahlreiche pointierte Kommentare und Szenen, wie beispielsweise die Ankündigung eines Treffens mit einem ehemaligen persönlichen Mitarbeiter Maharishis, der Sieveking vor seinem Treffen am Telefon angekündigt hatte, ihm etwas „sehr Wertvolles“ zeigen zu wollen. In einem genialen Schnitt sieht man plötzlich, wie die gesamte Leinwand von einem paar alten, ausgelatschten Holzsandalen bedeckt wird. Die wertvolle Habe des Mannes sind tatsächlich ein paar kaputtgelaufene Schuhe des Gurus Maharishi.
David Wants to Fly ist daher vieles zugleich: eine kritische (De-)Hommage an ein Idol, das filmische Tagebuch einer Selbstfindung sowie eine investigative Dokumentation über die Hintergründe und Machenschaften der TM-Bewegung.
Die Transzendentale Meditation und ein aufgeklärtes Weltbild
Die TM-Organisation selbst will weder Sekte noch Religion sein, das erklärt uns David Lynch. Ein Blick auf die deutsche Website der Organisation verrät stattdessen, dass TM sogar damit wirbt, dass Gläubige und Geistliche vieler Religionen TM praktizierten und dass viele Menschen berichteten, dass sich ihre Religion durch die TM-Technik sogar noch vertiefe.
Persinger hingegen spricht deutliche Worte: Für ihn entspricht TM einer neureligiösen Sekte. Die zahlreichen Aktivitäten der TM-Organisation führt er darauf zurück, dass Sekten immer etwas Neues bieten müssten, etwas exotisches, wie z.B. die Unbesiegbarkeitsvorstellung der TM. Ebenso hebt er die Teilhabe an einer Gruppe, inklusive der daraus entstehenden Gruppendynamik, hervor und schließlich auch das „Gimmick“ der angeblichen Wissenschaftlichkeit.
TM propagiert übersinnliche Ereignisse, die durch Meditation herbeigeführt werden sollen und „Maharishis Vedische Wissenschaft“ wird traditionell sogar „als vollständiges Wissen vom Leben und von den Naturgesetzen angesehen“, das der Guru persönlich in den vergangenen Jahrzehnten „in seiner universellen Vollständigkeit entdeckt und systematisiert“ hat. Ansichten, die sich mit einem vom ständigen Zweifel geprägten und sich seiner Vorläufigkeit der Erkenntnisse ständig bewussten wissenschaftlichen Weltbildes in keinster Weise vereinbaren lassen. Auch die vehemente Abschirmung gegen kritische Fragen und die Geheimniskrämerei in Bezug auf TM-Zeremonien und Prozeduren sprechen ihre eigene Sprache.
Aussteiger berichten sogar, dass TM seinen Anhängern bei Krankheit vom Gebrauch „westlicher“ Medizin abrät.
Geradezu erschreckend wirkt es da, dass gerade David Lynch eine Stiftung ins Leben gerufen hat, mit der er die Lehren des TM an die Schulen bringen möchte, um den Kindern dort den Zugang zur Transzendentalen Meditation zu ermöglichen. Persinger warnt im Film ausdrücklich davor, dass ein religiöser Glaube umso stärker ausgeprägt ist, je früher er erlernt wird. Im späteren Leben wirke sich das besonders bei emotionalen Entscheidungen aus, so Persinger, etwa bei Wahlen oder Eheschließungen. Unterstützt wurde Lynch bei einer Spendenveranstaltung für seine Stiftung, die Sieveking im Film besuchte, übrigens von zwei alten Bekannten: Paul McCartney und Ringo Starr. Wer sich beim Filmtitel also fragt, wohin der Flug von David (Lynch?) denn eigentlich gehen solle, dem kann man mit einiger Gewissheit und einem zwinkernden Auge antworten: David Wants to Fly to Lucy in the Sky.
Sascha Schmidt
„David Wants to Fly" (David Sieveking, Deutschland/Österreich/Schweiz 2010, 97 Minuten) wird noch bis Oktober in verschiedenen Kinos in Deutschland zu sehen sein. Eine DVD-Veröffentlichung ist für November vorgesehen.
Nachtrag: Ab 10.12.2010 läuft der Film auch in Österreich.