Heute startet der Film "Girls & Gods" in den deutschen Kinos. Femen-Aktivistin Inna Shevchenko reist durch die Welt und hinterfragt die patriarchalen Strukturen von Religion.
"Früher war ich Atheistin, bis ich merkte, dass ich Gott bin." An dieses Bonmot musste ich bei dem Film "Girls & Gods" von Inna Shevchenko denken. Ja genau, die Inna Shevchenko, die als Femen-Aktivistin 2012 das riesige Kruzifix, welches auf einem Hügel inmitten Kiews über der Stadt thronte, mit der Kettensäge fällte. Der Film startet – neben anderen eindrucksvollen feministischen Kunstwerken – mit eben dieser wunderbar plakativen Kastration des patriarchalen Monotheismus. Shevchenko musste daraufhin ihr Mutterland verlassen und genießt seit 2013 Asyl in Frankreich.
Im Film trifft sie zahlreiche prominente, säkulare Menschenrechtsaktivistinnen: Nadeschda Tolokonnikowa von Pussy Riot, die Schriftstellerin Taslima Nasrin, Maryam Namazie, die Gründerin des Council of Ex-Muslims oder Masih Alinejad, die die Kampagnen "My Stealthy Freedom" und "White Wednesday" im Iran initiierte. Wir sehen Mina Ahadi und Yasaman Aryani, die beeindruckende junge Frau, die 2019 gemeinsam mit ihrer Mutter und ohne Kopftuch weiße Nelken an Frauen in der U-Bahn Teherans verteilte, woraufhin beide zu 16 Jahren Haft verurteilt wurden.

Wir sehen der begnadeten Karikaturistin Corinne Rey (Coco) beim pinseln blasphemischer Zeichnungen zu. Wir lauschen der Sängerin Nicolle Rochelle (Modern Geaisha) und der Poetin Halima Salat, die "Ex-Muslim Somali Voices" gründete.
In den ersten 15 Minuten des Filmes begegnen uns ausschließlich Frauen, die sich ihr Recht auf ein freies Leben aus real existierenden, patriarchalen Theokratien heraus und unter Lebensgefahr erkämpft haben und weiter darum kämpfen. Masih Alinejad fragt: "Woran erkennt man einen Gottesstaat zuallererst? An den Frauen! Die religiöse Diktatur schreibt ihre Ideologie auf die Körper der Frauen."
Wir leiden mit Inna Shevchenko, wenn sie sich die enge Perücke orthodoxer Jüdinnen über den Schädel quetschen lässt. Und wir spüren die Erleichterung, wenn diese endlich wieder abgenommen wird. Die Perücken sehen von außen vollkommen natürlich aus, doch sie erinnern eine orthodoxe Jüdin permanent daran, dass sie verheiratet und somit nicht mehr frei ist. Sie ist der Besitz eines Mannes. Das soll sie nie vergessen.
Und da steht sie, die Frage, wie eine Elefantin im Raum: Warum um alles in der Welt, halten trotz klarer Misogynie, trotz offensichtlicher Abwertung und Missachtung immer noch so viele Frauen an den drei patriarchalen Monotheismen fest? Warum lässt die Hälfte der Menschheit nicht los, lacht und wendet sich von der Ideologie ab, die sie erniedrigt und knechtet?
Dieser Frage geht die Atheistin Shevchenko nach und geht auf sie zu: Auf die feministischen Theologinnen, die eine weibliche Version der Bibel verfassen. Auf muslimische und jüdische Theologinnen und Apologetinnen. Sie führt den Dialog mit katholischen Priesterinnen (ja, die gibt es wirklich), mit Seyran Ateş, der feministischen Imamin, mit Avigayil Halpern, der feministischen Rabbinerin, mit Abby Stein, der transidenten Ex-Rabbinerin und vielen weiteren Frauen.
Es ist vorbildlich, mit welcher Offenheit Inna Shevchenko ihren Dialogpartnerinnen samt ihrer religiösen Identitäten begegnet. Viele der Frauen sind ja auch der lebende Zweifel am religiösen Dogma. Priesterinnen, Imaminnen und Rabbinerinnen, die es nach ihrer Religion eigentlich gar nicht geben dürfte, sind ja schon eine kleine Revolution für sich. Aber bei Apologetinnen wie Khola Maryam Hübsch wird das Streitgespräch schon wesentlich anstrengender. Da ist keine Schnittmenge mehr erkennbar. Oder doch?
Ja, das ist die Botschaft ganz am Ende, wenn uns der Film mitnimmt in den Gottesdienst des Berliner Christopher Street Days. Wo Seyran Ateş uns den Schlusssegen mitgibt: "Liebe ist halal und kosher." Am Ende umarmen sich Shevchenko und Hübsch. Auch Maryam Namazie umarmt ihre muslimische Opponentin nach dem Streitgespräch. "Make love, not sharia!" Hinter aller Ideologie sind wir gleich, sind wir Menschen, sind wir Freundinnen.
Arash T. Riahi, Verena Soltiz: "Girls & Gods", Dokumentarfilm, Österreich 2025, 104 Minuten, FSK 12
Heute wird der Film auch im Rahmen des "Fillmfest FrauenWelten" mit Gästen in Berlin gezeigt.






