Eulen - beargwöhnte Spezialisten

BERLIN. (hpd) Als Kurator am Londoner Zoo erforschte Desmond Morris in den Fünfzigern die künstlerische Begabung des Schimpansen Congo. Sein Buch über das Tierische im Menschen, “Der nackte Affe”, machte ihn in den Sechzigern als populärwissenschaftlichen Autor weltberühmt. Nun hat er ein hinreißendes Buch über Eulen geschrieben.

Es ist ein Buch über voreilige Schlüsse und wider den Aberglauben geworden. Wegen ihrer geradeaus nach vorn gerichteten Augen sieht kein Vogel dem Menschen so ähnlich wie diese nächtlichen Greifvögel. Eulen scheinen ein Gesicht zu haben. Deshalb gelten sie in fast allen Kulturen als besonders weise. Weit gefehlt, so Morris in “Eulen”. Als höchst spezialisierte Jäger und einer der ältesten Vögel in Stammbaum der Evolution kommen sie mit viel weniger Intelligenz aus als die Generalisten unter den Gefiederten: die Raben, Elstern oder Häher, die mit den unterschiedlichsten Situationen fertig werden. Spezialisten müssen nicht schlau sein. Eulen dagegen sehen über dreißigmal besser als der Mensch und jagen immer nach demselben Schema.

Athene, die griechische Göttin der Klugheit, wurde vielleicht indessen nur deshalb mit der Eule assoziiert, weil sie eine Nachfahrin der eulenäugigen Fruchtbarkeitsgöttin aus Mesopotamien war und diese Ausdruck einer Vorstellung, nach der Mondzyklus, Nacht und Fruchtbarkeit irgendwie miteinander zusammenhängen müssen.

Weil sie nachts unterwegs sind, wurden die Eulen jedoch auch in allen Kontinenten mit Tod und Unglück in Verbindung gebracht. Ausnahmen scheinen nur die japanischen Ainu und die Mongolen zu machen, die sie verehren. In der Bronzezeit gab man den Toten in China noch kostbare eulengestaltige Kannen mit ins Grab. In Afrika aber werden sie oft, sobald man ihrer ansichtig wird, getötet, und verschiedene Maskeneulenarten, deren Augenränder wie mit Kajalstift geschminkt wirken, sind dort deshalb schon vom Aussterben bedroht.

Der “sueño” der Vernunft erzeugt nach Goya Ungeheuer, die auf einem seiner meist zitierten enblematischen Kupferstiche als Eulen den Schläfer bedrohlich umflattern. Ob mit “sueño” Schlaf oder Traum gemeint war, ist seither strittig.

Der 86-jährige Zoologe und einst auch Maler Desmond Morris, der in den Sechzigern Co-Direktor des Institute of Modern Art in London war, wo er zuvor, von allen großen Künstlern seiner Zeit vielbeachtet, Congos Werke erstmals präsentierte, zauberte mit “Eulen” vor allem ein kulturwissenschaftliches Werk aus den Notizen seines Zettelkastens hervor.

Die erste Eule der Kunstgeschichte begegnet uns mit den Fingern in den weichen Grund geritzt in der Höhle von Chauvet. Über 30.000 Jahre ist sie alt. Dürers Eule ist ihrer Zeit wiederum weit voraus: eine genaue Studie eines Jungvogels mit riesigen erschrockenen Augen. Noch Picasso malte immer wieder eine Eule, ein Käuzchen, das er sich als Haustier hielt, nachdem es ihm verletzt überreicht wurde. Der Jahrhundertkünstler liebte die Eule, weil er sich ob seines eigenen untrüglichen Blickes mit ihr identifizierte.

 


Desmond Morris: “Eulen. Ein Portrait”, Matthes & Seitz Verlag Berlin 2014, 168 Seiten 18 Euro