Evolution: Ein Lese-Lehrbuch



(hpd) Das Thema Evolution, die von Darwin begründete Evolutionstheorie, bewegt auch zu Anfang des 21. Jahrhunderts noch und immer wieder die Gemüter. Bücher pro und contra gibt es zuhauf, oft ideologisch aufgeladen. Insbesondere gilt das für die Wortmeldungen aus der christlich-fundamentalistischen und kreationistischen Ecke. Andererseits sind seriöse – populärwissenschaftliche – Abhandlungen hierzulande oftmals unbekannt und leider nicht selten zu wenig naturwissenschaftlich belegt. Das veranlasste die Herausgeber Burda und Begall, ein tschechisches Buch aus dem Jahre 2004 ins Deutsche zu übertragen (“Jak se dela evoluce – Wie man Evolution macht”).

Das seit 2009 also auch in Deutschland vorliegende Buch nennt sich bewusst ein “Lese-Lehrbuch”, denn es unterscheidet sich in vielen Punkten von einem klassischen Universitätslehrbuch. Hier geht es nicht nur um die Grundlagen der Evolutionsbiologie, sondern mehr noch darum (wie es der tschechische Originaltitel deutlicher sagt), wie Evolution “funktioniert” und was es bedeutet, über “die Evolution etwas zu wissen”. Es geht also auch um Methoden und Gedankenschritte, die zu den jeweiligen Schlußfolgerungen von Charles Darwin aber auch von Richard Dawkins oder Stephen J. Gould führten.

Das Buch gliedert sich in sieben Teile mit vielen relativ kurzen Unterkapiteln. Der überaus frische und oft auch gewollt provozierender Schreibstil wird durch ansprechende moderne Abbildungen illustriert und dadurch noch verständlicher. Das macht es als “Lesebuch” nutzerfreundlich, weckt Erstaunen, regt zum Nachdenken an und vermeidet ermüdende Langeweile. Typische Lehrtexte sind dagegen in Boxen (Kästen) zu finden. Hier wird der in den Lesetexten angesprochene Inhalt vertieft oder es finden sich darin Definitionen und Klassifikationen.



Jedem Kapitel sind Fragen vorangestellt, die auf die Inhalte hinweisen sollen, die aber auch dazu dienen können, über den eigenen Wissensstand nachzudenken. Und für Studenten gibt es an jedem Kapitelende noch prüfungsrelevante Verständnisfragen. Kurze Randtexte fassen gut sichtbar wichtige Aussagen auf einen Blick zusammen. Vervollständigt wird das ganze durch ein Glossar deutscher und englischer Schlüsselbegriffe sowie ein Verzeichnis weiterführender Literatur.


In der Einleitung geht es u.a. um “Geschichte, Evolution und Evolutionsgeschichten”. Gleich der erste “Kasten” beschäftigt sich mit dem grundsätzlichen Thema “Wissenschaft und Glaube”. Darin heißt es: “Unter Wissenschaft verstehen wir die systematische Suche nach neuen Erkenntnissen. (…) Die Stärke der Wissenschaft besteht nicht darin, dass man die aufgestellten Behauptungen verifizieren kann, sondern darin, dass sie so formuliert werden müssen, dass sie widerlegt werden können. (…) Ein Grundpfeiler des Glaubens besteht in dem Verbot, an den zu glaubenden Dingen zu zweifeln; indirekt wird damit auch deren Erforschung untersagt.” (S. 3)



Das zweite Kapitel ist der “Selektion” gewidmet; darin u.a. die Frage, warum die Evolution nicht zum Stillstand kommt. Mit der “Phylogenese” beschäftigt sich Kapitel 3. Hier lautet gleich die erste Frage “Wie entstand der Mensch? Oder Warum wir die Phylogenese brauchen”. Um “Evolutionäre Neuheiten” geht es im vierten Kapitel. Hier findet der Leser solche Fragestellungen, wie: “Wie entstanden die Wirbeltiere?”; “Gene und Evolution” oder “Die Evolution der Augen”. Das fünfte Kapitel geht auf “Adaptationen” ein. Mit “Vielfalt” ist Kapitel 6 überschrieben. Hier geht es um den Begriff der “Art”, um die “Artenvielfalt der Erde”, um “Die Rolle der Umwelt für die Evolution der Vielfalt” oder um “Die Entstehung der Arten und die sexuelle Selektion”.



“Zwei Epiloge” bilden das Kapitel 7. Der erste beschäftigt sich mit “Fortschritt, Evolution und (menschlicher) Geschichte. Dazu heißt es deutlich: ”Evolution wird oft fälschlicherweise mit Fortschritt gleichgesetzt. Sie hat aber kein Ziel und liefert nur die Lösung momentaner Probleme." (S. 432)

Der zweite Epilog ist überschrieben mit “Rätsel”. Ja, vieles wird ein Rätsel bleiben. Zumindest für lange Zeit… Dazu heißt es beispielhaft für Inhalt und Stil in dieses Lese-Lehrbuch: “Was passiert eigentlich, wenn wir die Stacheln der Purpurschnecke abbrechen und die Kauri-Schnecke blau streichen? - Wir wissen es nicht, wir haben keine Ahnung. Wir wissen nur, dass der Darwinismus in der Lage ist, alles zu erklären, und letztendlich irgendeine Erklärung bieten wird, wenn wir das Phänomen wirklich unter die Lupe nehmen würden. Dazu müssten wir aber wissen, wonach wir eigentlich genau fragen. (…) Wenn die Evolution letztendlich eine Geschichte ist, die den historischen Ablauf erklärt, müssen wir jede evolutionäre Betrachtung mit detaillierten Analyse dieser Historie beginnen. Staunen können wir dann immer noch.” (S. 439)

Ja, so funktioniert nicht nur Evolution, so funktioniert vor allem auch Wissenschaft!

Dieses außergewöhnliche Lese-Lehrbuch wendet sich nicht nur an Studenten der Biologie oder anderer natur- (und geistes-)wissenschaftlicher Fächer, sondern nicht minder an interessierter Laien. Denn es ist bei aller wissenschaftlichen Fundierung so angelegt, dass es auch Menschen mit Abitur oder mittlerer Reife ohne Schwierigkeiten lesen und nachvollziehend verstehen können. Das Buch ist darüber hinaus eine gute Argumentationsgrundlage für Menschen mit naturalistischer (materialistischer) Weltanschauung, für Anhänger des evolutionären Humanismus.

Und es ist ein sehr notwendiges Buch, denn religiöse Fundamentalisten jeglicher Couleur werden auch hierzulande immer militanter, wenn es darum geht, ihre biblische Schöpfungsgeschichte zur alleinseligmachenden Erklärung der Welt zu machen – in Kindergärten, Schulen, Medien, selbst im Hochschulbereich. Wobei sie sich nicht nur des Glaubens bedienen, sondern verstärkt auch der pseudowissenschaftlicher Methoden und Begriffe. Auch dazu mehr im vorliegenden Buch.




 


J.Zrzavý, D.Storch, S. Mihulka: Evolution – Ein Lese-Lehrbuch. Dt. Ausg. hrsg. v. Hynek Burda und Sabine Begall. 512 S. m. Abb. Hardcover. 2. vollst. überarb. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag. Heidelberg 2013. 39,99 Euro. ISBN 978–38274–1975–0