Transhumanismus

Paradiesische Heilsversprechen hinterfragen

Das Problem hierbei ist jedoch, dass der Transhumanismus ein ambivalentes, wenn nicht gar widersprüchliches Verhältnis zum Humanismus pflegt. Auf der einen Seite dient ihm dieser (und damit ist der säkulare Humanismus der Aufklärung gemeint) als Gegenschablone, von der er sich abgrenzt (und in dieser Abgrenzung selbst konstituiert), auf der anderen Seite sieht er sich in einer Kontinuität mit eben diesem Humanismus, indem humanistische Werte und Gedanken Bestandteile der “transhumanist values” sind: so z.B. das humanistische Erziehungs- und Vollkommenheitsideal, das Verständnis des Menschen als einem Vernunftwesen, die Idee der Selbstbestimmung, eine Wissenschaftsbefürwortung etc.. Fraglich bleibt dabei, nach welchen Kriterien der Transhumanismus humanistische Grundwerte verwirft bzw. übernimmt. Sein selektives Vorgehen – mal wendet er sich gegen ein vermeintlich humanistisches Denken, mal stützt er sich auf traditionelle anthropozentrische Grundannahmen -, bei dem er sich teils in verwirrende Widersprüche verstrickt, verhindert eine systematische Kritik am Humanismus, die für dessen Überwindung vonnöten wäre.

Betrachtet man die Werte und rechtsstaatlich verankerten Gesetze, die der Transhumanismus zu überwinden gedenkt, kommen einem weitere Zweifel ob der Rechtmäßigkeit dieser Forderungen. So fordert beispielsweise der Transhumanist Stefan L. Sorgner im Konkreten eine Revision des Begriffs der Menschenwürde im Deutschen Grundgesetz, insofern dieser “mit den Grundlagen einer liberal-demokratischen und pluralistischen Gesellschaft” nicht vereinbar wäre (Sorgner, 2010). Im Weiteren wird für die Aufhebung der – auf dem kantischen Instrumentalisierungsverbot beruhenden - Objektformel des Artikels 1, Absatz 1 GG plädiert. Zugleich negieren Transhumanisten die Existenz eines den Menschen kategorial auszeichnenden Merkmals und damit die Annahme einer Sonderstellung des Menschen. Damit argumentieren sie gegen ein menschliches Vorrecht im Sinne des Lebensschutzes und der Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit menschlichen Lebens. Statt als Selbstzweck bzw. Person (unverfügbar und unantastbar) geachtet und behandelt zu werden, wird der Mensch zu einem Mittel bzw. Sache (verfügbar und antastbar) degradiert und damit – hier liegt das Motiv derartiger Plädoyers – zu Forschungszwecken freigegeben.

Ob man diesen Plädoyers nun zustimmen möchte oder nicht, sei jedem selbst überlassen. Ist man mit ihnen nicht einverstanden, so bedarf es stichfester Argumente, die sich nicht allein auf ein Gewohnheitsrecht stützen dürfen. Dass dies nicht so einfach ist, beweist die gegenwärtige Debatte, die nicht nur den Ethikrat auf Trab hält, sondern auch die Philosophie, Kulturwissenschaften, Theologie und andere Disziplinen zu immer weiteren Publikationen reizt. Dabei bleibt zunächst unentschieden, ob und wenn ja inwieweit die Denkrichtung des Transhumanismus den Humanismus tatsächlich überwindet oder ob er dem humanistischen Paradigma letztlich doch verhaftet bleibt.

 


Literatur:

  • Esfandiary, Fereidoun M.: Optimism one. The emerging radicalism, New York 1970.
  • Fukuyama, Francis: Transhumanism. The World’s most dangerous Idea. In: Foreign Policy. The Global Magazine of News and Ideas, September 2004.
  • Luther, Martin: Disputatio contra scholasticam theologiam (1517), These 17.
  • Bostrom, Nick: Transhumanist Values. In: Adams, Fredrick (Hg.): Ethical Issues for the 21th Century, Charkottesville/Virginia 2003.
  • Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen. In: ders.: Kritische Studienausgabe, hg. v. G. Colli, M. Montinari, Bd. IV, Berlin/New York 1980.
  • Sorgner, Stefan L.: Menschenwürde nach Nietzsche. Die Geschichte eines Begriffs, Darmstadt 2010.

Anmerkung der Redaktion: Die Autorin war Teilnehmerin der wissenschaftlichen Tagung zum Transhumanismus des HVD.