Feuerbestattungen auf dem Zentralfriedhof Wien

Fast ein Vergnügen zu sterben

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Zentralfriedhof Wien
Zentralfriedhof Wien

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Grabstelle Christian Broda
Grabstelle Christian Broda

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Grabstelle Ernst Jandl
Grabstelle Ernst Jandl

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Grabstelle Max Weiler
Grabstelle Max Weiler

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Grabstelle Franz West
Grabstelle Franz West

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Grabstelle Ludwig v. Beethoven
Grabstelle Ludwig v. Beethoven

BERLIN. (hpd) Den Wienern sagt man ein besonderes Verhältnis zum Tod nach. "Die schöne Leich’" ist nicht nur ein aufwändiges Leichenbegräbnis, sondern auch Ausdruck einer Lebenshaltung: Der Tod ist unvermeidlich – also feiern wir ihn.

"Friedhofsbesuche", so schrieb der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard, "sind die nützlichsten, sie dienen wie nichts der Belehrung und der Beruhigung." Wer an trüben Wintertagen über den Wiener Zentralfriedhof schlendert, wird das ganz genauso sehen. 

Im zentrumsfernen Stadtbezirk Simmering gelegen ist dieser interkonfessionelle Friedhof ein weltweites Unikum. Am Tag der Eröffnung, dem 1. November 1874, fanden 13 Beerdigungen statt, wobei 12 Verstorbene aus Kostengründen in Gemeinschaftsgräbern bestattet wurden. Da der Zentralfriedhof in der k.u.k. Residenzstadt Wien anfangs so entlegen war, fühlten sich die Simmeringer Bevölkerung durch die häufigen Trauerzüge gestört. Im Winter blieben die Pferdewagen häufig im Schnee stecken. Pläne, die Särge per Straßenbahn, Schiff oder gar "als pneumatische Post" zu transportieren wurden als pietätlos verworfen. 

Bis 1921 gab es insgesamt sieben Erweiterungen des Friedhofareals, platzte die Stadt doch aus allen Nähten. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Friedhof durch schwere Bombenschäden stark in Mitleidenschaft gezogen. Heute präsentiert sich der Zentralfriedhof, einzig der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg ist größer, mit 2,5 Millionen Quadratmetern und rund 250.000 Grabstellen für nahezu 3 Millionen Menschen als eine bedeutende Begräbnisstelle für alle Religionen und Weltanschauungen. Derzeit finden hier täglich 20 bis 24 Beerdigungen statt. Aus einer anfangs heftig kritisierten baum- und strauchlosen Ebene ist eine der europaweit schönsten Parklandschaft geworden. 

Nirgendwo erfährt man mehr über Wien 

Ein attraktiver Anziehungspunkt für die Besucher des Zentralfriedhofs ist die Ehrengräberanlage. Die mittlerweile rund 950 Ehrengräber, ob Dichter, Maler, Schauspieler, Erfinder, Wissenschaftler, Sportler oder Politiker, sie alle bilden einen Querschnitt durch das gesellschaftliche Lebens Wiens bis in die jüngste Gegenwart. 

Ehrengräber haben auch "unsterbliche" Musiker wie Beethoven, Schubert, Brahms, Strauß bis hin zu Falco. Auch wenn manche von ihnen keine gebürtigen Wiener waren, so machten sie Wien mit ihrer Musik weltberühmt. Es verwundert daher nicht, dass hier neben dem Denkmal von Mozart (er ist allerdings auf dem St. Marxer Friedhof beerdigt) immer wieder Briefe von Verehrern niedergelegt werden. Sogar die Post liefert die Zuschriften aus. Adresse: Central Cemetery, Vienna.
 
Durch das Tor 3 des Zentralfriedhofs gelangt man in den Park der Ruhe und Kraft, einem Landschaftspark, der in sechs unterschiedlich gestalteten Themenbereichen gegliedert ist und dazu einlädt, Trauer abzuladen, körperliche und psychische Blockaden zu lockern und neue Kräfte zu sammeln. Nicht weit entfernt findet der Besucher den Waldfriedhof. Ein Areal von fast 10.000 Quadratmetern mit altem Baumbestand, vorrangig Ahorn und Esche, bietet Stille, Trost und Besinnung. Hier bilden 36 Bäume ein Bestattungszentrum. Rund um diese Bäume sind symmetrisch 12 Urnengräber angelegt. Jede Grabstätte ist in ein Verzeichnis eingetragen, so dass die Angehörigen einen Ort des Gedenkens haben. 

130 Jahre Feuerbestattung in Wien 

Gegenüber dem Zentralfriedhof liegt das Krematorium Simmering, das im Dezember 1922 feierlich eröffnet wurde. Bereits 1874 hatte der Wiener Arzt Eligius Hacker mit der Gründung des "Verein für Leichen-Verbrennung" die Einäscherung ins Gespräch gebracht. Katholische Kirche und Politik verhinderten die Einführung der Feuerbestattung. Ein Jahr später errichteten Oskar Siedek und Dr. Anderl den Verein der Freunde der Feuerbestattung "Die Flamme", dessen Ziel u.a. die Freigabe der Kremation war. Mit Vorträgen, Broschüren und Zeitungsartikeln versuchte man aufklärend zu wirken. 

Der Verein übernahm auch die Organisation der Überführung von Verstorbenen nach Gotha, wo 1878 das erste deutsche Krematorium entstanden war. "Die Flamme" schloss sich 1876 dem "Verband der Vereine für Reform des Bestattungswesens und fakultativer Feuerbestattung", eine Art Dachverband im deutschsprachigen Raum, an. Zu deren gemeinsamer Aufgabe gehörte die Herausgabe der Zeitschrift "Phoenix", die zu der umfangreichsten Quelle der Feuerbestattungsliteratur zählt. 

Nach dem Ende der österreichischen Monarchie versprach der sozialdemokratische Bürgermeister Wiens, Jacob Reumann, sich für den Bau einer Feuerhalle einzusetzen. 1921 war es dann soweit: Der Wiener Gemeinderat beschloss die Errichtung eines Krematorium. Ein Jahr später konnte es fertiggestellt werden. Das nach Plänen des Architekten Clemens Holzmeister (1886 bis 1983) erbaute Krematorium gilt heute als Österreichs bedeutendster "expressionistischer" Bau. 

Noch vor Eröffnung der Feuerhalle kam es jedoch zu einem schweren Konflikt zwischen der katholischen Bundesregierung und der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung Wiens, weil der Minister für soziale Verwaltung Dr. Schmitz deren Inbetriebnahme verbot. Der Wiener Bürgermeister setzte sich allerdings über die ministerielle Weisung hinweg, was ihm eine Klage beim Verfassungsgerichtshof einbrachte. Überraschenderweise entschied das Gericht zugunsten Wiens. Bereits am 23. September 1924 konnte man die tausendste Einäscherung "feiern". Der zwischen Kirche und Freidenkern, die seit 1922 den Feuerbestattungsverein "Die Flamme" organisierten, tobende Kulturkampf um die Feuerbestattung war damit aber noch lange nicht ausgefochten. Während in Österreich staatlicherseits im Mai 1934 die Feuerbestattung der Erdbestattung gleichgestellt wurde, erteilte der Vatikan erst im Oktober 1964 offiziell die Zustimmung zur Leichenverbrennung. 

Memento mori 

Die aus dem Mittelalter stammende Aufforderung "Gedenke des Todes" erinnert den Menschen an seine Vergänglichkeit. Auf dem Wiener Zentralfriedhof zeigt sich heute, dass der religiöse Aspekt an Bedeutung verloren hat. Das Gedenken an die Verstorbenen rückt in den Mittelpunkt; Individualisierung von Feiergestaltung und Grabformen prägen eine neue Trauerkultur. 

Den Sarg eines Verstorbenen von der Verwandtschaft farbig bemalen zu lassen, liegt voll im Trend. Abdrücke von Gesicht und Händen, Fotografien bis hin zum digitalen Fingerabdruck helfen, die Toten in Erinnerung zu behalten. Auch Trauermode kann anders aussehen. So verkauft die heute in städtischem Eigentum befindliche Friedhöfe Wien GmbH schwarze T-Shirts mit der Aufschrift "Der letzte Wagen ist immer ein Kombi". 

Relativ konservativ halten es die Wiener noch mit der Feuerbestattung. Während fast jeder dritte Österreicher sich einäschern lässt, wählt heute nur jeder vierte Wiener die Urne als letzte Ruhestätte. Die vom Statistischen Zentralamt ermittelten Daten zeigen allerdings einen Aufwärtstrend. Mehr als die Hälfte der eingeäscherten Personen war ohne religiöses Bekenntnis. 

Es ist schon faszinierend: Auf dem Wiener Zentralfriedhof begegnet man inmitten der Verstorbenen dem Leben. Hier erlebt man Geschichte, Kultur, Architektur, Natur und Weltanschauung. Ein "Aphrodisiakum für Nekrophile" hat der scharfzüngige André Heller diesen Friedhof betitelt. Aber auch für Humanistinnen und Humanisten ist ein Besuch dieser einmaligen Begräbnisstätte lohnend.