Islam und Rechtspopulismus

Salafistische Radikalisierung – und was man dagegen tun kann

Wie kann eine wirksame Präventionsarbeit aussehen?

Eine effektive Präventionsarbeit ist eine gesamtgesellschaftliche, langfristige Aufgabe. Besonders in letzter Zeit wird das Thema der radikalisierten Jugendlichen gerne als Themenbereich für die Sicherheitsbehörden gesehen. Es muss sichergestellt werden, dass radikalisierte Jugendliche keine Sicherheitsbedrohung für die Menschen in diesem Land darstellen; viel pragmatischer wäre es aber, die Jugendlichen vor der Radikalisierung zu schützen.

Um diese Aufgabe zu leisten, ist der Aufbau von kommunalen Netzwerken sehr wichtig. Der Reiz an der Radikalisierung liegt vor allem im Kontakt mit der (radikalen) Gruppe. Daher brauchen wir starke Netzwerke von Eltern, lokalen Akteuren aus der Schule, Sozial- und Jugendarbeit, aus Polizei und Politik, die einen direkten Zugang zu den Communities haben – sie müssen unbedingt über Radikalisierung informiert und sensibilisiert werden. Sie sollten befähigt werden, selbstständig beratend aktiv zu werden, die “Symptome” zu erkennen und vor einer möglichen Radikalisierung zu schützen. Gemeinsam können sie dann Strategien und Methoden entwickeln, die zu den Jugendlichen in ihren Milieus passen.

Bei dieser Sensibilisierung ist wichtig zu betonen, dass islamistische Einstellungen selten erst durch gewalttätiges Verhalten auffallen. Die Tendenzen sind oft sehr früh im Alltagsverhalten zu sehen: wenn der betreffende Jugendliche sich beispielsweise anders kleidet, sich nicht mehr für Musik und TV-Serien interessiert, sondern sich intensiv mit Online-Foren und YouTube-Videos beschäftigt, ihm religiöse Symbole plötzlich sehr wichtig werden. Er will vielleicht keine Geschenke mehr an Weihnachten bekommen oder sich nicht mehr an anderen, nicht islamischen Traditionen beteiligen. Anderen Jugendlichen gegenüber verhält er sich auch anders: im Unterricht zieht er sich zurück, er möchte nicht mehr mit Mädchen ohne Kopftuch reden, gibt der Lehrerin nicht mehr die Hand. Vielleicht wirkt er müde, da er nachts aufgestanden ist, um zu beten. Seine Argumentationsmuster ändern sich, er hat eine fehlende Ambiguitätstoleranz, zeigt eine wachsende Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien, äußert sich aggressiv gegen Andersgläubige, Christen, Juden und Muslime, die ihre Religion liberal leben.

Unverzichtbar ist es auch, dass die Jugendlichen in ihrem Alltag so oft wie möglich gefordert sind, kritisch zu denken und zu hinterfragen. Debattierklubs und Rollenspiele – ob an der Schule oder im Jugendzentrum – bewegen die Jugendlichen dazu, andere Perspektiven zu betrachten, vielfältige Möglichkeiten zu erkennen. Dies ist bei der Präventionsarbeit absolut notwendig, denn wer einmal gelernt hat eine eigene Position zu hinterfragen, ist weitaus besser immunisiert gegen Extremisten, die blinde Nachfolge und bloßes Nachbeten verlangen.

Ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit wäre auch, Jugendlichen verlässliche muslimische Vorbilder anzubieten, die ihre Religion anders ausleben und mit den Radikalen nichts gemeinsam haben. Um Ausreisen bereits radikalisierter Jugendlicher zu verhindern, wäre es in manchen Fällen hilfreich, auch punktuell mit Imamen zusammenzuarbeiten.

Kämpfen um JedeN: die individuelle Betrachtung jedes Falles

Um effektive Präventionsarbeit zu leisten, darf man den Fokus auf das Individuum nie verlieren. Bei jedem Jugendlichen sieht die Radikalisierung anders aus und ihre persönlichen Geschichten und Umstände sollten immer berücksichtigt werden. Die Jugendlichen dürfen nicht nur auf ihre Kultur reduziert werden und nicht auf ihre Tradition oder Religion, sondern sie müssen individuell wahrgenommen und behandelt werden.

Jugendliche sollen sich auch mit ihren individuellen religiösen und kulturellen Hintergründen akzeptiert und anerkannt fühlen. Zu oft ist die Rede von “Ausländern” und ”muslimischen Jugendlichen”, obwohl viele muslimisch geprägte Jugendliche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und in diesem Land geboren sind. Wenn immer wieder von “wir und ihr” die Rede ist, von “den Anderen”, dann ist es kein Wunder, dass diese Anderen eine Identität suchen, die ganz anders als das “Wir” ist, und die dieses “Wir” auch abwertet.

Wir Menschen in Deutschland müssen endlich inklusiver reden, denn diese Jugendlichen – und ihre Probleme - sind Teil unserer Gesellschaft. Wir müssen auch Räume schaffen, in denen Jugendliche frei und auf Augenhöhe diskutieren können, ohne Angst vor Abwertung. Nur dann werden sie in der Lage sein, sich emotional und intensiv mit schwierigen, teilweise tabuisierten Themen wie dem Islamismus gemeinsam auseinanderzusetzen. In solchen Konstellationen können die Jugendlichen ihre eigenen Einstellungen zum Thema revidieren und gemeinsam bestimmte gesellschaftliche Strukturen hinterfragen, um dann auch ihre Meinungen zu äußern. Es darf keinesfalls sein, dass Jugendliche nur bei radikalen Salafisten das Gefühl bekommen, ernstgenommen zu werden.

Auch das Aufarbeiten der Familiengeschichte muss viel stärker in den Fokus rücken, wenn Jugendliche mit Eltern oder anderen Verwandten groß werden, die hochtraumatisiert aus Konfliktgebieten nach Deutschland gekommen sind und diese Traumata bewusst oder unbewusst an ihre Kinder weitergeben. Ein solches Trauma lässt sich von den Salafisten sehr leicht instrumentalisieren. Deshalb bedarf es einer intensiven Beschäftigung mit den Biographien solcher Jugendlicher und mit ihren Bedürfnissen. Sie sollten die Möglichkeit, Platz und Raum bekommen, ihre Geschichte zu erzählen. Die Beschäftigung mit der Herkunft und den Familiengeschichten dieser Jugendlichen und ihrer Eltern ist ein Ausdruck der Anerkennung und des Interesses.

Auf Elternarbeit sollte das Augenmerk verstärkt gerichtet werden – vor allem mit Müttern. In diesem Bereich haben wir bei Hayat in Berlin schon viele positive Erfahrungen mit unterschiedlichen Müttergruppen gemacht. Nach unseren Erfahrungen sind sie sehr offen für diese Arbeit, aber es muss erst mal eine Vertrauensebene geschaffen werden. Nur dann kann man sich über so wichtige und ein wenig intime Themen wie Kommunikation in der Familie, Erziehungsmethoden und die Entwicklung der Kinder ehrlich und produktiv austauschen.

Außerdem sollte in unseren Schulen deutlich mehr über unsere demokratischen Werte diskutiert werden. Unsere Schulen sind extrem leistungsorientiert, man konzentriert sich auf Mathematik, Englisch, Grammatik – und weniger darauf, die Philosophie und Werte dieser Gesellschaft zu vermitteln. Diese ideologische Lücke nutzen die Salafisten gut aus. Prävention bedeutet auch, in diesem Punkt aktiver zu werden: die Jugendlichen für unsere Werte sensibilisieren und eine gewisse Begeisterung für den demokratischen Gedanken schaffen.

Deradikalisierung

Da jeder Radikalisierungsprozess anders ist und seine eigenen begleitenden Umstände und Ursachen hat, kann es bei der Deradikalisierung auch keine fallübergreifende Vorgehensweise geben, sondern jeder Fall, jede Familie, jede Person muss individuell behandelt und betrachtet werden.

Das Ziel der Deradikalisierungsarbeit ist es, im Idealfall eine Person dazu zu bewegen, extremistische Denk- und Handlungsweisen aufzugeben. Häufiger geht es darum, weitere Radikalisierungstendenzen zu verhindern. Besonders wichtig ist, dass die betroffene Person dahin kommt, Gewalt als mögliche Methode zur Durchsetzung ihrer Ziele abzulehnen. Zu der Arbeit gehört auch, dass der radikalisierten Person Alternativen angeboten werden.

Radikalisierung können auf drei Wirkungsebenen aufgeschlüsselt werden: affektiv, pragmatisch und ideologisch. Bei der ideologischen Komponente ist es wichtig, dass die Theorie und Rechtfertigung für extremistisches Verhalten sowie die Narrative und der Deutungsrahmen, die dahinter stecken, entkräftet werden. Die Person soll mit Alternativen und kritischen Fragen konfrontiert werden, damit die Einschränkungen bzw. Widersprüche und Doppelmoral der islamistischen Ideologie deutlich werden.

Beim pragmatischen Aspekt geht es darum, der Person Ausstiegsmöglichkeiten aus dem radikalisierten Umfeld anzubieten. Gerade bei salafistischen Gruppierungen kann dies besonders schwierig sein, da die Ideologie so eng mit sozialer Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft und ihren Werten verbunden ist.

Bei dem pragmatischen Aspekt ist das Ziel auch, extremistische Handlungen und den Einsatz von Gewalt einzudämmen. Es ist hier allerdings nicht zu vergessen, dass ein Verzicht auf Gewalt nicht gleich bedeutet, dass die Person sich kritisch mit der Ideologie auseinandergesetzt hat, bzw. sich wirklich aus dem Extremismus zurückzieht. Der affektive Aspekt betrifft die emotionale Unterstützung der Person und die Schaffung einer alternativen Bezugsgruppe, die der radikalen affektiven Struktur der Person entgegengesetzt ist. Die Beratung und Ermutigung von Angehörigen spielt dabei eine zentrale Rolle. Sehr wichtig bei diesem Aspekt ist, dass die betroffene Person positiv und emotional erreicht wird – und dass ihr klar gemacht wird, dass nicht sie als Person sondern ihre Ideologie von den Angehörigen abgelehnt wird.