Islam und Rechtspopulismus

Salafistische Radikalisierung – und was man dagegen tun kann

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Salafisten verteilen in Berlin den Koran
Salafisten verteilen in Berlin den Koran

BERLIN. (hpd/bpb) 400 vor allem junge Männer haben sich aus Deutschland aufgemacht, um für die islamischen Terroristen der ISIS zu kämpfen. Wie wurden diese Menschen zu Radikalen? Wie können Angehörige Radikalisierung erkennen? Und wie sollte man ihr entgegnen? Ein Praxisbericht von Ahmad Mansour.

Paul und Mehmet – Brüder im Geiste

Mehmet ist 19 Jahre alt, der Älteste von vier Geschwistern. Seine Großeltern kamen 1969 aus der Türkei nach Deutschland. Seitdem lebt seine Familie in Neukölln, eher traditionell als religiös. An seinen Vater erinnert er sich kaum noch, er starb, als Mehmet noch in die Grundschule ging. Während seiner Kindheit machte sich Mehmets Mutter oft Sorgen um ihn; er war sehr nervös und litt an einem Waschzwang - es gab Monate, in denen er seine Hände über hundert Mal pro Tag wusch. Jetzt macht er eine Ausbildung zum Industriekaufmann an einer Berufsschule in Berlin. Bis vor einigen Monaten verbrachte er einen Großteil seiner Zeit im Fitnessstudio. Beinah schon obsessiv beschäftigte er sich mit Bodybuilding, Ernährung und Fettanteilen. Mehmet wurde sein Aussehen immer wichtiger. Bilder von sich als Beweise des Fortschritts – Fotos von ihm in enganliegenden T-Shirts – postete er häufig im Netz.

Diese Disziplin zeigte sich auch in seinen schulischen Leistungen. Mehmet war ein guter Auszubildender, der immer die besten Noten in den Prüfungen bekam, und seine Stimme war häufig in Seminaren zu hören. Als Mehmet seine große Liebe verlor, weil er sie immer wieder kontrollierte und extrem eifersüchtig war, brach seine Welt zusammen. Nachdem er alles versucht hatte, um die Beziehung zu retten und nichts half, fing er an zu beten. Langsam entstand bei ihm der Wunsch, sein Wissen über den Islam zu vertiefen; er wollte Arabisch lernen, sich über den Koran informieren. So fing Mehmet an, häufiger in die Moschee zu gehen. Dort lernte er einen Salafisten kennen. Er zeigte großes Interesse an Mehmet, lobte ihn wegen seiner schulischen Fähigkeiten, lud ihn oft zum Essen ein.

Viele Jungs versammelte der Salafist um sich, er erzählte ihnen und Mehmet wie mächtig Allah sei und was die gläubigen Muslime im Paradies erwarte, und was den Ungläubigen in der Hölle widerfahren werde. Er erzählte von wissenschaftlichen Wundern aus dem Koran und von der Schönheit des Islam. Den Jungs erklärte er auch, wie die Welt funktioniere, wie die Medien von den Juden manipuliert würden um den Islam schlecht darzustellen, wie die Muslime überall in die Welt bekämpft und unterdrückt würden. Er warnte die Jungs vor den Übeln der deutschen Gesellschaft; vor dem gierigen, selbstsüchtigen Kapitalismus, der nur zu Depression und Einsamkeit führe, vor Alkohol und Drogen, und vor allem vor den verführenden, unreinen, unverschleierten Frauen. Mehmet vergaß seine Freundin und entdeckte den Islam. Seine Mutter war irgendwie stolz als sie sah, wir ihr Sohn “religiös” wurde und ein so großes Interesse an seiner Herkunft zeigte.

Paul ist als Einzelkind in Berlin-Schöneweide groß geworden, mit einem arbeitslosen Vater und einer Mutter, die als Einzelhandelskauffrau an der Kasse eines Supermarktes arbeitet. Paul ist jetzt 20 Jahre alt und hat gerade seine Ausbildung zum Eventmanager abgebrochen. In der Kündigung schrieb er, dass diese Arbeit gegen seinen Glauben sei, da er um kein Geld der Welt Unzucht und Alkoholkonsum unterstützen wolle.

Paul ist ein molliger, zurückgezogener Junge, seine Freizeit verbringt er mit Onlinespielen, er geht wenig aus und hatte Freunde bisher kaum. Bei den Onlinespielen mag er besonders die Spiele, in denen es um Kämpfen und Schießen geht. Auch offline geht er keinem Konflikt aus dem Weg, seine Aggression entzündet sich sekundenschnell - so kam er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Gewalt kennt Paul aus seiner Familie sehr gut. Sein Vater, der seine Arbeit vor 15 Jahren verlor, reagierte immer wieder mit der Faust, wenn aus der Nachbarschaft Beschwerden kamen, weil Paul schon wieder die Nachbarin beleidigt hatte oder wenn die Polizei Paul wieder nach Hause brachte. Auch auf schlechte Noten reagierte der Vater mit Schreien und Beleidigungen. Die Eltern waren überfordert und machten sich große Sorgen um ihr Kind. Als Paul 15 Jahre alt war, lernte er ein paar rechtsradikale Jungs aus dem Jugendzentrum im Kiez kennen. Mit denen war er oft unterwegs, sie haben “Türken” beschimpft, rechte Musik gehört, sich nationalistisch tätowieren lassen, bis seine Mutter ihm verbot sich mit dieser Gruppe zu treffen. Auch mit Mädchen hatte er kein Glück.

Den Islam entdeckte er in der Oberschule, der freundliche Umgang und die freundlichen Gespräche mit seinen muslimischen Mitschülern faszinierten ihn. Immer häufiger traf er sich mit ihnen, stellte Fragen nach ihrer Religion, interessierte sich und suchte auf Facebook und YouTube nach Antworten. Schnell landete er bei salafistischen Predigern und schaute nächtelang Videos über den Tod, die wahre Religion, über die Verdorbenheit des Westens und seinen moralischen Zerfall, über die Lügen der Medien und den Kampf gegen den Islam. Langsam begann er auf Veranstaltungen zu gehen, besuchte Open-Air-Ansprachen von Pierre Vogel und Co., traf sich mit Freunden und fühlte sich endlich angekommen. Endlich glücklich.

Vor einem Jahr sammelte er allen Mut der Welt und meldete sich beim Organisator einer Veranstaltung in Berlin-Neukölln, er wolle konvertieren. Er zitterte, als er auf die Bühne kam, konnte kaum Luft holen, mit größter Mühe sprach er die zwei Sätze nach: “Ich bezeuge: Es gibt keinen Gott außer Allah und ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Allahs ist.” Danach fühlte er sich wie befreit. Hunderte bejubelten ihn, er fühlte sich glücklich und fing an zu weinen.

Als Mehmet in der Moschee Paul traf und seine Leidenschaft für den Islam spürte, schämte er sich. “Ein Deutscher, der den Islam seit einem Jahr kennt, lebt die Religion noch besser als ich.” Seitdem sind beide gute Freunde geworden. Die Jungs bewundern sich gegenseitig: Paul, der Deutsche, der den Islam annimmt und diszipliniert ausübt; Mehmet, der Zugang zur islamischen Kultur eröffnet, dazu klug und groß ist – und auf den andere Jugendliche achten. Paul ist oft beim Mehmet zu Hause. Sie beten und essen gemeinsam und missionieren zusammen auf der Straße. Ihr Ziel ist es, jedem Menschen in diesem Land die Botschaft des Islam zu bringen. Sie tun das als selbst ernannte “Sozialarbeiter” in Neukölln, in der Moschee, beim Fußball Spielen, indem sie den Koran verteidigen und auf Facebook. Dort teilen sie Bilder und Videos, schreiben Kommentare, posten Aufrufe für Demos, Spenden und Veranstaltungen und weisen ab und zu die Ungläubigen zurecht.

Ungläubig gelten den Salafisten – einer fundamentalistischen Strömung im sunnitischen Islam – alle, die ihrer radikalen Meinung nicht folgen wollen. Polizei, Medien, Christen, Juden, Amerikaner, Erdogan-Anhänger, Assads Regime, Schiiten, Alewiten, und Muslime, die ihre Religion nicht ernst nehmen: das sind alles die Feinde des Islam, ihre Feinde, und gegen die müssen sie etwas unternehmen.

 


 

Seit Monaten sind die radikalen Islamisten wieder ganz oben in den Nachrichten. Die militärische, islamistische Vereinigung ISIS kämpft mit wachsendem Erfolg für einen Gottesstaat in Syrien und dem Irak. Für die Meisten von uns ist dies ein Thema aus dem märchenhaften Orient, “das mit dem Nahen Osten” doch ganz weit weg. Doch dies ist ein Trugschluss. Auch Paul und Mehmet, zwei Berliner Jungs aus meinem Kiez, sind begeisterte ISIS-Anhänger. Sie verfolgen den Verlauf der Kämpfe, posten und teilen Bilder und Videos von den Kämpfern an der Front, äußern sich online wütend gegen die Eingriffe des Westens und spielen sogar mit dem Gedanken, sich dieser Gruppe in Syrien bald anzuschließen.

Die Debatte um den Umgang mit radikalen Rückkehrern aus Syrien, der feige Anschlag auf eine jüdische Synagoge in Brüssel und eben Paul und Mehmet bringen das Thema bis vor unsere Haustür. Die laut Angaben des Verfassungsschutzes bislang 400 Ausreiser, die das sichere Deutschland verlassen haben, um in Syrien zu kämpfen, die Tausenden, die davon träumen, und die zehntausenden Sympathisanten zeigen, wie gewaltig das Problem in Deutschland ist.