Was war denn 2014 das Highlight?
Das war ein Eigentor. Am 4. Februar wird unter der Schlagzeile “Promi-Friseur dementiert Nähe zu Scientology” gemeldet, dass der “Sektenbeauftragte der Kirche” “umstrittene Managementkurse” einer privaten Ausbildungsakademie der Luxusfriseure prüft. Er teilt mit, schon 2011 hätten sich deswegen drei (!) Personen an ihn gewandt.
Was gehen solche Kurse einen Kirchenbeamten an, zumal er hier parteiisch ist? Die kritisierten Methoden sind allgemein üblich. Wer einmal Herrn Maschmeier predigen hörte beim Aufschwatzen seiner Versicherungspolicen, wird diese Nähe leicht erkennen.
Jedenfalls nimmt der Haarschneider-“Skandal” Fahrt auf und drei Wochen später ist zu lesen, die “Sektenexpertin” und “Scientology-Jägerin” Ursula Caberta werde eingeschaltet. Sie sagt: “Nun kümmere ich mich um den Laden …”. Anfang April arbeitet sie an einem Filmdrehbuch zum Thema. Die “Top-Stylisten” rücken zunächst ihre Unterlagen nicht heraus, warum auch. Am 25. Februar steht in der Zeitung, dass die beiden Sektenbeauftragten zurücktreten und von der Friseurgemeinschaft durch zwei renommierte Religionswissenschaftler ersetzt werden, die im April mitteilen, sie brauchen mehr Zeit.
Der Sektenmann arbeitet indessen unverdrossen weiter, findet zwanzig “Opfer” und das Ganze wird zu einer Posse (1. März), als ein geschiedener Ehemann den Streit nutzt, seine Frau anzuschwärzen. Man fragt sogar bei Scientology an (7. März), ob der Organisator der Schulung, ein Herr Huber, Mitglied sei. Der lässt in der Schweiz seine Anwältin von der Leine.
Der ausgeschaltete Sektenbeauftragte legt Ende März seinerseits nach. Doch Mitte Mai endlich liegt der Kommissionsbericht vor und die “Freie Presse” berichtet: “Prüfer halten Sektenvorwürfe für unbegründet”. Der kirchliche Sektenuntersuchungschef interpretiert den Vorgang anders.
Von der “Freien Presse” kommt danach keine Selbstkritik zu ihrer Beförderung der Sektenhysterie. Dafür wird über Adventisten, einen Prana-Vortrag, den Jugendkreis “Entschieden für Christus”, “Stadtlicht-Kirche” … informiert, als wäre da nicht dies oder das problematisch.
Gab es auch positive Überraschungen?
Ja, ausgerechnet zur Lutherdekade. Während ansonsten eher Selbstlob der evangelischen Landeskirche zu lesen ist oder solche Sachen berichtet wird wie “Luthers Gattin führt durch die Stadt” (mehrfach mit und ohne Bild), “Was Luther und Hoeneß trennt”, “Luther-Snowden-Vergleich”, “Unterwegs auf Luthers Spuren” oder “Luther aß keine Kartoffelpuffer”, war der Bericht von Eva Prase über die Lutherkonferenz im Deutschen Historischen Museum mit der Überschrift “Wissenschaftler wollen Bild von Luther geraderücken” am 30. Oktober und die beiliegende Wochenendbeilage “Der Anschlag” auffallend anders, durchaus kritisch ausgewogen, wozu es dann am 12. November im Leserforum einige Zustimmung und harsche Kritik gibt.
Gab es auch unfreiwillige Komik?
Jede Menge, wenn man dafür empfänglich ist. Etwa wenn gemeldet wird, “Experte hält Vortrag” und das ist dann “Was göttliche Weisheit uns nützt”, ein Vortrag bei den Zeugen Jehovas, oder, ganz anders gelagert unter der Überschrift “Kriminalität”: “Kirchenbesucher büßt Navi ein” oder “Pfarrer fahndet nach Wasserdieben”. Nicht zu übertreffen ist “Bei Karnevalisten ist Schluss mit lustig”, ein Bericht über eine Krise im Zwickauer Katholischen Faschingsverein.
Was es alles gibt … kommen auch Freidenker vor?
Nein, so etwas gibt es hier nicht, schon gar nicht in der “Freien Presse”. Aber auf etwas Spannendes will ich verweisen. In Zwickau und in ganz Sachsen lodern regelmäßig dreimal jährlich symbolische Flammen und es kommen dazu Notizen in die Presse. Es gibt Neujahrsfeuer, da werden Tannenbäume öffentlich verbrannt. Dann heißt es auch, die “Christbäume” brennen.
Zu Walpurgis brennen die Hexen in Zwickau 2014 an 69 Orten und die “Freie Presse” listet sie auf ihrer Homepage auf. Und, wenn man so will, zum Humanistentag leuchten spät abends die Sonnenwendfeuer. Es gibt hier also viel Heidnisches und viel öffentliche Müllverbrennung. Sonst darf man etwa die Gartenabfälle nicht verbrennen.
Ja, wir Sachsen sind “fischelant”. Das kommt zwar vom französischen Wort “vigilant”, was eigentlich wachsam heißt, aber wir haben es umgedeutet in “schlau eine Chance entdecken und nutzen”.
7 Kommentare
Kommentare
Dr. Ingeborg Wirries am Permanenter Link
Lieber Herr Dr. Groschopp! Vielleicht, hoffentlich finden Sie jemanden, der sich in gleicher Perspektive auch mal die Madsack-Mediengruppe vornimmt!
Mit freundlichem Gruß!
Dr. Ingeborg Wirries
(Stellvertretende Landessprecherin des IBKA-Landesverbandes Niedersachsen-Bremen)
Sven Schultze am Permanenter Link
Sehr gute Arbeit Herr Groschopp! Bin schon gespannt auf weitere Ergebnisse. Ähnlich Tendenzen sind mir auch in anderen ostdeutschen Regionalzeitung aufgefallen. Z.B.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Das war auch für uns letztlich ausschlaggebend das Hamburger Abendblatt Abo zu kündigen!
Stefan am Permanenter Link
Mag gewagt sein: obwohl der Osten Konfessionslos ist und weiter wird beziehen sich die unsäglichen Patrioten immer auf christliche Werte und das abendländische. Woher kommt das?
Ilse am Permanenter Link
Man kann, wie die Kirchengemeinden, eifrig sein, zu jeder kleinen Gelegenheit die Zeitung einzuladen oder auch selbst verfasste Berichte/Fotos an die Redaktion zu schicken.
Jutta Behne am Permanenter Link
Auch ich beziehe diese Zeitung und kann die Kirchenlastigkeit nur bestätigen. Am deutlichsten kommt sie Samstags im "Geistliches Wort, kirchliche Betrachtungen zum Wochenende" zum Ausdruck.
Stefan am Permanenter Link
Das ist auch bei meiner Lokalzeitung so ähnlich. Nicht ganz so extrem, aber man merkt deutlich, dass über fast jedes winzige Kirchenereignis ein Artikel geschrieben wird.
Was aber auch erschreckend ist, ist wie viele religiöse Fanatiker Leserbriefe schreiben. Da wird einem ganz übel wenn man daran denkt wie viele dieser Ewiggestrigen in der Nähe wohnen.