Wie man eine Regionalzeitung lesen kann

Die "Freie Presse" auf Mission

ZWICKAU. (hpd) Der langjährige Präsident des HVD und Direktor der Humanistischen Akademie, Dr. Horst Groschopp, wohnt seit Mai 2013 wieder in seiner Geburtsstadt Zwickau. Im letzten Sommer teilte er der Redaktion in einem anderen Zusammenhang mit, er sammle Ausschnitte der örtlichen Zeitung “Freie Presse”, weil ihm aufgefallen sei, wie selbstverständlich das Blatt Kirchennachrichten bringe, als handle es sich bei dieser Stadt und dem gleichnamigen Landkreis nach wie vor um eine Hochburg des Protestantismus. Wir fragten ihn, was er da eigentlich macht und gefunden hat.

hpd: Der Kulturwissenschaftler Groschopp hat also jeden Tag die Zeitung zerschnipselt wie weiland vor dem Internet.

Dr. Horst Groschopp: So etwa, denn nicht jede kleine Notiz steht auch in der Netzausgabe der "Freien Presse. So habe ich 2014 jede Ausgabe nach kirchlichen Mitteilungen durchsucht. Nur an 32 Tagen habe ich nichts gefunden, davon fällt ein Drittel in Schulferienzeiten. Also in 273 von 305 Ausgaben erschienen Notizen, ganze Artikel oder mehrere Seiten.

 

Was ist das überhaupt für ein Blatt?

Die Tageszeitung hat mit einer 260.000er Auflage bei vier Regional- und dann noch 19 Lokalausgaben etwa 650.000 Leser (eine Mehrheit von 345.000 Frauen) und fast das Informationsmonopol. Ganz Westsachsen kommt auf eine Auflage von 56.000, Zwickau auf 26.000. Bei derzeit 91.000 Einwohnern, unter Berücksichtigung von 40 Prozent Einpersonenhaushalten und nur 1,7 Prozent Ausländeranteil, kann man sagen, man erreicht die Hälfte der Leute. Was in der Stadt los ist, erfährt man in der “Freien Presse”.

 

Was sagt das über den Hang zum Kirchlichen?

330.000, fast die Hälfte der Leser, ist, wie ich, Rentner. Unter dreißig Jahre sind nur etwas über fünf Prozent. Man nimmt wohl an, die Älteren stünden dem Christentum noch näher. Das halte ich für einen Irrtum. Jetzt geht der DDR-Geburtstags-Jahrgang 1949 in Rente, die hatten 1963 Jugendweihe, schon in meiner Schulklasse fast alle. Die Kirchlichkeit nahm rasch ab, auch meine Entscheidung fiel zu dieser Zeit.

 

Wem gehört die “Freie Presse”?

Zu DDR-Zeiten war das die SED-Zeitung für den Bezirk Karl-Marx-Stadt. Sie ging Dank direkten Eingreifens von Helmut Kohl an der Treuhand vorbei in Ludwigshafener Hände, die dortige “Medien Union” – ein Kapitel für sich. Der Milliardär Dieter Schaub, Platz 95 der reichsten Deutschen, ist mit seiner Familie der Haupteigner. Er begann 1945 mit der “Rheinpfalz”. Kirchlich gesehen ist er Katholik.

 

Was hat denn die Lektüre der “Freien Presse” ergeben?

Ich bin noch am Anfang der Auswertung. Die Publikationsform ist noch nicht entschieden. So kann ich hier nur einige Eindrücke wiedergeben. Vor allem den, dass bei der Leserschaft eine selbstverständliche Nähe zur Kirchlichkeit hergestellt werden soll, irgendwie eine Rückführung der verlorenen Schafe. Der Leser auf Du und Du mit dem christlichen Gemeinschaftsgeschehen.

Dabei ist Zwickau wie ganz Sachsen in der absoluten Mehrheit “konfessionslos”, Tendenz zunehmend. Darüber wird durchaus in der “Freien Presse” sachlich berichtet, allerdings in Kontrast zu dem Sonstigen. Am 25. Juni ging es um eine “Austrittswelle in Sachsen”. “2013 traten 4.500 Mitglieder aus der Evangelischen-lutherischen Landeskirche aus, 2014 werden es allein im ersten Halbjahr deutlich über 5000 sein.” Man nennt die verlorenen Mitglieder übrigens “Abkehrer”.

Am 20. November wird das Desaster noch klarer. “Kirchen erleben Austrittswelle wie zuletzt nach der Wende.” “Fast 150.000 Sachsen sind seit 1995 aus der Kirche ausgetreten. … Ihre Mitgliederzahl verringerte sich bis Ende 2013 um 31 Prozent auf knapp 805.000. Rund 17.500 Austritte wurden in den sächsischen Teilen der katholischen Bistümer gezählt. Sie verloren damit knapp 21 Prozent und zählten Ende vergangenen Jahres noch reichlich 150.000 ‘Schäfchen’”.

Da muss man allerdings hinzufügen, dass diese staatlich geförderte Minderheitengruppe von 150.000 sächsisch-katholischen “Schäfchen” immerhin sieben Privatschulen unterhält plus drei eigene Gymnasien, eines davon in Zwickau. Die Protestanten haben 46 Schulen plus acht Gymnasien.

 

Was ist der Beleg für die These von der Rückführung mit Hilfe der “Freien Presse”?

Es wird so getan, als sei es von allgemeinem Interesse, wenn ein neuer Pfarrer oder Kantor oder sonst irgendein Kirchenfunktionär seinen Dienst aufnimmt oder aufgibt. Wöchentlich werden von allen etwa dreißig städtischen Kirchengemeinden, inklusive von den drei katholischen, fünf Freikirchen und zwei neuapostolischen, die Gottesdiensttermine gedruckt, auch von den “Freien Baptisten” und den “Zeugen Jehovas”. Das steht neben der Arzt- und Apothekenbereitschaft, was sehr nützlich ist.

Viel wird für die christliche Bildung getan, von “Was ist Allerheiligen” bis Heiligenerklärung anhand von Kunstwerken. Nahezu jedes Konzert – “Barockes erklingt in der Dorfkirche”, “Unterm Kirchturm klingt es klassisch”, “Kammervirtuose spielt im Pfarrhaus”, “Singekreis musiziert in der Kirche” wird als kulturell wichtiges Ereignis vorgestellt und erhält mindestens eine Notiz. Ich vermute, diese Werbung und die Logistikhilfe bei den Gottesdiensten sind kostenfrei.

Daneben finden sich Berichte über Telefonseelsorge, Sternsinger, ein Bibel-Abschreibprojekt, Ratespiele zu Kirchtürmen, Katholikentag, Papst Franziskus und viele andere kirchliche Themen. Viel ist zu lesen über das gute Wirken der Stadtmission, den ökumenischen Hospizdienst. Zur Jugendweihe dagegen nur etwas über Jugendmoden, dafür mehr über Konfirmanden, etwa “Konfirmanden backen Brot”.