BASEL. (hpd) Die GBS Schweiz unterhält das Fundraising-Projekt “Raising for Effective Giving” (REG) und vertritt die dahinter stehende Philosophie des „effektiven Altruismus“. Spenden sollten demnach möglichst effizient eingesetzt werden, um das Leben möglichst vieler empfindungsfähiger Wesen möglichst umfassend zu verbessern. Doch wie ist das möglich?
Wer in einem reichen Land lebt und 10 Prozent seines Einkommens spendet, gehört nach wie vor zum erlesenen Kreis der reichsten Menschen, die jemals auf diesem Planeten gelebt haben. Zudem legen psychologische Studien nahe, dass das Spenden eine Form der Geldausgabe ist, die auch den Spender selbst glücklicher macht. Am wichtigsten aber: Unsere Einbußen scheinen unbedeutend, wenn man sie mit dem vergleicht, was auf der anderen Seite auf dem Spiel steht: Ziehe ich eine Welt vor, in der ich 10 Prozent mehr Geld habe und Menschen aufgrund fehlender Versorgung sterben – oder eine Welt, in der ich 10 Prozent weniger verdiene und Menschen vor schlimmem Leid bewahrt werden?
Ein ertrinkendes Kind retten – für 500 Euro?
Der Philosoph Peter Singer hat dazu das Gedankenexperiment vom "ertrinkenden Kind" formuliert: Angenommen, ich spaziere an einem Teich vorbei und bemerke, dass ein Kind im Begriffe ist, darin zu ertrinken. Weiter bemerke ich, dass die (Nicht-)Rettung des Kindes von meiner Entscheidung abhängt: Ich kann gefahrlos in den Teich waten und das Kind herausziehen. Die einzige Komplikation: Der 500 Euro teure Anzug, den ich zufällig gerade trage, wäre danach unbrauchbar – ich müsste ihn ersetzen, also 500 Euro aufwenden, die ich ansonsten für zusätzlichen persönlichen Luxus ausgegeben hätte, den ich im Grunde nicht brauche. Verzichte ich auf 500 Euro und rette das Kind – oder nicht?
Die meisten Menschen würden (glücklicherweise) nicht zögern, das Kind zu retten. Das ist Ausdruck des humanistischen Urteils, wonach uns 500 Eigenluxus-Euro weniger wichtig sind als die Rettung eines Kindes. Wenn wir aber so urteilen, dann wäre es logisch widersprüchlich und irrational, in der Spendenfrage anders zu urteilen. Denn auch dort stellt sich die Frage, was wichtiger ist: das Verhindern von Leid und Tod anderer oder zusätzliche Geldbeträge für uns selbst, die wir zur Deckung unserer Bedürfnisse nicht wirklich brauchen.
Beim Geldausgeben geht es um Leben und Tod
Beim Geldausgeben bzw. beim Spenden geht es tatsächlich um Leben und Tod: Die Ökonomen, Soziologen, Mathematiker und Philosophen wissenschaftlicher Hilfswerk-Evaluatoren wie GiveWell.org haben hunderte Hilfsorganisationen untersucht und kamen zum Schluss, dass die Projekte einiger Hilfswerke um mehrere Größenordnungen effektiver sind als andere. Für denselben Spendenbetrag werden demnach um Größenordnungen mehr Leben gerettet, wenn man an die kosteneffektivsten Hilfswerke spendet. Es geht also nicht nur darum, möglichst viel zu spenden, sondern insbesondere auch darum, dies möglichst klug zu tun.
Die Frage nach dem rationalen Spenden wurde in den vergangenen Jahren intensiv erforscht: Ein wichtiges (gesundheitsökonomisches) Resultat besteht darin, dass die Rettung eines Menschenlebens in reichen Ländern zumeist mehr als 400.000 Dollar kostet, während es in den ärmsten Ländern möglich ist, ein Leben für weniger als 4.000 Dollar zu retten. Die entsprechenden Maßnahmen – etwa die Verteilung von Anti-Malaria-Bettnetzen oder die Entwurmung von Kindern – wurden in randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) erforscht und verbessern die Lebensbedingungen erwiesenermaßen nachhaltig: Anti-Malaria-Netze etwa vermögen für geschätzte 3.400 Dollar ein Leben zu retten und liefern darüber hinaus auch einen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen, weil sich die Menschen weniger mit Krankheit herumschlagen müssen. Für Entwurmungen ist dies ebenfalls gut dokumentiert: RCTs legen nahe, dass entwurmte Kinder 25% weniger Schultage verpassen und später mehr als 20 Prozent mehr verdienen. Von Bildung und Wohlstand kann eine Vielzahl weiterer positiver Effekte ausgehen, etwa eine Stabilisierung der Bevölkerungszahl.
Eine humanistische Ethik fußt auf dem Urteil, dass jedes Menschenleben den gleichen Wert hat, unabhängig von seinen raumzeitlichen Koordinaten (und vielen weiteren irrelevanten Dingen mehr). Anders formuliert: Diskriminierung aufgrund äußerer Merkmale und Umstände ist unzulässig. Daraus folgt, dass wir aktuell prioritär denjenigen 850 Millionen Menschen helfen sollten, die täglich mit weniger als (kaufkraftbereinigten) 1,25 Dollar auskommen müssen und deren Kinder, über 20.000 an der täglichen Zahl (!), an den Folgen dieser absoluten Armut sterben. Geld hat einen abnehmenden Grenznutzen, so dass der erwartete Nutzen einer gut eingesetzten Spende meist umso größer ist, je ärmer die Empfänger der Hilfeleistung sind.
Pokerweltmeister Martin Jacobson spendet 250.000 Dollar
Das Projekt der GBS-Schweiz konnte dank der großzügigen Unterstützung des Pokerweltmeisters Martin Jacobson gerade 250.000 Dollar spenden. Insgesamt flossen in das Projekt bisher rund 60.000 Dollar Lohnkosten. Demgegenüber hat das Fundraising rund 600.000 Dollar eingebracht – d.h. die Fund-Ratio bzw. der Multiplikator, den REG ermöglicht, beträgt 10:1.
Von den erwähnten 250.000 Dollar fliessen 125.000 Dollar an fünf effektive Tierrechtsorganisationen, entsprechend den Empfehlungen von AnimalCharityEvaluators.org (ACE), dem GiveWell-Analogon für Tierrechtsorganisationen. ACE kommt zum Schluss, dass ein einziger Dollar (!), an effektive Maßnahmen gespendet, die surreal klingende Zahl von drei Tieren vor einem leidvollen Leben in einer Tierfabrik retten kann. (Die ethischen Opportunitätskosten einer unnötig konsumierten Mineralwasserflasche, die man sich zuhause auch mit Hahnenwasser hätte füllen können, sind daher beträchtlich.) Diese Zahl ist durch empirische Studien und (konservative) Abschätzungen aber gut gedeckt: Sie ergibt sich daraus, dass global jedes Jahr über 60 Milliarden Tiere in Tierfabriken gemästet werden. Die Spenden fließen an nachweislich effektive Maßnahmen, Fleischesser davon zu überzeugen, ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Weil durchschnittliche Fleischesser während ihres Lebens über 1000 Tiere verspeisen, lässt sich ethisch sehr viel herausholen, denn im Rahmen des evolutionären Humanismus kann der hohe ethische Wert des Wohls auch der nicht-menschlichen Tiere nicht negiert werden.
Die verbleibenden 125.000 Dollar gehen an sogenannte Meta-Hilfswerke, die nicht “direkt” helfen, sondern “indirekt(er)”, indem sie Evaluationsforschung betreiben oder mehr Leute motivieren, zu professionellen Spendern zu werden – man spendet sozusagen an die Optimierung der Spendeneffektivität sowie des Spendenvolumens. Konkret wird die Meta-Spende an GiveWell.org sowie an den Versuch der GBS Schweiz fließen, REG auch im professionellen Tennis sowie im kompetitiven Video-Gaming zu etablieren. Meta-Spenden sind zum aktuellen Zeitpunkt besonders effektiv, weil es möglich ist, Fund-Ratios von 10:1 (und mehr) zu erzielen.
Mythos von den Administrationskosten
Hilfswerke schrecken manchmal vor effektivem Fundraising zurück, weil entsprechende Aktivitäten die Administrationskosten erhöhen und aktuell der Irrglaube verbreitet ist, dass es zwangsläufig wichtig sei, die Administrationskosten sehr tief zu halten. Diese Idee ist irrational: Es existiert keine Korrelation zwischen dem Anteil der Administrationskosten am Gesamtbudget und der Effektivität eines Hilfswerkes, d.h. dem ethischen Output pro Geldinputeinheit. Das erstaunt im Grunde nicht, denn eine professionelle Administration und strategische Planung kosten etwas und tragen natürlich zur Optimierung des Outputs bei. Man stelle sich vor, ein Spital würde damit werben, dass “99 Prozent unseres Budgets direkt an die Patienten fliesst!” – absurd. Doch mit derselben Absurdität werben Hilfswerke tatsächlich!