"Diese Daten zeigen, dass die Welt gar nicht so schlecht ist" – wirklich?

Weshalb früher nicht alles besser war, die Welt dennoch viel schlechter wurde, und Hoffnung trotzdem gerechtfertigt ist

Wird alles schlechter und war "früher alles besser"? Oder besagen aktuelle wissenschaftliche Daten in der Tat, dass die Welt besser wurde? Und was, wenn dem nicht so wäre – müssten wir die fatalistische Sinnlosigkeit unseres Handelns anerkennen?

Die Intuition, alles werde schlechter, war zu allen Zeiten weit verbreitet – unabhängig davon, was die empirischen Daten besagen. Woher kommt das? Vielen Menschen geht es nicht besonders gut, sie sind diversen Stressfaktoren ausgesetzt, verspüren ein Unbehagen. Das wird wohl auch so bleiben, wenn wir unseren "Hedonic Set Point" nicht irgendwann mittels Bioenhancement erhöhen. Aus evolutionären Gründen befinden wir uns nämlich in einer Glückstretmühle: Evolutionär war es keine optimale Strategie, sich auf glücklichen Lorbeeren auszuruhen. Es dient dem genetischen Erfolg, immer nach "noch mehr" zu streben. Leider sind die "Ziele" unserer Gene mit den unseren aber keineswegs deckungsgleich.

Die Intuition ist unzuverlässig

Vielleicht erklärt das, weshalb viele mit ihrer Situation wohl immer einigermaßen unzufrieden sein werden. Natürlich hat neben der Biologie auch die Kultur einen starken Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden: Sozioökonomische Stressfaktoren können mehr oder weniger ausgeprägt und dauerhaft belastend sein. Die Existenz einer gewissen biologischen Glückstretmühle steht aber ebenfalls außer Frage.

Viele haben den Wunsch, dass sich die Dinge verbessern. Wenn "alles schlechter wird", dann war früher alles besser. Das Rezept zur Verbesserung der Welt ist daher klar und einfach: Wir müssen’s nur wieder so machen wie zu den guten alten Zeiten!

Wenn hingegen nicht alles schlechter wird und es früher nicht besser war, dann ist die Sache nicht so simpel. Diese unbehagliche Konklusion will man tunlichst vermeiden, so dass man eine Vernebelung des Denkens in Kauf nimmt: Wishful Thinking Bias.

Was sagt die Wissenschaft?

Hier nun haken empirische Wissenschaftler wie Steven Pinker oder Max Roser ein und behaupten: Die Daten zeigen, dass die Welt gar nicht so schlecht ist – und besser wurde. Der prozentuale Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, ist massiv zurückgegangen; die Gewaltbereitschaft ist auf allen gesellschaftlichen Ebenen rückläufig; die ethisch-politischen Werte haben sich stark verbessert.

Beispielbild

So weit, so gut: Die zitierten Daten liefern in der Tat ein wichtiges Korrektiv zur traditionellen Ansicht, wonach "früher alles besser" war. Nur: Obwohl man sich um Wissenschaftlichkeit bemüht, ist die Argumentation für die These, dass die Welt besser wurde, erstaunlich lückenhaft. Drei entscheidende Punkte werden auch in der wissenschaftlichen Debatte bisher meist ignoriert:

1) Ethische Metrik: Welche ist eigentlich angemessen? Die empirischen Daten können uns diese Frage nicht beantworten. Meist wird nur mit relativen Zahlen argumentiert (z. B.: prozentualer Rückgang des Hungers), doch diese Verengung scheint unhaltbar: Sie impliziert u. a., dass man eine Welt, in der 1 Milliarde Menschen Hunger leiden (und in der sonst niemand existiert), so verbessern könnte, dass man am Hunger rein gar nichts ändert, aber +9 Milliarden wohlgenährte, glückliche Menschen in die Welt setzt. So "reduziert" sich der Hunger um 90%.

Will man solche Konklusionen vermeiden, sind die absoluten Opferzahlen auch stark zu berücksichtigen. Tut man das, ist sofort viel weniger klar, ob sich die Welt verbessert hat. Zum Beispiel gibt es aufgrund des Bevölkerungswachstums in absoluten Zahlen mehr Sklaven als jemals zuvor in der Geschichte. Natürlich sind an diversen Fronten auch in absoluten Zahlen Verbesserungen erkennbar, aber sie sind definitiv weniger deutlich, und in nicht wenigen Bereichen haben sich die Dinge in absoluten Zahlen verschlechtert.

2) Globale Katastrophenrisiken: Wie Nassim Taleb gegen Steven Pinker immer wieder betont, darf man empirisch nicht nur die bereits eingetretenen Fakten betrachten, sondern muss Risiken und Erwartungswerte (d. h. potenzielle Schadenausmaße) ebenso abbilden. Zum Beispiel leben wir historisch erstmals in einer Situation, in der Umweltkatastrophen (v. a. Klima), politische Katastrophen (z. B. Trump/China/Russland) und technologische Katastrophen (Nukleartech, KI, synthetische Biologie) buchstäblich den ganzen Planeten ins Chaos stürzen können. Wenn globale Katastrophenrisiken ansteigen, dann verschlechtert sich die Welt entlang dieser enorm wichtigen Dimension.

3) Enormes Tierleid: Üblicherweise wird rein anthropozentrisch argumentiert, d. h. leidensfähige nicht-menschliche Individuen werden völlig ignoriert. Ethisch ist unklar, wie das gerechtfertigt werden könnte – die akademische Tierethik hat seit 1970 kein einziges starkes Argument zutage gefördert, das die Auslassung der Tiere rechtfertigen könnte. Vielleicht ist es legitim, das Wohl eines Tieres 10- bis 1000-mal geringer zählen, aber bei jährlich rund 100 Milliarden Opfern alleine in der "Nutztier"-Industrie beeinflussen die Tiere die Antwort auf die Frage "Wurde die Welt besser?" trotzdem stark – in negativer Richtung. (Meines Erachtens ist jede Abwertung der Tiere zweifelhaft: Wir würden Menschen ja auch nicht aufgrund tieferer Intelligenz abwerten, und schon gar nicht aufgrund von Genen und Aussehen. Folgt man diesem Argument, sind die jährlichen 100 Milliarden Opfer voll zu zählen.)

Pessimismus = Fatalismus?

Die Punkte 1) und 2) erhöhen die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass die Welt schlechter wurde; nimmt man 3) hinzu, könnte der Effekt massiv ausfallen. Auch zu diesen Punkten sind selbstredend weitere wissenschaftliche Nachforschungen angezeigt. Doch es ist bereits erkennbar, dass es in ihrem Licht gut möglich ist, dass sich die Welt stark verschlechtert hat und eventuell kontinuierlich verschlechtern wird.

Falls sich diese pessimistische Prognose wissenschaftlich erhärtet: Was folgt daraus? Impliziert der Pessimismus auch einen Fatalismus, wonach wir "nichts tun" können und all unsere Bestrebungen, die Welt zu verbessern, sinnlos sind?

Keineswegs! Wenn unser Handeln bewirkt, dass sich die Welt weniger schlimm entwickelt, als sie sich andernfalls entwickelt hätte, dann haben wir – durch unser Handeln – eine unglaublich bedeutsame Weltverbesserung erreicht. Denn weniger schlimm bedeutet in diesem Zusammenhang: Über die Jahre werden Abermilliarden Individuen von Gewalt, Leid und Tod verschont bleiben. Für jedes einzelne dieser Individuen bedeutet dies buchstäblich alles. Wenn es sich dafür zu handeln nicht lohnt, dann lohnt sich wohl gar nichts.

Die Geschichte zeigt, dass unser Handeln einen großen Unterschied machen und viele Übel vermindern kann. Das gilt auch dann, wenn die Welt insgesamt schlechter wird. Mit Karl Popper lässt sich zudem argumentieren, dass es politisch ohnehin klüger ist, sich auf die Verminderung der schlimmsten Übel zu konzentrieren, statt das Paradies auf Erden anzustreben. Wenn wir engagiert und evidenzbasiert vorgehen, ist Hoffnung gerechtfertigt. Legen die empirischen Fakten nahe, dass die Welt schlechter wird, und besteht unser Beitrag folglich darin, noch viel schlimmere Übel zu verhindern, dann resultiert kein Fatalismus, sondern ein hoffnungsvoller Pessimismus.