Rezension

Weltuntergangsphantasien in der europäischen Geschichte

Zu Recht stellt Dinzelbacher fest, dass solche Endzeitsekten nicht auf das katholische bzw. protestantische Europa beschränkt blieben. Nicht wenige dieser Gruppen seien unter dem Druck der Großkirchen und der von diesen beherrschten Regierungen ab Beginn des 17. Jahrhunderts nach Nordamerika ausgewandert. Und dort seien dann immer wieder selbst ähnlich orientierte fromme Gruppen/Sekten entstanden, wie beispielsweise die Mormonen oder die Zeugen Jehovas. Gerade im 20. Jahrhundert hätten sich dann jene Gruppen auch zurück nach Europa und jüngst insbesondere nach Lateinamerika und Afrika ausgebreitet.

Vom 19. Jahrhundert bis heute

Das 19. Jahrhundert, so Dinzelbacher, brachte erneut eine Flut von endzeitlichen Propheten und Sekten hervor; ganz besonders augenfällig im süddeutschen Raum und in der Schweiz. Auch hier werden wieder Namen genannt und Quellen zitiert. Und wie reagierte nun darauf weltliche und kirchliche Obrigkeit? Nicht viel anders als im Mittelalter! Dazu heißt es bei Dinzelbacher:

"So wurden auch die Antonianer nicht wegen ihres Glaubens an den nahen Untergang der Welt verurteilt, sondern wegen ihrer von den Konventionen abweichenden Liebesbeziehungen." (S. 102) Das dürfte nicht verwundern, denn mit freier Liebe, d.h. auf Liebe beruhenden sexuellen Beziehungen zwischen Menschen, beginnt das Ende der Macht der Priester über die Köpfe der Menschen, also der Macht von Menschen über Menschen!

Peter Dinzelbacher dazu sehr deutlich:

"Das heftige obrigkeitliche Vorgehen gegen diese Gruppe, die in der Regel für sich lebte und keine Neigungen zu Gewalttaten hatte, (…) zeigt überaus deutlich ein in der Geschichte bis heute immer wieder zu beobachtendes Moment von Herrschaftsausübung. Die Obrigkeit (auch in Demokratien) reagiert auf jedes ungewöhnliche sexuelle Verhalten prinzipiell regressiv, auch wenn dieses freiwillig praktiziert wird. Dies nicht, weil es einen mit Vernunft nachzuvollziehenden Grund gäbe, sondern um Untertanen exemplarisch zu disziplinieren, d.h. an ihrem Beispiel das staatliche Machtmonopol immer wieder augenfällig zu machen. Dass das Thema Sexualität in allen christlich geprägten Gesellschaften, auch in den sich für säkular haltenden, prinzipiell negativ besetzt ist, findet diese Politik in der Regel den Beifall der nicht betroffenen Mehrheit." (S. 102)

Danach geht der Autor eingehend auf die Hauptmotive traditioneller (christlicher) Endzeitvorstellungen ein. Dies sei hier nur anhand einiger Stichworte verdeutlicht: Vorzeichen lt. Bibel, Antichrist, Endschlacht, Friedenskaiser und Pastor angelicus, Millenniarismus (1000jähriges Reich) oder Neues Jerusalem.

Auf die Jüngere Neuzeit und die Gegenwart bezogen heißt es bei Dinzelbacher u.a., dass es heute für diverse Weltuntergangsphantasien nicht selten gänzlich andere Motive und Hintergründe gäbe, nicht zuletzt durchaus kommerzielle:

"Wenn heute Vernichtungszenarien noch publikumswirksam sind, dann eben nicht mehr die religiösen, sondern die mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit entworfenen selbstgenerierten: War es nach 1945 der Atomkrieg, sind es heute eher ökologische Katastrophen, das angebliche Waldsterben in den achtziger Jahren, die Erderwärmung heute – wer Panik machen will, findet immer Motive zwischen Wärmetod und nuklearem Winter." (S. 150)

Und daraus würden "Ökoterroristen" gewaltig Kapital schlagen: Man werde nur gerettet, wenn die Menschen nur Bioprodukte oder vegane Lebensmittel verzehren würden, wenn diese oder jene energiesparende (und selbstverständlich teure) Maßnahme durchgeführt werde etc…

Mentalitätsgeschichtliche und psychohistorische Analyse

Im zweiten und mit rund 45 Seiten wesentlich kürzeren Teil versucht Peter Dinzelbacher eine "mentalitätsgeschichtliche und psychohistorische Analyse" des Phänomens Weltuntergang. Er unterscheidet hier zwischen unterschwelligen Momenten, wie Wunscherfüllung, Angst und Furcht oder das Machtstreben charismatischer Führer ("typisches Beispiel der Vorteilsname durch Religion" nach dem "manifesten Muster, mittels apokalyptischer Verkündigungen Macht über die Gemeindemitglieder, die Erfüllung sexueller Wünsche und genussvolles Leben zu erlangen, wiederholt sich durch die Jahrhunderte ebenso wir durch die Religionen." S. 162)

Sehr dezidiert geht Dinzelbacher in diesem Teil auf die frappanten Ähnlichkeiten zwischen christlicher Priesterkaste und Wortführern ökologischer Gruppen und Parteien ein: "… dass jedesmal die gleichen Mittel angewandt wurden bzw. werden: Einschüchterung, d.h. Angsterzeugung im Volk durch Erweckung von Gewissensbissen. (…) Säkularisiert tritt (…) das Leben in einer von Umweltschäden und Artenverminderung belasteten Welt. (…) das demonstrativ kommunizierte Gefühl moralischer Superiorität bei allen Ökoaktivisten in Analogie zu dem persönlicher Heiligkeit bei den Virtuosen der Religion, die Verwendung anderer Weltbilder als verantwortungslos in Analogie zur Verwerfung anderer Glaubensformen als häretisch (…) Wie edel und uneigennützig auch immer die Selbstbilder im Bewusstsein der Geistlichkeit und der [Öko-; SRK]Parteiführer sein mochten oder sein mögen, (…) führen alle von ihnen gepredigten Verhaltensweisen zu einem Macht- und Besitzzuwachs der von ihnen vertretenen Gruppe. (…) Solcher Ökoterrorismus basiert nicht nur auf einer Realangst, sondern auch auf unbewußten Schuldgefühlen und Strafphantasien…" (S. 166/67)

Und wie Peter Dinzelbacher ironisch anmerkt, sind auch grüne Prophezeiungen wie z.B. das Waldsterben bis dato nicht eingetroffen…

Nach den unterschwelligen Momenten geht der Autor auf Gruppenpsychologisches ein, wie den kollektiven Freitod, und mögliche Anlässe für die Aktivierung von Untergangsphantasien.

Denn auch heute noch gibt es endzeitlich geprägte Sekten, die ihre Mitglieder sogar in den Massenselbstmord treiben würden. Als Beispiele werden hier genannt der kollektive Freitod von 900 Anhängern des "Peoples Temple" unter Führung von Jim Jones 1978 im Urwald von Guyana oder der Gruppensuizid schweizerischen "Sonnentempler" in den 1990er Jahren.

Abschließend zeichnet Peter Dinzelbacher zusammenfassend die "großen Linien der Entwicklung" in der Geschichte der Weltuntergangsphantasien auf. Er konstatiert: "Betrachtet man die Ängste im traditionellen Christentum im Vergleich zu denen in säkularisierten Epochen, dann wird man wohl feststellen, dass immer mehr 'Furcht' von 'Angst' abgelöst wird." (S. 193) Und er fragt, ob mit solchen Vorstellungen "…nicht eine grundlegende Struktur menschlichen Herrschaftsverhaltens getroffen ist?" (S. 194) Nach einigen komprimierten Sätzen über "Was ist Religion?" schreibt er kurz und bündig darüber wie Religion in der Praxis wirkt: "als Herrschaftsinstrument der Machtausübung von Menschen über Menschen." (S. 196)

Abgesehen von Dinzelbachers grandioser Fehlleistung in Bezug auf den deutschen Bauernkrieg und der Verkennung seiner sozioökonomischen Ursachen und des Wirkens von Thomas Müntzer kann der Rezensent seinen Analysen und Argumentationen zustimmen.

Das gilt auch für seine, durchaus ironische, Schlussfolgerung, die alles andere als eine Prophezeiung ist:

"Deshalb geht sogar der akribisch vorsichtige Historiker kein Risiko ein, wenn er vorhersagt, dass sich religiöse Gruppen mit endzeitlichen Ideologien auch im 21. Jahrhundert neu bilden werden. Einige werden rasch vergehen, andere mögen sich als so langlebig erweisen, wie das Christentum, das als endzeitliche Sekte eines Rabbi Jesus aus Nazareth seinen Anfang nahm." (S. 198)

 


Peter Dinzelbacher: Weltuntergangsphantasien und ihre Funktion in der europäischen Geschichte. 212 S. m. Abb. Klappenbroschur. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2014. 17,00 Euro. ISBN 978–3–86569–175–0

 

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