In Köln ruft ab heute der Muezzin

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Die Kölner DiTiB-Moschee ist inzwischen ein Symbol für den politischen Islam.
Die Kölner DiTiB-Moschee

Heute wird zum ersten Mal der Muezzinruf über dem Kölner Stadtteil Ehrenfeld erschallen. Es handelt sich um ein städtisches Modellprojekt, das zunächst auf zwei Jahre angelegt ist. Die Entscheidung ruft viel Kritik hervor, vor allem auch bei säkularen Vertreter:innen.

Laut einem in dieser Woche geschlossenen Vertrag zwischen der türkischen Moscheegemeinde DiTiB und der Stadt muss die Glaubensgemeinschaft die Anwohner informieren, außerdem ist eine Lautstärkebegrenzung von 60 Dezibel und eine zeitliche Beschränkung zwischen 12 und 15 Uhr und von fünf Minuten für den islamischen Ruf zum Freitagsgebet vorgesehen. Grundlage ist die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Religionsausübung.

Viele sehen das Vorhaben jedoch kritisch, so etwa der Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour. Er spricht von einer "Machtdemonstration des politischen Islam". Die DiTiB sei der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet, gibt Mansour zu bedenken. Außerdem sei das kirchliche Glockenläuten nicht mit dem islamischen Gebetsruf gleichzusetzen: "Beim Glockengeläut geht es um Klang, beim Muezzinruf geht es um konkrete religiöse Botschaften", zitiert ihn Zeit Online. Konservative Muslime fühlten sich durch das Zulassen des Gebetsrufs bestätigt, so Mansour, sie sähen es "als einen wichtigen Schritt hin zur Islamisierung Europas" und würden "immer mehr fordern".

Säkulare Verbände kritisieren den Muezzinruf

Davor warnt auch Philipp Möller vom Zentralrat der Konfessionsfreien: "Die Sonderrechte für die Kirchen sind verfassungswidrig, deshalb wäre es vollkommen falsch, allen anderen Religionsgemeinschaften die gleichen Sonderrechte zuzusprechen. Wir setzen uns für den Abbau aller Privilegien für alle Weltanschauungsgemeinschaften ein – das gilt auch für den öffentlichen Gebetsruf." Laut Grundgesetz sei Religion Privatsache, so Möller weiter, der bereits vor einem Jahr an einer Podiumsdiskussion zum Thema teilgenommen hatte (der hpd berichtete). "Ich verstehe ja, dass manche Menschen gern die Glocken läuten oder den Muezzin rufen hören, aber es gibt auch technische Möglichkeiten, die die Öffentlichkeit verschonen – so viel Rücksicht muss sein."

Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) Nordrhein-Westfalen äußert sich in einer Stellungnahme anders zur akustischen Präsenz von Religionen: "Wenn dieser säkulare Staat die lautstarke Religionsausübung grundgesetzlich geschützt sieht, dann werden wir religionsfreien Menschen uns mit der Kakophonie der verschiedenen Religions­ausübungen arrangieren müssen. Denn ein Recht darauf, von Religionen nicht behelligt zu werden, gibt es im Grundgesetz nicht." In Bezug auf den Kölner Muezzinruf sagt der Präsident des HVD in NRW Johannes Schwill dieser sei "weitaus mehr als nur ein irritierendes Geräusch im Alltag" und sieht wie Mansour einen Unterschied zum kirchlichen Glockengeläut: "Wer der arabischen Sprache mächtig ist, hört die eindeutige Feststellung, dass Allah allmächtig und der einzige Gott ist. Dies ist keine tradierte Form der Zeitansage, wie es Kirchen­glocken sind. Dies ist auch ein gerufener Machtanspruch." Was als scheinbare Gleichberechtigung von Religionen daherkomme, werde so zu einer Manifestierung eines Anspruches, die bessere Religion zu sein. "Dies entspricht nicht unserem Verständnis einer pluralen Gesellschaft, in der unterschiedliche Weltanschauungen und Religionen respektvoll miteinander umgehen."

Die weltanschauungsrechtliche Perspektive

Einen nüchtern-juristischen Blick auf das Erlauben des muslimischen Gebetsrufs wirft das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw). Direktoriumsmitglied Gerhard Czermak gibt zu bedenken: "Es ist streng zu unterscheiden zwischen der rechtlichen Zulässigkeit und der Beurteilung nach persönlichem Dafürhalten. Grundsätzlich ist der Muezzinruf genauso eine Religionsausübung wie das Glockenläuten. Auf dieses Grundrecht können sich selbstverständlich auch Muslime gleichberechtigt berufen, wenn sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen." Ob das veranstaltende Moscheeforum als Religionsgemeinschaft im Rechtssinn zu werten oder doch wie eine solche zu behandeln sei, bedürfe wegen der Besonderheiten des Islams näherer Prüfung. Wenn man vorläufig davon ausgehe, dass der Muezzinruf als Religionsausübung nach Artikel 4 Absatz 2 im Grundgesetz im Prinzip zulässig ist, sei dann nur die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsfähigkeit fraglich, die bei erforderlichen und realistischen Auflagen kein besonderes Problem sein sollte. "Es ist jedenfalls eine Frage des baurechtlichen Gebietscharakters und der fachlichen Ermittlung des maximalen Lärmschutzpegels. Fünf Minuten sind wohl nicht zwingend, vielleicht reichen drei Minuten. Ob 60 Dezibel realistisch einzuhalten sind, muss vor Ort entschieden werden." Zum Schluss stellt Czermak noch einmal klar: "DiTiB-Einrichtungen beurteilen wir gesellschaftspolitisch kritisch, aber Anspruch auf Ihr Recht haben sie."

Was der Muezzinruf für vor Religion Geflohene bedeutet

Rana Ahmad aus dem Vorstand der Säkularen Flüchtlingshilfe bringt noch eine ganz andere Sichtweise in die Debatte ein: "Die Entscheidung, den Muezzinruf zu erlauben, hat die Ex-Muslime in Köln nicht berücksichtigt. Viele werden gezwungen, den Muezzinruf in ihren Heimatländern zu hören. Traumatisierte und diskriminierte Menschen sind deshalb nach Deutschland geflüchtet. Solche Entscheidungen lassen uns immer eine Ungerechtigkeit fühlen."

Mina Ahadi, Sprecherin des Zentralrats der Ex-Muslime in Deutschland ergänzt: "Ich bin gegen den Muezzinruf, weil das ein Angriff auf unser Leben durch die Religion ist, und heutzutage besonders von Islamisten und der islamischen Bewegung." Sie stellt den nun genehmigten islamischen Gebetsruf den Freiheitsprotesten in ihrem Herkunftsland gegenüber: "Ich denke, wenn heute im Iran Frauen und Menschen allgemein eine Revolution gegen das Kopftuch und islamische Gesetze angefangen haben und so mutig für Freiheit kämpfen und die Weltöffentlichkeit zeigt, dass sie diese Bewegung versteht und solidarisch ist mit den Frauen und Männern im Iran, dann sollten auch Frau Henriette Reker (die Oberbürgermeisterin von Köln, Anm. d. Red.) und alle Politiker in Deutschland den Kern dieser Bewegung sehen und ihre Politik gegenüber Islamisten ändern."

Der Zentralrat der Ex-Muslime hat für heute um 13 Uhr eine Demonstration vor der Ehrenfelder DiTiB-Moschee angekündigt. "Wir werden uns am Freitag vor dieser Moschee versammeln und erklären, dass (…) es islamischen Organisationen in erster Linie nicht erlaubt sein sollte, diese politischen Rufe in der Öffentlichkeit zu tätigen und dabei Menschen zu stören, ängstigen und in einigen Fällen an ihr Trauma zu erinnern", heißt es in dem Protestaufruf bei Facebook.

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