Für die Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch

Menschenrechte und Religionsfreiheit – Freiheit von Religion

In der deutschen Rechtspraxis richtet sich § 166 Strafgesetzbuch demnach ausschließlich an die Anhänger einer Religion (hier: Christentum und Islam und deren zahlreiche Gruppierungen), die unantastbare heilige Schriften und absolutierte "Wahrheiten" in das gesellschaftliche Leben hineintragen. Deutschland schafft für diese Personen und Gruppen einen (weiteren) Sonderrechtsbestand. Gläubige, die den Vorwurf der Blasphemie machen und hierfür sogar über ein eigenes Religionsstrafrecht ihre Mitmenschen strafrechtlich belangt sehen wollen, bringen damit eine Sichtweise mit enormem Eskalations- und Gewaltpotential in die deutsche Gesellschaft ein. Es gibt keinen rechtlichen Grund, warum die deutsche Justiz weiterhin religiöse Bekenntnisse mit einem Sonderstraftatbestand schützen sollte.

In Ergänzung der oben genannten Bundestagspetition sind rechtliche Argumente zur Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch:

Rechtsstaatsprinzip

Nach Grundgesetz Art. 103 Abs. 2 muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wurde. Jedoch wird nach § 166 Strafgesetzbuch die Meinungsäußerung erst nachträglich durch das Handeln des "Opfers" zu einer Straftat, nämlich, wenn das "Opfer" für eine Störung des öffentlichen Friedens sorgt oder damit droht oder einer Religionsgruppe angehört, bei der die deutschen Strafverfolgungsbehörden mit einer Störung des öffentlichen Friedens rechnen können.

Ist es den Künstlern, Kabarettisten, Satirikern, freien Bürgerinnen und Bürgern bei der Ausübung ihres Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung aufzuerlegen, vorab die Gewaltbereitschaft religiöser Gruppen strafrechtlich zuverlässig einzuschätzen?

In der deutschen Gesellschaft ist weithin akzeptiert, dass dies bei bestimmten religiösen Normen möglich ist. Zu den Grenzen seiner Meinungsfreiheit sagte der Kölner Kabarettist Jürgen Becker zuletzt in der Debatte, ob es für die öffentliche Sicherheit verantwortbar sei, wenn im Kölner Rosenmontagsszug ein Charlie-Hebdo-Wagen mitfahre: "Gefährdung muss man mit kalkulieren, das tue ich auch. Ich halte mich etwa immer an das Bilderverbot und würde nicht Mohammed zeigen." Es hat sich eingespielt, dass der Kabarettist stattdessen bei seinen Auftritten und Fernsehsendungen anstelle eines Mohammed-Abbildes ein Fotografie-Verbotsschild hochhält. Dahingegen hätte der deutsche Gesetzgeber in seiner säkularen Ausrichtung bei den Gläubigen jeglicher Fasson jeglichen Zweifel zu beseitigen, dass deutsche Gerichte zum Erfüllungsgehilfen der Wertevorstellungen religiös-fundamentalistischer Gewalt werden: sei es strukturelle Gewalt, wie sie sich in der Selbstzensur freier Bürger aus nachvollziehbarem Eigenschutz zeigt, oder konkrete Gewalt, wie sie durch einzelne Gefährder und größere Gruppen des religiösen Mobs gegen Sachen und Menschen ausgeübt wird. Der § 166 Strafgesetzbuch trägt unmittelbar zu diesem Zweifel bei. Es passt nicht in einen Rechtsstaat, wenn Kabarettisten auf ein Stück ihrer Meinungsfreiheit zu verzichten haben, um nicht um ihr Leib und Leben bangen zu müssen.

Grundsätzlich ist bei der Vielzahl an Religionen und der Vielzahl an Glaubensrichtungen innerhalb einer Religion (allein im Christentum über 300 sich gegeneinander abgrenzende Gruppierungen) für die meinungsäußernden Bürgerinnen und Bürger keine Prognose möglich, wodurch und bei wem religiöse Gefühle verletzt werden, und ob dadurch bestimmte Personengruppen das Eigentum und das Leben ihrer Mitmenschen zerstören und den öffentlichen Frieden verletzen werden.

Daher ist § 166 Strafgesetzbuch in einer religiös pluralen Gesellschaft nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar.

Unbestimmtheit des Rechtsguts

Nach Strafgesetzbuch § 166 Abs. 1, ist das Rechtsgut der "Inhalt des religiösen … Bekenntnisses". Nach Abs. 2 zusätzlich auch die Kirche, ihre Institutionen und Gebräuche.

Es ist weitgehend unbestimmt, was eigentlich das Rechtsgut eines nach § 166 Strafgesetzbuch geschützten Religionsbekenntnisses im Einzelnen sein soll. Bibel und Koran sind jeweils in zentralen Bekenntnisinhalten widersprüchlich und helfen hier nicht zu einer Klarheit. Die deutsche Rechtsprechung scheint hauptsächlich von der Geographie des Gerichtsstandes, dem Datum der Verhandlung und der weltanschaulichen Erziehung von Staatsanwalt und Richter geprägt zu sein.

Was ist das Rechtsgut, was soll hier geschützt werden? Die Person des auf andere Götter eifersüchtigen und durch seine eigenen Menschengeschöpfe leicht zu beleidigenden Bronzezeit-Gotts orientalischer Halbnomaden, der von den hierzulande größten Religionsgruppen der Christen, Moslems und Juden angenommen wird? Dieser oder ein anderer Gott hat auf Grund von Gottesbeschimpfung noch nie nachweislich den öffentlichen Frieden in Deutschland gestört. Die Gefühlswelt eines Gottes ist seit der Aufklärung nicht mehr das Rechtsgut. Die Würde eines Gottes ist unfassbar. Wo kein Kläger, da kein Richter. Heute gehört der öffentliche Frieden zum Rechtsgut. Dieser ist Gegenstand der Gefühle und Handlungen der Gläubigen. Daher konstituieren religiöse Gefühle mittelbar das Rechtsgut von § 166 Strafgesetzbuch.

Worauf basieren diese religiösen Gefühle? Ist angesichts der Unbestimmtheiten und Widersprüchlichkeiten der landläufigen religiösen Bekenntnisse nicht vielmehr anzunehmen, dass es sich bei den § 166er-Tatbeständen, die sich auf Religionsbeschimpfung mit Bezug zu übernatürlichen Eingriffen beziehen, sämtlich um wahre Tatsachenbehauptungen handelt? Letztlich braucht es hierfür nur das Schriftstück, die Zeichnung oder Karikatur verbunden mit einer Wahrheitsbehauptung. Denn auf der Seite der religiösen Bekenntnisse liegt kein beweiskräftigerer Schriftsatz vor. Eine wahre Tatsachenbehauptung kann im Rechtsstaat – selbst wenn sie in Schärfe vorgebracht wird – nie als Beschimpfung gewertet werde.

Die Welt und damit auch das deutsche Rechtswesen sind nach Auffassung beispielsweise der christlichen und muslimischen Bekenntnisse voller übernatürlicher Eingriffe („Wunder“) in das Denken und Handeln der Menschen. Wenn diese religiösen Bekenntnisse wahr wären, wären von diesen übernatürlichen Eingriffen das Strafrecht und Zivilrecht – letztlich alle Rechtsgebiete – betroffen. Gerichtsrelevante Sachverhalte sind jedoch aus den religiös propagierten übernatürlichen Eingriffen in das Weltgeschehen bislang in keinem Fall nachweislich entstanden.

Wenn der deutsche Gesetzgeber (auf Grund des nicht-repräsentativen, religiösen Fraktionszwangs der Regierungsparteien) den § 166 Strafgesetzbuch beibehalten möchte, wäre es rechtspolitisch konsequenter, das ursprüngliche und eigentliche Rechtsgut dieser Norm wieder herauszustellen: die Blasphemie.

Damit könnte ein Übergriff von Strafgesetzbuch § 166 in die Grund- und Menschenrechte, in die Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit, in Theorie und Rechtspraxis vermieden werden. Formulierungsvorschlag (in größtmöglicher Anlehnung an den aktuellen Gesetzestext):

Wer einen Gott beschimpft und der Gott auf Grund der Beschimpfung seines Bekenntnisses nachweislich den öffentlichen Frieden stört, oder die Beschimpfung geeignet ist, nachweislich einen Gott zur Störung des öffentlichen Friedens zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Sollte dieser Fall eintreten, wäre es dem Gesetzgeber ohnehin anzuraten, das gesamte Bekenntnis des betreffenden Gottes in das Gesetz zu überführen ;-)

Öffentlicher Friede

Das derzeit einzig einigermaßen greifbare Entscheidungskriterium, nämlich die Frage der Störung des öffentlichen Friedens, liegt im Ermessen der religiös Beleidigten. Denn nur sie können die notwendige Grundlage für die Verurteilung von Kabarettisten, Satirikern oder anderen Personen schaffen, von denen sie sich beleidigt fühlen. Damit ist der § 166 Strafgesetzbuch auch eine "Aufforderung zum Faustrecht" wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung im Januar titelte.

Ungleichbehandelt wird der, der friedliebend und tolerant ist, und nicht eskaliert. Recht hat der, der gefühlsmäßig religiös reizbar ist; derjenige, der die Eskalation seiner inneren Gefühlswelt in die Bevölkerung und die Bevölkerung zu (gewaltsamen) Ausschreitungen auf die Straße bringt – oder unserem Rechtssystem glaubhaft damit droht.

Die im Jahr 2005 in Dänemark veröffentlichten Mohammed-Karikaturen wurden nicht zuletzt durch die Blasphemie-Anzeige islamischer Organisationen nach § 140 des dänischen Strafgesetzbuches emotionalisiert, woraufhin es weltweit zu Ausschreitungen vor europäischen Botschaften und Kulturzentren kam und die Blasphemie-Eskalation zu Mord und Totschlag führte. Genauso richtet sich das deutsche Strafgesetzbuch und die Rechtsprechung daran aus, dass es religiöse Bekenntnisse gibt, die das Zeichnen oder Karikieren eines der orientalischen Religionsstifter mit dem Tode bestraft sehen wollen.