BONN. (hpd) Die beiden Psychologen Mahzarin R. Banaji und Anthony G. Greenwald fragen in ihrem Buch "Vor-Urteile. Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können" nach der Existenz von latenten rassistischen Einstellungen. Da die Darstellung und Erörterung mit vielen Fallbeispielen und Selbsttests angereichert wurde, erleichtert dies die Lektüre, lässt es aber auch an Systematik fehlen.
In modernen Demokratie gehört Anti-Rassismus zum öffentlichen Grundkonsens. Eine Benachteiligung aufgrund der Hauptfarbe, genau das meint Rassismus, negiert mit dem Diskriminierungsverbot ein Grundprinzip der Menschenrechte. Doch machen Ereignisse der unterschiedlichsten Art immer wieder deutlich: Rassistische Einstellungen bestehen sehr wohl weiterhin. Dass Polizeibeamte in den USA trotz fehlender realer Konfliktsituation einzelne Schwarze töteten oder verletzten, gilt als manifester Beleg für diese Sicht. Offenkundig reagieren die Gemeinten so aufgrund von tief sitzenden Vorurteilen.
Gibt es diese aber auch bei jenen Menschen, die sich für frei von derartigen rassistischen Einstellungen halten. Dieser Frage gehen die beiden US-amerikanischen Psychologen Mahzarin R. Banaji und Anthony G. Greenwald in ihrem Buch "Vor-Urteile. Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können" nach. Sie konstatieren darin das Bestehen eines "blinden Flecks" in Form der Existenz versteckter Vorurteile: "Man könnte sie, mangels eines Fachbegriffs, als 'Wissensteilchen' über soziale Gruppen bezeichnen. Diese Art von 'Wissen' ist", so Banjaji und Greenwald, "in uns gespeichert, da wir ihr dauernd in unserem gesellschaftlichen Umfeld begegnen. Sind diese Vorurteile einmal in unserem Gehirn abgespeichert, so können sie unser Verhalten gegenüber bestimmten sozialen Gruppen beeinflussen, und wir merken nichts davon. Die meisten Menschen, mit denen wir über versteckte Vorurteile gesprochen haben, fanden es unfassbar, dass ihr Verhalten von unbewusstem Wissen gesteuert wird" (S. 12).
Genau dies wollen die Autoren in ihrem Buch aufzeigen. Dazu bedienen sie sich des "Impliziten Assoziationstests" (IAT), der mit dieser Absicht entwickelt wurde. Nach einigen Äußerungen zu anderen geistigen Fehlleistungen und optischen Selbsttäuschungen erläutern Banaji und Greenwald deren Grundzüge, die dann in der Entwicklung eines "Rassen-IAT" (vgl. S. 60ff.) zur Messung von Aversionen gegenüber Schwarzen und Präferenzen gegenüber Weißen münden.
Dabei stellt sich heraus, dass das Ergebnis bei um die Hälfte der Getesteten nicht mit der Selbsteinschätzung übereinstimmt. Die Assoziation bestimmter negativ oder positiv besetzter Begriffe mit schwarzen oder weißen Kinder mache dies auch bei den "Guten" deutlich. Damit meinen die Autoren die "Menschen, die sich u. a. dadurch auszeichnen, dass sie keine bewusste Vorliebe für Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe haben. Obwohl sie sich selbst also als Vertreter egalitärer Werte betrachten, bescheinigt ihnen ihr Ergebnis beim Rassen-IAT eine 'automatische Präferenz für Weiße'. Wie wir wissen, handelt es sich nicht um Einzelfälle. Von den über 1,5 Millionen weißen Amerikanern, die sich im Internet diesem Test unterzogen, zeigen um die 40 Prozent dieses Muster" (S. 181f.). Demnach handele es sich um einen erheblichen Anteil der Gesamtbevölkerung. Und einem großen Teil von ihnen sei offenbar "gar nicht bewusst, dass sie zur Benachteiligung der Afroamerikaner beitragen, dadurch dass sie ihnen anders als Weißen begegnen" (S. 182).
Banaji und Greenwald haben mit ihrer Arbeit "Vor-Urteile" kein Buch in einer streng wissenschaftlichen Form vorgelegt. Es liefert häufig Fallbeispiele und Selbsttests, wodurch es zum Mitdenken und Mitmachen einlädt. Auch die Darstellung des "Impliziten Assoziationstests" ermöglicht ein individuelles Nachvollziehen, wobei die jeweiligen Ergebnisse nicht immer den persönlichen Erwartungen entsprechen müssen. Dies alles erleichtert die Lesbarkeit, minimiert aber die Systematik. Gerade darin besteht das Problem mancher Beschreibungen, die hinsichtlich ihrer Folgen und Konsequenzen nicht immer systematisiert werden. Gleichwohl können die Autoren die Existenz der verborgenen "Vor-Urteile" anschaulich aufzeigen. Deutlich machen sie dabei, dass der menschliche Intellekt nicht nur derartige Einstellungen erkennen, sondern auch dagegen vorgehen kann. Da die Autoren keine Politologen, sondern Psychologen sind, thematisieren sie die gesellschaftliche Ebene nicht näher, was bedauerlich, aber auch verständlich ist.
Mahzarin R. Banaji/Anthony G. Greenwald, Vor-Urteile. Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können, München 2015 (Deutscher Taschenbuch-Verlag), 285 S., 16,90 Euro