STUTTGART. (hpd) Nicht wenige Bundesbürger, vor allem diejenigen, die noch nie dort waren, verbinden das südöstliche Bundesland zunächst mit dem markanten Dialekt, und in letzter Zeit auch mit Ausländerfeindlichkeit sowie alltäglichem Fremdenhass.
Man weiß wenig über die Kultur, die Landschaft und die Menschen, von denen sich viele gar nicht als typische Sachsen fühlen. Es gibt ihn nicht, DEN Sachsen, so wenig wie es DEN Baden-Württemberger oder DEN Bayern gibt.
Die Menschen, die im Freistaat leben, haben entsprechend der Region, in der sie leben, sehr unterschiedliche kulturelle Mentalitäten.
Leider hört man in der letzten Zeit sehr viel Negatives aus Sachsen. Da ist von Neonazismus und Fremdenhass die Rede. Die Bilder von angezündeten Asylbewerberunterkünften vermitteln den Eindruck eines Bundeslandes mit einem hohen Anteil von "Unkultur".
Da ist von ungebremster Zuspitzung des Fremdenhasses die Rede, die Regierung warte ab, die Bevölkerung halte sich weitgehend zurück. Alles in Allem – das Bild der Sachsen macht derzeit keinen guten Eindruck. Doch der Eindruck ist eher ein Fehldruck, denn es gibt ein ganz anderes Sachsen.
Das Erzgebirge ist ein Teil des Freistaates, grenzt an Thüringen, das Vogtland und die Tschechische Republik und dort spricht man auch nicht den allseits bekannten etwas leiernden sächsischen Dialekt.
Am Sonntag, dem 16. August 2015 zeigte man in dieser Region, was man kulturell drauf hat. Die 5. Erzgebirgische LiederTour fand rund um die Fichtelbergbahn statt und zog Interessierte aller Altersklassen an.
Selbstbewusst präsentierten die Künstler Traditionelles, Blues, Jiddische Musik und vieles mehr. In der ganz eigenen Mundart sang man von den Problemen, die es früher in der Bergbauregion gab, die Musiker erzählten sowohl von Arbeitslosigkeit als auch von der Lebensfreude in der heutigen Zeit. Von Hass gegen Fremde hörte man keine Strophe, keinen einzigen Text. Eine gelungene Parodie auf die Sprache der Tschechen war der einzige “Seitenhieb” auf das so genannte “Fremde”.
Die bei der Veranstaltung anwesenden Künstler wie der Zither-Virtuose Michal Müller oder Alžběta Trojanová an der Harfe fühlten sich in Sachsen ganz wohl und sind nicht zum ersten Mal in diesem Bundesland.
Dass, trotz des Wetters - es regnete sehr häufig und manchmal auch sehr kräftig - so viele Menschen durch die Gegend wanderten oder fuhren, zeigt, dass man in Sachsen auch anders kann, dass man nicht alles schlecht redet, man nicht nur jammert und klagt.
Vielleicht findet die Leiterin der Villa Baldauf, Constanze Ulbricht, die diese Veranstaltung mit ihren Mitarbeitern brillant organisiert hat, im kommenden Jahr einen Mitstreiter unter den Menschen, die bei uns Asyl suchen. Vielleicht misst sich dann der Trommler Bert Baldauf mit einem Kollegen aus Afrika? Vielleicht ertönen neben tschechischer und jiddischer Musik auch Klänge in Suaheli?
Es kommen ja viele in diesen Zeiten und sie kommen auch nach Sachsen, ins Erzgebirge – dahin, wo die Kultur zu Hause ist und Grenzen nicht existieren.
1 Kommentar
Kommentare
Stefan Sterni Mösch am Permanenter Link
Wu de Welf wieder heiln
ganz spät in dr Nacht,
Wu sich Ausländer firchten,
wu's in der Kneip lauthals lacht
Wu dr Pfarrer auf dr Kanzel
jedn Sonntig frieh stieht
weil's halt gar nimmer gieht...
Auch diese Strophe aus einer unserer Balladen brachte ich mit "Sterni und Freunden" unseren aufmerksamen Zuhörern in Vierenstraße zu Gehör - und auch in anderen Liedern scheue ich mich nicht davor, den Finger mal tüchtig in die Wunde zu legen, auch wenn das mitunter einigen gar nicht so recht gefällt.
Na ja, ehrlich zugegeben, sind in unserem Erzgebirge die kritischen Töne eher Mangelware, aber es gibt sie doch.
Übrigens gab es auch wenigstens eine farbige Zuhörerin, nämlich meine Frau Adeline aus Benin, der die Liedertour trotz der großen Kälte recht viel Spaß gemacht hat. Übrigens ist sie gerne bereit, im nächsten Jahr mit Berts Unterstützung ein Ständchen zu geben. Am liebsten würde sie dann das Lied "Ghaddafi-e" in Deutschland uraufführen.
Glück auf
Sterni und Freunde