Warum ich nicht zur katholischen Hochzeit gehen kann

Die Einladung zu einer religiösen Hochzeit wäre für mich kein Problem, wenn es um eine Segnung durch Feen, Elfen oder Erdstrahlen ginge, die nicht zur Rechtfertigung von Ausgrenzung, Verfolgung und Tötung anderer Menschen genutzt werden. Der damit verbundene esoterische Mumpitz ließe sich als interessante Erfahrung verbuchen. Aber die Segnung durch eine Organisation, die die Würde der Menschen mit Füßen tritt und die so viel Böses hervorgebracht hat wie die katholische Kirche? Dann könnte man auch um den Segen eines Mafia-Paten bitten.

Wir sind es allein schon jeder einzelnen der ungezählten namenlosen Frauen schuldig, die die katholische Kirche im Namen ihres Gottes als “Hexe” gefoltert und anschließend lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat, dieser Kirche die Gefolgschaft zu verweigern. Denn für die Kirche sind die schweigend mitlaufenden "Schäfchen" die nützlichsten: sie stellen keine Fragen, sie meckern nicht und sie erheben keine Forderungen.

An einer katholischen Hochzeit ohne Protest teilzunehmen, käme für mich einer stillschweigenden Zustimmung zur Ausgrenzung, Diskriminierung, Kriminalisierung und Verfolgung von LGBT-Menschen in der ganzen Welt durch die katholische Kirche gleich.

Wir sind in der privilegierten Lage, Zugang zum Wissen über Religion zu haben und wir haben die Freiheit darüber zu sprechen. Daraus erwächst die Verpflichtung das Offensichtliche auszusprechen und den Religionen konsequent aufgeklärtes Denken, Verstand und Vernunft entgegenzusetzen. In ein Milieu katholischer Traditionen hineingeboren zu werden, kann uns nicht dazu verdammen ein Leben in intellektueller Unredlichkeit zu führen und dieses absurde religiöse Theater wider besseren Wissens bis an unser Lebensende mitzuspielen.

Bertrand Russell bezeichnet Religion als das größte Hindernis für moralischen Fortschritt (vgl. Russell 1927). Und Michael Schmidt-Salomon (2015) folgert: "Ohne die zusätzlichen Irritationen, die die Religionen erzeugen, würde es uns viel leichter fallen, globale Ungerechtigkeiten zu beseitigen und für eine Durchsetzung der Menschenrechte zu sorgen".

Letztlich kann es nur noch darum gehen, wie wir uns dem kulturellen Erbe des Katholizismus gegenüber verhalten. Wir können weiterhin eine katholische Messe besuchen, weil wir den Geruch von Weihrauch lieben – ohne uns dabei das Hirn vernebeln zu lassen. Neben den zahlreichen widerlichen und abstoßenden Texten in der Bibel gibt es in ihr auch schöne Stellen wie 1. Korinther 13: 1–13, "Das Hohelied der Liebe". Mir gefällt besonders die geringe Verwendung von Adjektiven. Die sich daraus ergebende Kargheit der Syntax, ist von ähnlicher Schönheit wie minimalistische Architektur. Wir können die Texte der Bibel lesen, wie wir auch griechische Göttersagen lesen, ohne deshalb an Zeus oder Odysseus zu glauben. Ralph Waldo Emerson (Dawkins 2010: 45) hat es so formuliert: "Die Religion des einen Zeitalters ist die literarische Unterhaltung des nächsten."


Literatur:
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Lewandowski, Sven (2004): Sexualität in den Zeiten funktionaler Differenzierung. Eine systemtheoretische Analyse, transcript Verlag: Bielefeld.

Myers, Pz (2014): The Happy Atheist, Vintage Books: New York.

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Sigusch, Volkmar (2013): Sexualitäten. Eine kritische Theorie in 99 Fragmenten, Campus Verlag: Frankfurt am Main.

Sigusch, Volkmar (2011): Auf der Suche nach der sexuellen Freiheit. Über Sexualforschung und Politik, Campus Verlag: Frankfurt am Main.

Simon, William (1990): Die Postmodernisierung der Sexualität, in: Zeitschrift für Sexualforschung, Jg. 3, Nr. 2, S. 99–114.

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