Die theologische Aufrüstung 1933 bis 1945

Die theologischen Brückendenker von 1933 bis 1945

Andere katholische "Brückendenker" dieser Zeit waren Bischof Wilhelm Berning, Linus Bopp, Anton Stonner und Rudolf Graber, der nach dem Krieg bis 1982 als Bischof in Regensburg wirkte. Der österreichische Kurienbischof Alois Hudal veröffentlichte 1937 ein Buch "Die Grundlagen des Nationalsozialismus", in dem er die Unterstützung der NS-Bewegung durch die Kirchenleitung forderte. Er beschimpfte die Sozialdemokraten und die Pazifisten als die "vaterlandslosen Gesellen", die dem deutschen Heer im Herbst 1918 in den Rücken gefallen seien. Sie hätten die Ehre der Soldaten geschändet, danach sei die Sturmflut der Revolution über das deutsche Vaterland gekommen. Doch jetzt müssten alle Gutgesinnten um ein neues Vaterland und um ein großes Reich ringen; die Kulturwende habe 1933 bereits begonnen. Die NS-Bewegung werde von konservativen Moralwerten getragen, die auch die katholische Kirche vertrete. Sie kämpfe gegen den gefährlichen Liberalismus im Denken und Glauben, gegen das Slawentum und den Bolschewismus. [13]

Hudal referiert weitere NS-Lehren wie folgt: Bereits F. Nietzsche habe gegen die rationale Aufklärung gekämpft und den Geist des Liberalismus überwunden. Doch von nun an seien die Germanen die Gestalter und Schöpfer einer neuen Weltordnung. Die Reinheit der Rasse sei ihnen der oberste Wert, die neue Ethik des Reiches gründe auf Blut und Boden. Was die Juden angehe, so habe sich bereits Thomas von Aquin deutlich von ihnen abgegrenzt, denn sie hätten seit dem 19. Jahrhundert zu viel Einfluss in der Wirtschaft, der Medizin, der Finanzwelt und der Presse bekommen. Daher müsse der Vormarsch der Juden jetzt gestoppt werden, folglich seien die Nürnberger Rassengesetze (1935) unausweichlich gewesen. – Die Kirche stelle sich nun nicht gegen die Bildung eines gesunden Volkskörpers und die medizinische Forschung, doch ein naturalistisches Programm der Eugenik lehne sie ab. Dies habe auch der Papst Pius XI. betont. Doch sie unterstütze die völkische Menschheitslehre, die Erbpflege, die Rassenhygiene und die aktive Bevölkerungspolitik. [14]

Das Endziel der NS-Politik sei ein geschlossenes Volkstum, der Jurist Carl Schmitt habe daher das Staatsrecht zu einem Rassenrecht umgeformt. Der Kampf gelte fortan dem Individualismus und dem Partikularismus, denn die neuen Eliten des Geistes müssten eine einheitliche Kultur und Erziehung schaffen. Das liberale Denken und die Freimaurer müssten hart bekämpft werden, im starken Staat gehe immer die Politik vor der Moral (Machiavelli). Jetzt sei ein germanisches Christentum im Entstehen, ein christlicher Nationalsozialismus sei möglich geworden. Der Kampf gelte von nun an dem gottlosen Bolschewismus im Osten. Daher ließen sich die christlichen, die sozialen und die nationalen Ideen miteinander verbinden; der neue Staat brauche einen starken Führer wie die Kirche. Trotz der Differenzen (u.a. "Überbetonung der Begriffe Rasse – Erbmasse") sei die Unterstützung der NS-Bewegung durch die katholische Kirche möglich und sogar notwendig geworden. Folglich würden die wertvollsten Kräfte der NS-Politik aus der Kirche kommen, sie würden in der Stunde der Gefahr tapfer bei der deutschen Fahne bleiben. Doch die Kirche sei weiterhin ein Leuchtturm der Wahrheit und der Moral; nur in der Frage der Eugenik könne sie nicht allen Lehren des NS-Staates folgen. [15]

Auch die protestantischen Theologen und Kirchenmänner unterstützten mit großer Mehrheit die aufkommende NS-Ideologie. Sie trauerten dem aufgelösten Kaiserreich nach und waren über den "Schandfrieden" von Versailles (1919) erzürnt. Schon seit dem 19. Jahrhundert hatte man gegen Denkmodelle und Zielwerte der rationalen Aufklärung argumentiert. Zu den stereotypen Feindbildern gehörten das freie Denken und Glauben, der Bolschewismus in Russland, der Utilitarismus in England und der Materialismus sowie die Demokratie in Frankreich. Im konservativen Luthertum oder im Calvinismus sah man die wahre Form des christlichen Glaubens. Protestanten unterstützten den Nationalismus und den Imperialismus der Kaiserzeit. [16]

Der Tübinger Bibelexeget Gerhard Kittel trat schon 1933 der NS-Partei bei und veröffentlichte in diesem Jahr ein Buch über die "Judenfrage". Darin schrieb er, die Juden seien von Gott abgefallen, daher liege auf ihnen ein göttlicher Fluch (Paulus von Tarsos). Die rationale Aufklärung habe den christlichen Glauben verdorben, und die Juden hätten im Staat und in der Gesellschaft viel zu viele Rechte bekommen. Dieser Zustand müsse sofort geändert werden. Für die Juden könne es keine Gleichberechtigung mit den Christen geben, sie müssten von den christlichen Bürgern streng getrennt werden. Juden müssten in Europa in einen "Gastzustand" versetzt werden, die Mischehen zwischen Juden und Christen müssten sofort verboten werden. Dieser angesehene Theologe wurde von der NS-Partei als Fachmann für "Judenfragen" engagiert. Er hat an der Konzeption der Rassengesetze von 1935 aktiv mitgearbeitet und war vielfältig involviert in die institutionalisierte "NS-Rassenforschung". [17]

Seit 1936 arbeitete Gerhard Kittel u.a. mit Julius Streicher im Archiv für Judenfragen, das von A. Rosenberg geleitet wurde. Er war dort bis zum Frühjahr 1945 tätig und damit in die gesamte Judenvernichtung eingeweiht. 1933 schrieb er noch, die physische Ausrottung der Juden sei technisch nicht machbar, ihre Aussiedelung nach Palästina führe zu politischen Konflikten mit den Arabern. Folglich bleibe nur die strikte Trennung der Juden von den Christen. Als die physische Vernichtung der Juden später "technisch" möglich wurde, hatte er keine Einwände dagegen. Er schrieb, die Juden strebten nach der Weltherrschaft. Jesus von Nazareth sei im geistigen Sinn sogar antijüdisch gewesen und von den jüdischen Autoritäten getötet worden. Dieser Theologe verfasste ein großes Lexikon der Bibelwissenschaft, das im Theologiestudium heute noch benutzt wird. [18]

Gerhard Kittel war nach 1945 zu keinem Schuldeingeständnis bereit, denn er hatte ja im "göttlichen" Auftrag gehandelt und ein deutscher Professor konnte auch nicht irren. Die französischen Besatzer sperrten ihn nach dem Krieg ein und enthoben ihn seines Amtes. Nun war dieser Theologe aber kein Außenseiter, vielmehr vertrat er den Mainstream protestantischer Theologie im Bann der "Deutschen Christen". Aus kritischer Sicht stellen seine Lehren über die Juden den Tiefpunkt der christlichen Theologie dar; die christliche Gotteslehre war hier vollends zusammengebrochen. Der Inder Mahatma Gandhi schrieb 1948, die Christen seien in den beiden Weltkriegen den Lehren des "Teufels" gefolgt. Doch die christlichen Theologen hatten dies gar nicht bemerkt. [19]

Auch der Erlanger Theologe Paul Althaus kämpfte vehement gegen die Weimarer Republik, gegen die "Verbrechen von Versailles" und gegen die "Entdeutschung" der ganzen Kultur. Die Sozialisten, die Kommunisten und die Pazifisten seien im Herbst 1918 dem deutschen Heer in den Rücken gefallen, sie hätten die Niederlage im Krieg verursacht. Daher sei mit der Machtergreifung A. Hitlers ein göttliches "Wunder" geschehen, denn der Führer sei ein Lehrer und Wegweiser in eine neue Zeit. Das Deutschtum und das Christentum seien im Grunde identisch, beide führten einen Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus. Doch seit langem bedrohe der jüdische Volksstamm die deutsche Kultur, daher müssten sich jetzt alle Deutschen gegen die Juden wehren. Das ganze Denken der rationalen Aufklärung sei von den Juden bestimmt gewesen, es habe zur Dekadenz der Gesellschaft geführt. Daher müssten sich die Deutschen wieder an den Lehren M. Luthers orientieren und dieses Erbe mit ihrem Blut bewahren. [20]

Der Göttinger Theologe Emmanuel Hirsch schrieb mehrfach über die Größe der deutschen Nation; es kämpfe die deutsche Theologie vehement gegen den Relativismus, den Skeptizismus und den Liberalismus im Denken und im Glauben. Nur das apokalyptische Denken der Religion könne jetzt den Verfall des Glaubens und der Moral noch aufhalten. In England und in Frankreich sei der Glaubensverfall am weitesten fortgeschritten, dort hätten die Menschen die metaphysische Tiefe verloren. Nun brauche jedes Volk einen starken Führer. Durch Adolf Hitler sei eine nationale Wiedergeburt der Deutschen in Gang gekommen; sie müssten unter dem "Hammer Gottes" zu hartem Eisen und Stahl geschmiedet werden. Die deutschen Mütter hätten jetzt große Aufgaben für das Volk zu vollbringen. Durch das "Band des Blutes" beginne eine neue Zeit, denn der Führer sei von der göttlichen Vorsehung geleitet. Jesus sei kein Jude gewesen, in ihm sei arisches Blut geflossen. Ab sofort müsse das ganze Volk am "Blutopfer" des Erlösers teilnehmen. [21]

(wird fortgesetzt)

[1] H. Münkler, Der große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918. Berlin 2013, 222–238.

[2] A. Leugers, Gegen eine Mauer bischöflichen Schweigens. Der Ausschuß für Ordensangelegenheiten und seine Widerstandskonzeption 1941 bis 1945. Frankfurt 1996, 295.

[3] E. Gatz, Die katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert. Freiburg 2009, 98–112.

[4] J. Mausbach, Vom gerechten Krieg und seinen Wirkungen. In: Hochland 12 (1914) 5–12.

[5] M. Schmaus, Begegnungen zwischen dem katholischen Christentum und der nationalsozialistischen Weltanschauung. Münster 1933, 5–10.

[6] ebenda 7–11.

[7] ebenda 10–21.

[8] ebenda 20–31.

[9] ebenda 30–43.

[10] J. Lortz, Katholischer Zugang zum Nationalsozialismus. Frankfurt 1933, 12–28.

[11] K. Adam, Deutsches Volkstum und katholisches Christentum. In: Theologische Quartalschrift. Tübingen 1933, 40–63.

[12] A. Grabner-Haider / P. Strasser, Hitlers mythische Religion. Theologische Denklinien der NS-Ideologie. Wien. 2007, 93–107.

[13] A. Hudal, Die Grundlagen des Nationalsozialismus. Wien/Leipzig 1937, 9–20.

[14] ebenda 130–137.

[15] ebenda 240–253.

[16] R. P. Ericksen, Theologen unter Hitler. Das Bündnis zwischen evangelischer Dogmatik und Nationalsozialismus. München 1986, 50–54.

[17] ebenda 69–76.

[18] A. Grabner-Haider, Hitlers Theologie des Todes. Kevelaer 2009, 115–126.

[19] M. Gandhi, Über das Christentum. In: H. von Glasenapp (Hg.), Indische Geisteswelt II. Hanau 1987, 280ff.

[20] P. Althaus, Christus und die deutsche Seele. Göttingen 1934, 12–28.

[21] E. Hirsch, Das Wesen des Christentums. Göttingen 1939, 14–32.