Neuer Antisemitismus

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Die jüdische Synagoge in Berlin.
Die jüdische Synagoge in Berlin.

Der latente Antisemitismus in der Gesellschaft wird immer mehr zu einem Problem. Anton Grabner-Haider über die Ursachen für dieses sehr alte Phänomen.

Der neue Antisemitismus beziehungweise Antijudaismus wendet sich gegen ein imaginäres "Weltjudentum", dem er Weltherrschaft über die Kapitalmärkte und den Plan eines neuen Weltkrieges unterstellt. Warum ist diese Ideologie aus dem 19. Jahrhundert heute wieder so erfolgreich? Die Antwort darauf lautet, dass die Erzeuger und Vermittler von Fake News Feindbilder benötigen, Juden bieten sich dafür an: Christliche Theologen und Kleriker hatten über 1.600 Jahre gepredigt, dass auf Juden ein göttlicher Fluch liege; Christen müssten diesen vollziehen.

Als die Juden ab 1870 in den meisten europäischen Ländern bürgerliche Rechte zuerkannt bekamen und alle Berufe ergreifen durften, entstanden Antisemiten-Vereine (Wilhelm Marr). Deren Mitglieder fürchteten die Überlegenheit jüdischer Geschäftsleute, Geldgeber und jüdischer Intelligenz in der Wirtschaft und in den Wissenschaften. Nicht zuletzt auch deshalb verkündeten Jesuiten in ihren Zeitschriften (zum Beispiel in der "Civiltà cattolica"), die Juden seien eine akute Gefahr für den christlichen Glauben und die Moral. Sie müssten wieder, wie es im Mittelalter der Fall war, von Christen getrennt werden und sie dürften auch keinen Grund und Boden besitzen. In der NS-Diktatur wurden solche Forderungen 1935 mit den Nürnberger Gesetzen erfüllt; neben religiösem entwickelte sich auch religionsloser Antisemitismus, der zum Holocaust führte.

Woher stammt der Hass der frühen Christen auf die Juden, obwohl Jesus und die frühen Christen Juden waren? Der Hauptgrund liegt darin, dass die toratreuen Juden Jesus nicht als Messias anerkannten und die Christen aus ihren Synagogen ausschlossen. Damit praktizierten die Christen eine öffentlich nicht zugelassene Religion (religio illicita) und verloren alle staatlichen Privilegien – im Gegensatz dazu blieben toratreue Juden vom Staat geschützt (religio licita) und mussten keine Kaiseropfer darbringen.

Prof. Dr. Anton Grabner-Haider, Foto: @ G. Pongratz, Wikimedia, CC BY-SA 3.0
Prof. Dr. Anton Grabner-Haider, Foto: @ G. Pongratz, Wikimedia, CC BY-SA 3.0

Im Zuge dieser Auseinandersetzungen begannen christliche Prediger gegen toratreue Juden zu hetzen; sie bezeichneten sie als "Söhne des Teufels" (Johannes 8,33), auf denen der Zorn Gottes liege. Zwar blieben die Juden – auch nachdem das Christentum ab 381 nach Christus zur römischen Reichsreligion wurde – weiterhin vom Staat geschützt, christliche Theologen predigten jedoch über Jahrhunderte gegen sie und christliche Fanatiker zerstörten ihre Synagogen (Kallinikon). Da, im Gegensatz zu den Klerikern, christliche Bauern, Handwerker und Händler weiterhin eng mit Juden zusammenarbeiteten, verboten Bischöfe Gastmähler und Eheschließungen zwischen Christen und Juden und Rabbis durften nicht mehr christliche Felder segnen. Im Jahr 1215 beschlossen die römischen Bischöfe (Lateran IV), dass Juden keinen Besitz an Grund und Boden haben dürfen, getrennt von Christen siedeln und zudem an ihren Kleidern (Judenfleck) als Juden erkennbar sein müssen. Als Handwerker und Händler konnten sie allerdings weiterhin tätig bleiben und ihr Geld gegen feste Zinsen verleihen. Diese bischöflichen Gesetze führten dazu, dass Juden zu Spezialisten der Geldwirtschaft wurden, wobei hasserfüllte Prediger (zum Beispiel Georg Ratzinger) und andere Antisemiten bis heute immer wieder behaupten, Juden würden mit ihrem Geld die Welt beherrschen.

Im Mittelalter siedelten Juden als Spezialisten des Handels und Geldverleihes hauptsächlich in den Städten am Rhein (Köln, Mainz, Worms, Speyer) und an der Donau (Regensburg, Passau, Wien). Zahlreiche Herrscher wie zum Beispiel die Babenberger und Habsburger holten jüdische Händler aus Italien und gestatteten Wohnsitze an den großen Handelsstraßen, wobei ihnen erlaubt wurde, den Fernhandel mit Bodenschätzen (Salz, Eisen, Silber, Kupfer, Gold) zwischen Böhmen und Italien zu organisieren. Da viele Juden mehrsprachig (Hebräisch, Latein, frühes Italienisch, Mittelhochdeutsch) waren, wurden sie von den Fürsten auch als Steuerverwalter eingesetzt. Nebenbei finanzierten sie die Kriege der Habsburger gegen Böhmen, Türken, Hussiten, Protestanten und Napoleon, wobei ihnen als Gegenleistung für begrenzte Zeit Schürfrechte in Bergwerken erteilt wurden.

Kaiser Joseph II. (1781) räumte den Juden weitere Rechte ein. 1816 wurde Samuel Rothschild von Frankfurt nach Wien geholt, womit ein Anschluss an die großen Bankhäuser in Paris und London gegeben war. In der Folge finanzierten jüdische Geldgeber den Bau der Palais an der Ringstraße in Wien, bauten in ganz Österreich große Industrieanlagen (Familie Wittgenstein), gründeten Zeitungen sowie Eisenbahnlinien und prägten sehr wesentlich das kulturelle Leben am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. In ganz Europa wurden jüdische Mitbürger führend in den Naturwissenschaften (Biologie, Physik, Chemie, Astronomie), in der Musik, in Literatur und Malkunst. Die Salzburger Festspiele wurden im Jahr 1920 von jüdischen Künstlern gegründet (Max Reinhard, Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig), die österreichische Verfassung stammt vom jüdischen Juristen Hans Kelsen und jüdische Philosophen (zum Beispiel Ludwig Wittgenstein und Karl Raimund Popper) fanden und finden bis heute weltweite Anerkennung.

Fazit: Der alte und der neue Antisemitismus/Antijudaismus bedeutet Kampf der wenig Gebildeten gegen die geistigen und wirtschaftlichen Eliten der globalen Zivilisation sowie Kampf gegen rationale Aufklärung, gegen die Erkenntnisse der kritischen Vernunft und gegen die Allgemeinen Menschenrechte. Er behindert friedvolles Zusammenleben und muss mit allen rechtlich möglichen Mitteln entschieden bekämpft werden.

Der Artikel ist die Kurzfassung einer aktuellen Broschüre mit dem Titel: "Neuer Antisemitismus" von Anton Grabner-Haider; 2020, 28 Seiten

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