BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn will in seinem Buch "Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorien im Kontext" entsprechend des Untertitels politische Theorien im Kontext politischer Rahmenbedingungen darstellen und erörtern. Sein Ansatz überzeugt, da er die Abgehobenheit mancher Theoriedebatten von der Realität kritisiert, hätte aber auch selbst bei der Darstellung der einzelnen Ansätze noch stärker umgesetzt werden können.
Mittlerweile gibt es eine Fülle von Einführungen und Überblicksdarstellungen zur Politischen Theorie. Die meisten Bände orientieren sich an Personen, da findet man dann Kapitel von Platon bis Habermas. Eher seltener kommt es vor, dass Problemstellungen die inhaltliche Struktur prägen. Dann geht es um Legitimationsprobleme oder Menschenbilder. Und kaum gibt es Abhandlungen, welche die politischen Theorien im Lichte der politischen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung und Entwicklung behandeln.
Dazu hatten bereits im 19. Jahrhundert so unterschiedliche Denker wie Karl Marx und Vilfredo Pareto auch heute noch beachtenswerte Anregungen geliefert. Die Kontextgebundenheit der politischen Theorieentwicklung steht ebenfalls im Mittelpunkt einer Darstellung, die der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn unter dem bezeichnenden Titel "Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorien im Kontext" vorgelegt hat. Es geht, so seine "zentrale These, beim Kampf der Ideen auch um den Kampf um Ideen" (S. 15).
Diese Auffassung begründet der Autor zunächst in einem Kapitel zur Methodologie, wobei er deutlich macht: Politischen Theorien geht es darum, politische Ordnung zu stabilisieren oder zu verändern. Demnach muss auch den damit einhergehenden Funktionen, Interessen und Rahmenbedingungen entsprechende Aufmerksamkeit gezollt werden. Und dabei gelte es auch den engen Blick auf die westliche Welt universell zu erweitern. Denn Salzborn geht auch auf Entwicklungen in anderen Regionen, insbesondere im Kontext der Entkolonialisierung, aber auch der Globalisierung ein. Damit deutet sich bei ihm schon eine Grundpositionierung an: Er plädiert für eine aufgeklärte Modernisierung und einen aufgeklärten Universalismus. Salzborn spricht hier von einer "weltgeschichtlichen Theorie nicht relativierbarer Ungleichzeitigkeiten" (S. 33), welche aber nicht die "Dialektik" bzw. "Schattenseiten der Aufklärung" ignorieren wolle. Insofern betont der Autor auch dezidiert die mitunter barbarischen Dimensionen in postkolonialen Gesellschaften.
Seine folgende Darstellung und Erörterung präsentiert dann Erwartbares und Nicht-Erwartbares: Es geht auch um Niccolo Machiavelli, Thomas Hobbes und John Locke, es geht aber auch um Michael Bakunin, Frantz Fanon und Samuel Huntington. Die einzelnen Kapitel konzentrieren sich dann eher auf geistige Strömungen. Da stehen zunächst die Ideen der Aufklärung im Mittelpunkt, wobei deren Schattenseiten der Ungleichheit nicht ignoriert werden. Dem folgen Darstellungen zu den befürwortenden und gegnerischen Tendenzen, aber auch zum Aufkommen der totalitären Ideologie.
Mit Ulrich Beck sieht Salzborn in der Moderne eine sich selbst kontinuierlich hinterfragende Position. Ausführlich geht er anschließend auf die politischen Theorien in der postkolonialen Welt ein und thematisiert die Konflikte um die Deutungshoheiten von der Demokratisierung bis zum Umweltschutz. Und schließlich macht der Autor auf den Hass auf die Moderne aufmerksam, welchen er in Antiamerikanismus, Antisemitismus und Islamismus jeweils isoliert oder kombiniert sieht.
Salzborn erweist sich auch in diesem Buch als guter Kenner der Materie. Sein Ansatz, politische Theorien im Kontext der politischen Praxis zu sehen, überzeugt. Denn allzu abgehoben von der gesellschaftlichen Realität werden einschlägige Fragen nicht nur an den Universitäten diskutiert. Gleichwohl hätte er diese Perspektive noch stärker in die Darstellung und Kommentierung einbeziehen können. Die Vertragstheorien von Hobbes bis Locke gelten mitunter als Ausdruck des "Besitzindividualismus" (C. B. MacPherson), womit deren Funktionen in sozioökonomischer Hinsicht thematisiert wurden. Salzborn spricht derartige Aspekte an, hätte sie aber gerade im Lichte seines Ansatzes noch mehr erörtern können. Lobenswert ist, dass er den Blick nicht euro- oder westzentriert verengt. Die Entwicklungen in den postkolonialen Ländern finden große Aufmerksamkeit. Dafür behandelt er bedeutende Theorien wie die von John Rawls nur knapp. Das Buch – so gleich der erste Satz - wollte aber – was man berücksichtigen muss - auch eine Einführung und kein Lehrbuch sein.
Samuel Salzborn, Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorien im Kontext, Baden-Baden 2015 (Nomos-Verlag), 201 S., ISBN 978–3–8487–2324–9, 29,00 Euro
3 Kommentare
Kommentare
Philo am Permanenter Link
Was mich zu sämtlichen sozioökologischen Theorien - und somit normativen Wissenschaften - stört, ist, dass die Option einer gänzlichen Verwerfung viel zu wenig in Erwägung gezogen wird.
Derselben Logik nach nimmt schon seit einigen Jahren die Anekdote die Runde, danach sich ein Christ, ein Muslim und ein Jude miteinander um den Wahren Glauben streiten.
Der Christ argumentiert, dass sowohl das Judentum, als auch der Islam unkorrekte Religionenen seien, weil beide Kulturen die Gottheit Jesu nicht erkennen.
Der Jude argumentiert, dass sowohl das Christentum, als auch der Islam nur Abspaltungen eines unverstandenen Judentums seien und daher verkehrt sind.
Der Muslim wies mit Verweis auf Muhammad sowohl das Judentum, als auch das Christentum auf Grund ihrer Starrheiten zurück.
Eine lebhafte Debatte, die kategorisch völlig ausschloss, dass sich ein Atheist mit der Überlegung einbringen könnte, dass alle bisher genannten Einwände richtig sein könnten und somit alle drei abrahamitischen Religionen falsch sind.
Interessant an dieser Geschichte ist aber nicht die Tatsache, das kein Mensch auf der Welt auf eine bestimmte Religion angewiesen ist, wird vielmehr die kategorische Option, sie allesamt komplett zu verwerfen ausgeschlossen.
Darum an dieser Stelle mein Einwurf, als quasi apolitischer Mensch, ob sich politische Systeme nicht ebenso wie Religionen gegenseitig ad absurdum führen, zumal sie sich auch noch alle auf der gänzlich undemokratischen Basis des Monetarismus aufbauen.
Nur fürchte ich erneut, dass der Gedanke (noch) nicht gefasst werden kann, sämtliche politischen Systemtheorien, einschließlich die darunterliegende Basis des Monetarismus als quasi Basistheorie, in Gänze zu verwerfen.
Dabei ist diese Option nicht unmöglich, wie seit wenigen Jahrzehnten zunehmend mehr Experten (Wirtschaftsprofessoren, Juristen, Ökonomen...) nachzuweisen wissen und erfahren dabei am intensivsten, wie schwer sich Menschen mit gänzlichen Theorieverwerfungen tun (siehe der sogenannte "Spanische Sommer von 1936 bis 39" vs. "Francisco Paulino Hermenegildo Teódulo Franco").
Als ich vor vielen Jahren erstmalig auf den Einstein'schen Satz stieß "Patriotismus sei nur ein anderes Wort für Wahnsinn" erschrack ich bei mir selbst, weil die darin liegende Offenkundigkeit zu scharf, zu einfach und zu plausibel formuliert wurde, als sie nicht zu begreifen.
Wenn ich mich allerdings in der Welt umschaue, so besonders nach Menschen, die ebenso um diesen Satz wissen, stellt sich mir eine völlig andere Frage und lautet schlicht: Was sind das für Menschen, die sich weder um positive, noch negative Regungen anderer Menschen scheren, oder auch kognitiv bedingt nicht scheren können?
Spielen wir alle weitgehenst nur Monopoly?
Fr. Merkel warb mitunter auch in Koblenz auf einer Bühne stehend um Wählerstimmen.
Als sie ihre Rede beendete und von der Bühne ging, kam sie umzingelt von Leibwächter auch an mir vorbei, wobei mir besonders nachging, dass weder ich, noch die Menschen um mich herum, dieser Frau auch nur einen einzigen Blick würdig waren.
Zugleich musste ich an den Beschluss des Sokrates denken, den Schirlingsbecher zu trinken, obwohl ihm andere Optionen offen standen, beeindruckt diese Entscheidung heute noch viele Denker, obwohl er damit nur einen Kampf mit sich selbst gewann, nicht aber gegen jene, die ihn zwischen bestimmten Optionen wählen ließen.
Rationales Denken verlangt nach dem Ziel, unnötige Komplexitäten zu vermeiden.
In diesem Sinne wünsche ich diese Zielsetzung mit der Wirklichkeit zu vergleichen und dabei herzlichst zu amüsieren,
Philo
libertador am Permanenter Link
Was ist denn die These der gänzlichen Verwerfung? - Anarchie, oder nicht?
Philo am Permanenter Link
Zunächst bitte ich meine späte Reaktion zu entschuldigen und hoffe auf Verständnis für meine "Zeitknappheiten". ;-)
Darum nur ganz kurz:
Oft wird angenommen, soziologische Strukturen könnten einzig durch pyramidenartige Machtstrukturen ermöglicht und gewehrleistet werden.
Aber genau das stimmt nicht, weil sich Ordnungen von selbst bilden (s. Evolution, Emergenz etc.).
Mein Verweis auf die Grundregel des kritisch rationalen Denkens bzw. Handelns finden wir nicht nur in kontrollierten Überlegungen wieder, so es mehr als genug Lebewesen gibt, die sich in ihren Fähigkeiten fern jeglicher Planungen evolutionär zu effektiv funktionalen Lebewesen entwickelten.
So auch in sozialen Ordnungsentwicklungen - siehe Bonobos.
Wir alle verfügen über enorme Fähigkeiten, als auch über mehr als genug Ressourcen.
Die Natur betreibt dabei keinen Handel, so nach dem Motto: Erst muss der Affe zur Geldidee gelangen, eine Bank gründen, weil einzig dort Gelder (Schuldscheine) per Kredite ausgegeben werden, sodann dieser nach diesem Zirkus sich endlich seine Banane kaufen kann.
Und genau diesen, schon jahrtausende alter geistig minderbemittelter Quatsch mutierte über eine bloße These hinaus zu einer Tradition, gleich wie sonstige Religionen.
Solcherlei irrige Thesen lassen sich komplett, und somit im Ganzen verwerfen.
Nur scheinen die meisten Gralshüter jahrtausende alte Ideen kaum verwerfen zu können, weil der Terminus "Indoktrination" kaum begriffen wird.
Dabei wäre ein kultureller Total-Reset super einfach, dazu man einfach nur zu begreifen braucht: Ideen kommen einem kostenlos und die Natur verlangt ebenso kein Geld für irgendwelche stoffliche Ressourcen.
Also bediene man sich einfach dieser Dinge und fertig.
Unsere Bedürfnisse dürfen wieder die eigentlichen Regenten sein, und mehr braucht es nicht, um sogar drei mal so viele Menschen glücklich zu machen, als derzeit leben (rund 7,5 Milliarden).
So einfach könnte die Welt sein!
Zudem: Alles was sich im Univerum regt, eigenet sich nicht, um daraus Verbindlichkeiten herleiten zu können.
Und dies bedeutet wiederum, das Leben als Vergnügen / Glücksfall aufzufassen, darum sich jedes Lebewesen selbst ausprobieren können sollte, egal wohin das Ganze führt.
Tatsache ist nämlich, dass kein Lebewesen unnötig leiden möchte, darum es keinerlei Politiker bedarf, die aus unterdrückten Instinkten bescheuerte Wahlprogramme stricken.
Gruss, Philo