Tim Birkhead: "Die Sinne der Vögel oder Wie es ist, ein Vogel zu sein"

Chorgesang und Echolot – warum sie singen

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Basstölpel auf Helgoland
Basstölpel

BERLIN. (hpd) Vögel und Menschen haben einiges gemeinsam. Sie verlassen sich am meisten auf ihren Sehsinn und den zu hören. Sie sind meistens sehr soziale Wesen, und 90 Prozent aller Vogelarten leben monogam. Das Verhalten wird bestimmt durch das, was die Sinne vermitteln. "Die Sinne der Vögel oder Wie es ist, ein Vogel zu sein" betitelt der Verhaltensforscher Tim Birkhead sein Buch, Frucht eines ganzen Forscherlebens.

Der Anthropomorphismus liegt nahe. "Trottellummen", so Tim Birkhead über seine Lieblingsforschungsobjekte, "sind außerordentlich gesellig, schließen Freundschaft mit ihren Nachbarn und helfen ihnen gelegentlich bei der Jungenaufzucht (mit gelegentlichen Seitensprüngen). Männchen und Weibchen eines Paares ziehen die Jungen gemeinsam groß, und manchmal bleiben Paare bis zu 20 Jahre zusammen." Auf hunderte von Metern erkennen Männchen und Weibchen eines Paares einander inmitten von an- und abfliegenden Vögeln einer aus zigtausenden von Exemplaren bestehenden Kolonie dieser an den steilen Felsen pinguinartig aufrecht watschelnden Tiere, und der Wartende beginnt mit seiner Begrüßungszeremonie.

In komplizierten Sozialgefügen leben auch die australischen Drosselkrähen. Ein Pärchen allein hat in seiner staubtrockenen Umgebung kaum eine Chance, in ein paar Wochen seinen Nachwuchs groß zu ziehen. Daran beteiligen sich die selbst kinderlosen älteren Geschwister mehrerer Jahrgänge, die dafür jahrelang von den Eltern lernen, wie man in der kargen Umgebung doch noch an Futter kommt. Der Kitt ihrer Familienbande ist ein vielstimmiger Chorgesang, in dem jeder einen Extrapart hat. Sie erkennen kleinste Tondifferenzen, denn sie können ihr Gehör wie wir früher alte Schallplattenspieler gleichsam auf Zeitdehnung stellen.

Das Gehör der Vögel leistet Unglaubliches. Eulen jagen in der stockfinsteren Nacht Mäuse allein nach dem Gehör. Asymetrisch im Schädel liegende Ohren helfen bei der genauen Raumverortung. Denn sehen können die Eulen zwar – schwarz-weiß – noch ziemlich im Dunkeln, aber nicht sonderlich genau. Anders als die Falken, deren "Teleobjektiv-Augen" mit einem regelrechten Gewebe-Fokus ausgestattet sind. Die kleinen afrikanischen Buntfalken erkennen zwei Millimeter große Insekten aus 18 Metern Entfernung. Südamerikas Nachtschwalmen, die aussehen wie Kreuzungen zwischen Schwalben und Falken in Tarnfärbung, verschafft das Gehör eine akustische Karte lichtloser Höhlen, ebenso den südostasiatischen Salanganen, deren Nester einst als Delikatesse galten.

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Aber auch der Geruchssinn der Vögel, lange verkannt, leistet mitunter Gewaltiges. Den Wanderalbatrossen verschafft der Geruch von Algen, die die Nahrungsgrundlage darstellen des von ihnen begehrten Krill, mikroskopisch kleiner Garnelen, regelrechte Geruchskarten.

Die Zugvögel wie die Schwarzschnabelsturmvögel, die die Zeit von September bis März auf dem offenen Meer verbringen, hilft ein Magnetkompass am rechten Auge und eine durch chemische Reaktionen im oberen Schnabel erschlossene Magnetfeldkarte, sich zu orientieren.

Verhalten und Sinne stehen in Korrelation. Daher sind die Sinne für die Verhaltensökologie so wichtig. Diese in den siebziger Jahren entstandene Forschungsrichtung will herausfinden, welche Ursachen ein Verhalten hat, welchen Fortpflanzungsvorteil es den Individuen verschafft, wie es bei den Individuen und wie es im Laufe der Evolution entstanden ist.

Für das Sozialverhalten ist oft der Tastsinn entscheidend und eignet sich daher besonders, diesen Zusammenhang zu erhellen. "Allopreening", die gegenseitige Gefiederpflege, hält die Individuen zusammen. Der Tastsinn erfolgt über spezielle Fadenfedern. Er lässt es die blaufüßigen Basstölpel genussvoll finden, minutenlang die Hälse aneinander reibend nach langer Abwesenheit eines Partners sich gegenseitig zu begrüßen. Er erlaubt es der mexikanischen Zwergbinsenralle, den Nachwuchs zwischen den Flügeln balancierend auf dem Rücken zu tragen, ja, so sogar kurze Strecken mit ihnen zu fliegen. Er ermöglicht es aber auch dem Kuckuck, die richtige Stelle auf dem Rücken zu finden, um die Stiefgeschwister, seine Nahrungskonkurrenz, aus dem Nest in den Tod zu hieven.

Was fühlen die Vögel bei alldem? Wenn zum Beispiel eine Ringelgans tagelang bei ihrem erschossenen Partner bleibt, warum nicht Trauer wie wir, wenn ähnliches Verhalten auf ähnliche Gefühle schließen lässt? Tim Birkhead, der an der Universität von Sheffield auch Wissenschaftshistoriker ist, schreibt: "Charles Darwin hatte keinen Zweifel, dass Tiere wie Vögel und Säuger Gefühle hätten. In 'Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei den Menschen und bei den Tieren' (1872) beschreibt er sechs universelle Gefühle – Furcht, Zorn, Ekel, Erstaunen, Trauer und Freude – Darwin stellte sich quasi ein Kontinuum von Emotionen von Freude bis Missfallen vor." Wir dürfen also annehmen, dass die Drosselkrähen Freude daran empfinden, miteinander im Chor zu singen. Derartiges haben wir angesichts unserer heimischen Sängerscharen eigentlich schon immer geahnt. Und da ist sie wieder, die Ähnlichkeit zwischen Vogel und Mensch.

Tim Birkhead: "Die Sinne der Vögel oder Wie es ist, ein Vögel zu sein", Mit Zeichnungen von Katrina van Grouw, Springer Spektrum Berlin Heidelberg 2015, 210 S., 24.99 Euro