NRW-Bekenntnisschulen: (k)ein Ende in Sicht?

siegried_baer.jpg

Sigrid Beer
Sigrid Beer

DÜSSELDORF. (hpd) Öffentliche Bekenntnisschulen stoßen auf immer mehr Kritik. In einer säkularen Gesellschaft stellen sie ein Relikt vergangener Zeiten dar. Sie sind in fast allen Bundesländern seit Jahrzehnten abgeschafft. Nur noch in einem kleinen Gebiet Niedersachsens, aber auch im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW gibt es sie bis heute.

Öffentliche Finanzierung zu einhundert Prozent, aber konfessionell gebunden, hauptsächlich katholisch, seltener auch evangelisch. Über die Bekenntnisschulen in NRW und Absichten zu ihrer Reform sprach der hpd mit Sigrid Beer, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Landtagsfraktion in NRW und Mitglied des Grünen-Landesvorstandes.

hpd: Frau Beer, für Aufsehen hat ein Beschluss der Grünen auf der Landesdelegiertenkonferenz (Landesparteitag) vor der Sommerpause gesorgt, wonach die Umwandlung von Bekenntnisgrundschulen in NRW in Gemeinschaftsschulen erleichtert werden soll, sogar das Ausloten einer Verfassungsänderung ist beschlossen worden. Warum jetzt ein solcher Beschluss?

S. Beer: Die Religions- und Konfessionszugehörigkeiten der GrundschülerInnen in NRW sind im Wandel. Sie werden immer heterogener und die Anzahl der konfessionell gebunden SchülerInnen nimmt kontinuierlich ab.

Im Schuljahr 2013/2014 wurden u. a. noch 36,8 Prozenz der GrundschülerInnen als katholisch, 24,6 Prozent als evangelisch, 16,2 Prozent als islamisch sowie 17 Prozent ohne Konfessionszugehörigkeit in den Schuldaten geführt.

 

Im letzten Sommer hatte vor allem die Verweigerung der Einschulung des Erstklässlers Bülent, Sohn muslimischer Eltern, in eine katholische Bekenntnisgrundschule in Paderborn für erhebliches Unverständnis gesorgt. Kann sich ein solcher Fall wiederholen, wenn die Grünen-Pläne gesetzlich umgesetzt worden sind?

Wir wollen, dass die wohnortnahe Grundschule für alle SchülerInnen offen und diskriminierungsfrei zugänglich ist. Die Gemeinschaftsgrundschule gewährleistet das Prinzip “kurze Beine - kurze Wege” sowie Pluralität gegenüber Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen. Außerdem betonen wir, dass auch die negative Religionsfreiheit gewährleistet sein muss.

 

“Inklusion”, “Kurze Beine - kurze Wege”, “keine Segregation in der Schule” - das sind wichtige Begriffe aus der NRW-Schulpolitik und auch aus dem grünen Vokabular. Waren diese Überlegungen hierzu für den Parteitagsbeschluss mit maßgeblich und was wird eine Umsetzung für die Grundschulkinder bringen?

Wir wollen in der Bildungspolitik konsistent sein und arbeiten intensiv daran, die inklusiven Prozesse in der Gesellschaft gelingend zu gestalten. Das längere gemeinsame Lernen wird erfolgreich ausgebaut. Alle Kinder im Stadtteil sollen ihre Grundschule gemeinsam besuchen können. Eine oder keine Religionszugehörigkeit darf da nicht trennend wirken.

 

Auf Parteitagsveröffentlichungen sind am Podium (nebeneinander) sowohl Sie als auch Christoph Stolzenberger, einer der Sprecher des Arbeitskreises Säkulare Grüne NRW, zu sehen. Gemeinsam haben Sie den Antrag begründet…

Wir haben im Vorfeld der LDK gemeinsam an dem Antrag gearbeitet. Es war mir auch wichtig, zu verdeutlichen, dass wir uns in einem konstruktiven Dialog über den Pluralismus in der Gesellschaft und den sich daraus ergebenden Konsequenzen befinden…

 

Der Beschluss hat auf dem Landesparteitag eine überwältigende Mehrheit erhalten, keine Gegenstimmen - und es gab nur wenige Enthaltungen. Einigkeit bei allen Parteiflügeln, bei ChristInnen, MuslimInnen, Säkularen innerhalb der Partei – angesichts mancher innergrüner Debatten im Anschluss an die Bundestagswahl schon erstaunlich.

Weil wir aus unterschiedlichen Perspektiven und Grundhaltungen die Veränderungsnotwendigkeiten sehen und dann zu gemeinsamen politischen Zielbeschreibungen kommen. Dazu gehört dann Respekt im Umgang miteinander. Und ganz zentral: Es ging allen um die Sache und nicht um “Geländegewinne”.

 

Das erforderliche Quorum für die Umwandlung in Gemeinschaftsschulen soll “deutlich gesenkt” werden, heißt es in dem Beschluss; jetzt müssen 66 Prozent der Eltern für eine Umwandlung votieren, eine sehr hohe Hürde.

Die Stimmen pro Umwandlung werden ins Verhältnis zur Zahl aller Eltern der Schule gesetzt. Nicht nur die Gegenstimmen entfalten also ihre Wirkung. Wer nicht teilnimmt, erschwert die Umwandlung. Das ist vielen Eltern, häufig mit Migrationshintergrund, nicht bewusst. Im Rahmen der juristischen Möglichkeiten soll das Quorum nun abgesenkt werden. Die Besonderheit in NRW besteht drin, dass die Bekenntnisschule wie auch die Gemeinschaftsschule in der Landesverfassung verankert ist. Dabei ist sie keine Ersatzschule in freier Trägerschaft, sondern eine Schule in kommunaler Trägerschaft mit Bekenntnisprofil.

 

Außerdem soll Kommunen ein Initiativrecht für Änderungen eingeräumt werden in Fällen, in denen konfessionsgebundene Kinder nicht mehr die Mehrheit der Kinder an einer Schule stellen. Welche Vorstellungen gibt es zu diesem Initiativrecht?

Bislang ist im Schulgesetz das Initiativrecht allein bei den Eltern verankert. Das soll sich ändern. In den Räten werden schließlich die Leitlinien der Schulentwicklungsplanung diskutiert und entschieden.

 

Im Beschluss der Grünen ist von Bekenntnisgrundschulen die Rede; was ist mit den Bekenntnishauptschulen? Soll hier alles beim Alten bleiben?

Während ca. ein Drittel der Grundschulen ein Bekenntnisprofil aufweisen, ist es ca. ein Zehntel im Hauptschulbereich. Die Hauptschule ist in NRW eine zunehmend auslaufende Schulform.

 

Angekündigt sind von den Grünen bereits Änderungen zum Landesschulgesetz. Wird denn Ihr Koalitionspartner, die SPD, dabei mitmachen? Bekenntnisschulen sind in der NRW-Verfassung geregelt – eine Bestandsgarantie. Wer eine grundsätzliche Änderung will, muss die Verfassung ändern. Wie sehen Sie die Chancen hierfür? Woher soll die nötige 2/3-Mehrheit im Landtag kommen?

Auch die SPD sieht die Veränderungsnotwendigkeiten wie übrigens die Kirchen auch. Und deshalb führen wir auch seit einiger Zeit sehr konstruktive Gespräche mit ihnen dazu. Das Schulgesetzlich können wir mit einfacher Mehrheit ändern. Für eine Verfassungsänderung müsste neben den Piraten mindestens die FDP mitmachen. Die CDU ist dazu nicht bereit, sie bestreitet bislang sogar noch die Notwendigkeit, das Quorum zu verändern. Auch bei der FDP ist eine Zustimmung für eine Verfassungsänderung derzeit nicht in Aussicht.

 

Wer wird dabei mit wem etwas “ausloten”, wie es Beschluss heißt?

Wir werden als Fraktion das Gespräch weiter suchen.

 

Frau Beer, vielen Dank für das Interview.

 

Das Interview führte Walter Otte für den hpd.

 


siehe zu dem Thema auf dem hpd auch:

Keine Religionsfreiheit in NRW

Bekenntnisschulen: kein Ende in Sicht?

Diskussionen um Bekenntnisschulen