Differenzierte Studien zum Salafismus in Deutschland

(hpd) Die beiden Politikwissenschaftler Klaus Hummel und Michail Logvinov legen in ihrem Sammelband “Gefährliche Nähe. Salafismus und Dschihadismus in Deutschland” zehn Beiträge von Experten zu den unterschiedlichsten Aspekten des Themas vor. Zwar entsteht so eher ein fragmentarisches und kein rundes Bild, die Inhalte ermöglichen aber einen differenzierten Blick auf ein komplexes Phänomen mit einem nicht zu unterschätzenden Gefahrenpotential.

“Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber jeder Terrorist ist meist ein Salafist” – diesen Satz kann man in den Kommentaren von Journalisten und den Stellungnahmen aus Sicherheitsbehörden häufig lesen.

In der Tat besteht hier eine gefährliche Nähe, die sich schon aus einer Typologie des Salafismus ergibt, wonach in einem idealen Sinne von einem puristischen, politischen und dschihadistischen Bereich (Quintan Wiktorowicz) gesprochen werden kann. So unterschiedlich die jeweiligen Handlungsstile sind, so gemeinsam ist ihnen die Ideologie. “Gefährliche Nähe” lautet auch der Titel eines Sammelbandes über – so der Untertitel – “Salafismus und Dschihadismus in Deutschland”, der von den beiden Politikwissenschaftlern Klaus Hummel und Michail Logvinov herausgegeben wurde. In ihrer gemeinsamen Einführung konstatieren sie: “Bislang dominiert auf der diagnostischen Ebene eine Tendenz, sich der Komplexität des Phänomens durch Generalisierung zu entziehen” (S. 8). Dies wollen die Autoren und Herausgeber des Sammelbandes erklärtermaßen nicht.

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Am Beginn steht der Beitrag von Logvinov “Der deutsche Dschihad – Revisted”, welcher von der Existenz einschlägiger Akteure und Netzwerke schon lange vor dem 11. September 2001 ausgeht. Heute sei Deutschland ein “Dschihadistenexporteur”, wovon Ausreisen der angehenden “Gotteskrieger” nicht nur nach Syrien zeugten. Dem folgt der Abdruck einer früheren Analyse, die Hummel 2009 unter dem Titel “Salafismus in Deutschland – Eine Gefahrenperspektive” erstellt hatte und bislang nur als Manuskript in interessierten Kreisen kursierte. Darin machte der Autor bereits auf die Komplexität des Phänomens aufmerksam: “Salafisten sind individueller und flexibler als der scheinbare Konformismus kurzer Hosen und langer Bärte vermuten lässt” (S. 87). Dem folgend geht Logvinow auf die “Islamische Dschihad-Union als Auftraggeberin der ‘Sauerlandzelle’” ein, wobei der politische Hintergrund der “Mutterorganisation” und die Aktivitäten von deren deutschem Ableger und Befehlsempfänger mit baukastenähnlicher “Self-Made-Ideologie” aufgezeigt werden.

Danach behandelt Logvinov den Forschungsstand zum “Radikalisierungsprozess im islamistische Milieus”, ohne die bestehenden Desiderata zu leugnen. Alexander Heerlein untersucht die Bedeutung einschlägiger Moscheen als möglicher Brutstätte für dschihadistische Muslime, wobei er Daten zur Biographie von 110 Aktivisten auswertetet. Am Beispiel des Salafismus in Deutschland sprechen danach Daniela Pisoiu und Hummel die “Co-Radikalisierung” an, also all “jene unbeabsichtigt phänomenunterstützenden Dynamiken (…), die sich aus der Reaktion verschiedener gesellschaftlicher Akteure …” (S. 188) ergeben.

Frank Horst untersucht dem folgend mit einer attitüdenbasierten Perspektive salafistische Netzwerke. Hummel widmet sich in einem weiteren Beitrag dem informellen islamistischen Milieu. Matthias Garbert geht auf Argumentationsstrukturen auf Internetseiten ein, wobei “salafimedia” und “salafat” die Fallbeispiele bilden. Und Hummel deutet in seinem letzten Beitrag die Tele-Da’wa von Zakir Naik als Erfolgsmodell des islamischen Populismus.

In der Gesamtschau liegt ein informativer und sachkundiger Sammelband vor, welcher das allgemeine Wissen um den Salafismus in Deutschland differenziert und inhaltlich erweitert. Dafür steht die Sachkompetenz der unterschiedlichen Autoren, die zwar noch nicht höhere akademischen Hürden genommen haben, aber in Analyse und Kompetenz nicht wenige “Experten” aus dem TV um Längen schlagen können.

Wie der Blick auf die einzelnen Themen indessen zeigt, passen die Texte inhaltlich nicht direkt zueinander. Es handelt sich eher um Fallstudien auf der Basis von individueller Beschäftigung mit dem Themenkomplex “Salafismus”, fehlt es doch in Deutschland an einschlägigen Forschungsprojekten und Instituten. Angesichts der tagtäglich in den Nachrichten vernehmbaren Berichte über die Bedrohungen des Salafismus in anderen Ländern, wäre hier dringend Abhilfe zu schaffen. Die Beiträge des Sammelbandes liefern wichtige Bausteine zur differenzierten Erkenntniserweiterung über ein Gefahrenpotential, das leider mehr Aufmerksamkeit verdient.

 


Klaus Hummel/Michail Logvinov (Hrsg.), Gefährliche Nähe. Salafismus und Dschihadismus in Deutschland, Stuttgart 2014 (Ibidem-Verlag), 297 S., 29,90 Euro