Die bekannte Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer legt mit "Der Architekt des Islamismus. Hasan al-Banna und die Muslimbrüder" eine Studie zur Frühgeschichte des Islamismus vor. Einerseits hat man es bezüglich der Darstellungen mit einer beeindruckenden und lehrreichen Forschungsleistung zu tun, andererseits fehlt es nicht selten an kritischen Einordnungen von Positionen und Strategien.
Die politische Bewegung des Islamismus hatte eine "Mutterorganisation", worauf sich viele der späteren Gruppierungen direkt oder indirekt ideologisch wie strategisch bezogen: die "Muslimbruderschaft". Doch warum und wie entstand sie? Antworten auf diese Frage kann eine Lebensbeschreibung geben, welche Hasan al-Banna als deren Gründer thematisiert. Eine solche Arbeit legte Gudrun Krämer vor, eine der bedeutendsten deutschen Islamwissenschaftlerinnen. Sie war Direktorin der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies und an der FU Berlin eben Professorin für Islamwissenschaft. Mit ihrem Buch "Der Architekt des Islamismus. Hasan al-Banna und die Muslimbrüder. Eine Biographie" legt sie indessen mehr als nur eine Lebensbeschreibung vor. Die Entwicklung des Gründers wird in die historisch-kulturellen und -politischen Rahmenbedingungen der damaligen Zeit eingebettet. Bei all dem stützt sich die Autorin auf jahrelange Forschungen und auch neuere historische Quellen. Insofern liegt eine beeindruckende Leistung vor.
Bereits zu Beginn erklärt Krämer, warum sie die Formulierung "Der Architekt des Islamismus" gewählt habe. Der Begriff sei im doppelten Sinne gemeint, bezogen auf die ideologische Konstruktion wie die organisatorische Struktur: Architekt und Baumeister des Islamismus war der Ägypter Hasan al-Banna (1906–1949), ein Grundschullehrer für Arabisch, der mit der Muslimbruderschaft die erste islamische Organisation schuf, die nach heutigem Verständnis als islamistisch eingestuft wird (S. 7). Genau diese Auswirkungen machen die Biographie auch für die Gegenwart interessant, was eben mit den angewandten Strategien zur Verbreitung zusammenhängt. Aber noch zurück zum Anfang des Buchs, das sich zunächst mit den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontexten für den Portraitierten beschäftigt. Danach zeichnet die Autorin akribisch dessen persönliches wie politisches Leben nach, wobei sie einerseits immer wieder auf die einschlägigen Kontexte verweist und andererseits auch die problematische Quellenlage nicht verschweigt.
Letzteres erklärt womöglich bezüglich mancher Einschätzungen eine gewisse Zurückhaltung, da für einige interessante Detailfragen eben die einschlägigen Dokumente fehlen. Ausführlich wird die Entstehung und Entwicklung der Muslimbruderschaft geschildert, wobei immer wieder auf das al-Banna eigene strategische Vorgehen verwiesen wird. Die Autorin erwähnt auch interne Konflikte, war der Gründer doch nicht nur aufgrund seines autoritären Vorgehens nicht unumstritten. Auf den ersten Blick zu detailverliebt wirken die Darstellungen, die sich auf die Gründung von Neben- und Vorfeldorganisationen beziehen. Dazu gehörten Jugendgruppen, Pfadfinderorganisationen oder Sportvereine. Aber gerade über sie gelang die Ausbreitung in die Gesellschaft hinein, insbesondere in das Alltagsleben vieler Muslime, was bis in die Gegenwart für eine wichtige islamistische Strategie steht. Die Arbeit endet dann etwas abrupt mit al-Bannas Tod, eine bilanzierende Einschätzung fehlt ebenso wie eine politische Wirkungsgeschichte.
Dies wären auch nicht die einzigen beiden Einwände, die gegen die beeindruckende Forschungsleistung erhoben werden könnten. Denn allzu sehr handelt es sich doch primär um eine Beschreibung und Darstellung von Entwicklungen, Deutungen und Einordnungen in Systematik vermisst man. Die Autorin bedient sich auch etwas distanzlos dem Sprachgebrauch ihres Untersuchungsobjekts. Eben ohne Anführungszeichen ist da vom "Kampf gegen die Unmoral" oder vom "wahren Islam" die Rede. Die politische Ausrichtung der Muslimbruderschaft wird zwar thematisiert, aber eine Einordnung in politikwissenschaftliche Kategorien vermisst man. So ist zwar al-Bannas Offener Brief "Hin zum Licht" von 1936 ein Thema, aber eben nicht für eine nähere Erörterung. Manche bedeutsame Aspekte kommen kaum vor, so findet sich "Antisemitismus" nur auf einer Seite als Stichwort. Dazu hatte sich Krämer in früheren Monographien ausführlicher geäußert. Bei aller Forschungsleistung, derartige Kritik gehört zum Urteil dazu.