STUTTGART. (hpd) Im Rahmen des laufenden Themenjahres "Freier Glaube. Freies Denken. Gleiches Recht." der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben am vergangenen Freitag die Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg den Bericht "Gläserne Wände" zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland erhalten.
Mehr als 26 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, rund ein Drittel der Bevölkerung, gehören keiner Konfession an – ihre Zahl wächst stetig. Ähnlich verhält es sich in Baden-Württemberg, wo mittlerweile rund ein Viertel aller Einwohner konfessionsfrei ist. In vielen Großstädten stellen konfessionsfreie Bürgerinnen und Bürger bereits heute die größte Gruppe dar. Die Mehrheit von ihnen besitzt eine nichtreligiöse Lebensauffassung, die von humanistischen Prinzipien und Wertvorstellungen geprägt ist. Doch wer keiner Kirche oder anderen großen Religionsgemeinschaft angehört, wird benachteiligt: auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, in der Politik, in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung.
Auf die sich weltanschaulich seit langem wandelnde Gesellschaft haben Politik und Gesetzgeber – auf Landes- wie auf Bundesebene – bisher allerdings überwiegend zögerlich und nicht selten auch abwehrend reagiert. Diese Feststellung vertreten nicht nur "Die Humanisten Baden-Württemberg". So heißt es dazu im Abschlussbericht der Kommission "Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat" von Bündnis 90/Die Grünen: "Religions- und Weltanschauungspolitik muss auf die veränderte Wirklichkeit der religiösen Landschaft antworten, aber auch all diejenigen berücksichtigen, die sich als religions- und weltanschauungsfrei betrachten. Doch eine hierauf gerichtete Politik findet faktisch kaum statt."
Der im September 2015 erstmals vorgestellte Bericht "Gläserne Wände" beschreibt auf rund 100 Seiten, in welchen Bereichen Menschen ohne religiöse Lebensauffassung benachteiligt werden. Die kompakte Broschüre erläutert politische und rechtliche Hintergründe des Status quo und nennt Fallbeispiele. Komplettiert werden die Darstellungen durch Vorschläge, wie die Politik Benachteiligungen abbauen könnte, eine Auswahl relevanter statistischer Befunde sowie durch O-Töne konfessionsfreier und nichtreligiöser Menschen.
Gabriele Will, Vorstandssprecherin der Humanisten Baden-Württemberg, sagte zur Übergabe des Berichts: "Damit wollen wir die Aufmerksamkeit der Landtagsabgeordneten auf Probleme und Forderungen derjenigen Wählerinnen und Wähler lenken, die ihre Lebensauffassung ohne eine Bezugnahme auf religiöse Vorstellungen begründen."
Will betonte, dass "Die Humanisten Baden-Württemberg" sich für ein gleichberechtigtes, selbstbestimmtes und bevormundungsfreies Zusammenleben einsetzen – und gegen Benachteiligungen aufgrund des religiösen bzw. weltanschaulichen Bekenntnisses. "Doch viele konfessionsfreie Menschen, die zweifellos ebenso wertvolle Beiträge für unsere Gesellschaft erbringen wie konfessionell organisierte Bürger, müssen leider sehen, dass in unserem Land für sie gilt: gleiche Pflichten, aber weniger Rechte. Dies steht den Vorgaben des Grundgesetzes entgegen und bricht mit den Prinzipien und Werten einer offenen, demokratischen Gesellschaft."
Pressemitteilung der Humanisten Baden-Württemberg
6 Kommentare
Kommentare
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Endlich, 70 Jahre lang wurde das GG von religiösen Verfassungsrichtern mehrheitlich zu Ungunsten der Konfessionslosen außer Kraft gesetzt.
Guido W. Reichert am Permanenter Link
Wir hatten in Schleswig-Holstein als "Überfach" PER vorgeschlagen, also (praktische) Philosophie, Ethik und Religionskunde.
Das Akronym "LER" ist doch m.E. extem unglückloch gewählt. Vielleicht eine Anregung für weitere Bemühungen bundesweit? ;)
Klaus Bernd am Permanenter Link
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Max S. am Permanenter Link
"In vielen Großstädten stellen konfessionsfreie Bürgerinnen und Bürger bereits heute die größte Gruppe dar." Das ist falsch.
Thomas am Permanenter Link
Lieber Max S.
da stellen Sie aber einige steile Thesen bzw. unbelegte Behauptungen auf.
Natürlich gelten die Muslime derzeit formal und statistisch gesehen als konfessionsfrei. Wenn Sie aus den formal konfessionsfreien anhand der religiösen Lebensauffassung einige doch als quasi-konfessionell werten möchten, dann müssen Sie von den formal-konfessionellen allerdings auch diejenigen abziehen, die keine religiöse Lebensaufassung haben ("Taufscheinchristen"). Das sollten ziemlich viele sein...
Dass eine religiöse Erziehung dem Funktionieren von Gesellschaften zuträglich oder gar eine notwendige Bedingung dafür sein soll, scheint mir Wunsch- und Rechtfertigungsdenken zu sein. Welche Gesellschaften funktionieren denn Ihrer Ansicht nach derzeit am besten? Und wie religiös geprägt sind die im Vergleich zu den Gesellschaften, die nicht funktionieren? Was das Recht des Stärkeren angeht: Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass z. B. der Anteil an Gewaltverbrechern unter Atheisten gößer ist, als unter Katholiken? Oder vergleichbares? Wie kommen sie darauf, dass der Schläger aus dem Artikel, den Sie referenzieren, konfessionsfrei ist? Und wenn er es wäre, dass hierin der Grund für sein Verhalten lag? Der Zeuge, der die Polizei gerufen hat, war dann wahrscheinlich der einzige Anwesende, der eine religiöse Erziehung genossen hat...
Dieter Bauer am Permanenter Link
Die Änderung von Denk- und Handlungsweisen der religiös indoktrinierten Politiker zu erwarten, ist vergleichbar dem Hoffen auf ein Wunder.