Mutation: Die Evolution beginnt
Sehr selten kann es zu einer Fehlpaarung am Vorlage-RNA-Strang kommen. Anstatt GC, könnte eine GA-Paarung auftreten. Dadurch ist der neu gebildete RNA-Strang nicht mehr komplementär, sondern unterscheidet sich durch eine Punktmutation. In den meisten Fällen verliert die RNA dann ihre katalytische Funktion oder funktioniert schlechter als zuvor. In seltenen Fällen kann es aber vorkommen, dass die Mutation eine Beschleunigung der Selbstreplikation verursacht. Findet dieser Prozess in einer Zelle statt, kommt es in der Zelle zur Bildung einer erhöhten Anzahl von RNA-Ketten inklusive der verbesserten Variante. Teilt sich die Zelle in mehrere Tochterzellen, ist es unwahrscheinlich, dass beide Varianten zu gleichen Teilen vorliegen, so dass sich die Tochterzelle mit der erhöhten Anzahl der besseren Variante mit größerem Erfolg gegen andere Zellen durchsetzen wird, denn: Bei zu langsamer RNA-Selbstreplikation kann es vorkommen, dass eine Tochterzelle nur eine einzige RNA-Kette enthält. Dies reicht nicht aus, um den Selbstreplikationsprozess fortzusetzen und die Zelle stirbt. Nun wird auch die Bedeutung der Zelle für das Leben deutlich. Eine RNA mit verbesserter Selbstreplikation, die frei in Lösung herumschwimmt, würde schlechtere RNA-Varianten mit gleicher Wahrscheinlichkeit vervielfältigen.7 Der Prozess der natürlichen Selektion funktioniert wesentlich besser bei räumlicher Trennung von verschiedener Erbinformation.
Nun sind auch Mutationen denkbar, die nicht direkt die Geschwindigkeit der Selbstreproduktion erhöhen, sondern die Geschwindigkeit anderer chemischer Reaktionen beschleunigen können, die der Zelle beim Überleben nützlich sind. Zum Beispiel könnten auch RNA-Ketten entstehen, die die Herstellung der Lipidmoleküle aus einfacheren Bausteinen ermöglichen. Dadurch könnte die Zelle auch in Umgebungen überleben, wo keine fertigen Lipidmoleküle vorliegen. Das gleiche ist denkbar für die vier Nukleotide. In späteren Evolutionsstufen könnten andere Sorten von Lipiden hergestellt werden, die zuvor gar nicht verfügbar waren, und helfen die Zellmembran stabiler zu machen. Die Synthese von Farbstoffmolekülen, welche sich in die Zellmembran einlagern, um Sonnenlicht in Wärme umzuwandeln, könnte als zusätzliche Energiequelle für chemische Reaktionen dienen. Man sieht: es gibt unendlich viele Möglichkeiten um einen rapiden Komplexitätszuwachs zu erklären!
Die Protozelle ist sowohl fähig zur Metabolismus und Reproduktion als auch zu Mutation und erfüllt damit alle Kriterien für Leben. Die Entstehung der ersten Protozelle wirft aber weitere Fragen auf.
Woher kommt das erste Polynukleotid und wie kommt es in die Zelle?
Der aufmerksame Leser möchte vermutlich noch wissen, wie die Nukleotide und erst recht Polynukleotide, also die RNA, in die Zelle kommen. Auch hierfür gibt es plausible Erklärungen. Wie bereits erwähnt, sind die Lipide in der Zellmembran nicht fest miteinander verknüpft, so dass sich die kleinen Nukleotidmoleküle durch die Zwischenräume schmuggeln können. Lange RNA-Ketten hingegen können die Zellmembran nicht durchdringen. Zu einem Einschluss von RNA in eine Zelle kann es kommen, wenn ein Gemisch aus Zellen und RNA eintrocknet, wobei sich die Zellmembran öffnet und Schichten bildet. Befindet sich eine RNA-Kette zwischen diesen Schichten, kann diese bei erneutem Wasserkontakt in eine neugebildete Zelle eingeschlossen werden.8
Wenn die vollständige Selbstreplikation von RNA-Ketten aus den einzelnen Nukleotidbausteinen ausschließlich mit Hilfe einer besonderen katalytisch wirkenden RNA-Kette funktionieren kann, lässt sich nicht erklären wie die dafür mindestens notwendigen zwei RNA-Ketten entstanden sind. Aus diesem Grund muss dem oben beschrieben Mechanismus noch eine einfachere Möglichkeit der Selbstreplikation vorausgegangen sein. Hierfür wird angenommen, dass die Nukleotide in einer energiereicheren "aktivierten" Form vorlagen, die sich aufgrund eines leicht abspaltbaren Teils (Abgangsgruppe) einfacher verknüpfen lässt. Für solche aktivierten Nukleotide konnte gezeigt werden, wie lange zufällige Sequenzen von RNA an der Oberfläche von häufig vorkommenden Silikatmineralien entstehen können.9 Die Möglichkeit der Selbstreplikation wiederum, d. h. die Entstehung von komplementären Ketten direkt an der bereits existierenden Vorlage, wurde in Wasser-Eis-Gemischen beobachtet.10 Wenn Wasser anfängt zu gefrieren, werden gelöste Bestandteile in der verbleibenden flüssigen Phase aufkonzentriert und können so einfacher miteinander reagieren.
Woher kommen Lipide und Nukleotide?
Schließlich bleibt natürlich die Frage, wie die bisher genannten Grundbausteine, also Nukleotide und Lipide, entstanden sind. 1998 konnte gezeigt werden, dass sich Lipide, darunter auch die bereits genannte Decansäure, im Labor aus in Wasser gelöstem Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff unter hohem Druck und Temperatur bilden können.11 Genau wie bei der RNA-Herstellung wurden hier gewöhnliche Silikatmineralien hinzugegeben, an deren Oberfläche die Reaktionen stattfanden. Die beschriebenen Reaktionsbedingungen für die Lipidsynthese sind charakteristisch für hydrothermale Quellen wie beispielsweise Geysire. Allerdings entstehen die Lipide hier in zu kleinen Konzentrationen, um sich zu Mizellen zusammenzufinden. Bricht der Geysir aus, könnten Wassertröpfchen mit Lipiden über weite Strecken transportiert werden. Unterwegs oder am Zielort können diese durch Verdunstung aufkonzentriert werden, so dass schließlich Mizellen entstehen.
Einer der größten Forschungserfolge im letzten Jahrzehnt konnte bei der Nukleotidsynthese gefeiert werden. Die Entstehung der Nukleotide unter den primitiven Bedingungen der Urerde wurde lange Zeit als Unmöglich betrachtet und als Hauptkritikpunkt gegen die in diesem Artikel beschriebene Protozellenhypothese angeführt. Wie schon erwähnt, besteht ein Nukleotidmolekül aus drei Teilen. Der entscheidende Teil für die Unterscheidung der vier in der RNA vorkommenden Nukleotide ist der Teil der Nukleinbase (Adenin, Cytidin, Uracil und Guanin). Der Ribose- und Phosphatteil sind bei allen identisch. Alle Teile sind auch als eigenständige Moleküle gut bekannt und um den Aufbau der RNA zu beschreiben, ist diese Unterteilung nützlich. Diese tradierte Sichtweise hatte allerdings zur Folge, dass man lange vergeblich versuchte, die Nukleotide aus eben diesen drei Teilen herzustellen. Erstens existierte kein plausibler Weg, die Nukleinbasen alleine in vernünftigen Ausbeuten herzustellen, zweitens ist der Riboseteil alleine extrem instabil und drittens gelang es nie in zufriedenstellender Weise, Ribose und die Nukleinbase an der richtigen Stelle miteinander zu verknüpfen.12 2009 gelang es dem Doktoranden Matthew Powner in der Arbeitsgruppe von Jack Szostak erstmalig eine plausible Syntheseroute für die Cytidin- und Uracil-haltigen Nukleotide zu zeigen.13 Das Faszinierende daran ist, dass die Synthese erstens mit einfachsten Rohstoffen startet, die keiner weiteren Rechtfertigung bedürfen, und zweitens, dass weder freie Ribose, noch die freie Nukleinbase in einem der Reaktionsschritte auftauchen. Ein plausibler Mechanismus für die Entstehung aller vier Nukleotide, d. h. auch der Adenin- und Guanin-haltigen Nukleotide, wurde noch nicht gefunden, aber man hofft, durch ähnliche Perspektivwechsel einen Weg zu finden. Mittlerweile sind auch deutsche Forscher wie Prof. Thomas Carell von der LMU München mit wichtigen Beiträgen am Rennen um den Durchbruch beteiligt.14 Man drückt die Daumen.
So what?
Der in diesem Artikel skizzierte Mechanismus wird derzeit in der wissenschaftlichen Community als am Wahrscheinlichsten eingestuft. Natürlich gibt es zahlreiche alternative oder ergänzende interessante Modelle, wie z. B. selbst-replizierende Peptide oder die Entstehung des Lebens außerhalb der Erde (Panspermia-Hypothese). Diese Überlegungen stehen im gesunden wissenschaftlichen Wettstreit miteinander und sollen hier nicht diskreditiert werden. Vielmehr geht es darum, dem Leser zu verdeutlichen, dass eine kohärente naturwissenschaftliche Lösung dieser Fragestellung sehr gut vorstellbar ist und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch gefunden wird.
1543 publizierte Kopernikus seine Theorie vom Heliozentrismus. Damit stand die Erde nicht mehr im Mittelpunkt unseres Sonnensystems. Giordano Bruno spekulierte 1584, dass die Sterne andere Sonnen sein könnten, die ebenfalls Planeten besitzen. Er wurde daraufhin von der Inquisition 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt, aber seine Hypothesen wurden von späteren Astronomen bestätigt. Nun war auch die Sonne nicht mehr Mittelpunkt des Universums. 1859 publizierte Charles Darwin "The Origin of Species". Es wurde klar, dass der Mensch eine Trockennasenaffenart ist und nicht etwa die Krone der Schöpfung. All diese Erkenntnisse wurden zunächst als Kränkung empfunden und hatten es daher (und haben es teilweise noch immer!) schwer akzeptiert zu werden. Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass die Entschlüsselung des Ursprungs des Lebens eine vergleichbar heilsame Revolution unseres Selbstverständnisses zur Folge haben wird.
Literaturverzeichnis
- А. И. Опарин, Произхождение жизни, Москва: М. МОСКОВСКИЙ РАБОКИ, 1924.
- A. I. Oparin, Die Entstehung des Lebens auf der Erde, Berlin: Volk und Wissen Verlag Berlin-Leipzig, 1949, p. 245.
- H. Rauchfuß, Chemische Evolution und der Ursprung des Lebens, Berlin Heidelberg: Springer, 2005.
- T. F. Zhu und J. W. Szostak, "Coupled growth and division of model protocell membranes", Journal of the American Chemical Society, Bd. 131, Nr. 15, pp. 5705–5713, 2009.
- E. H. Ekland und D. P. Bartel, "RNA-catalysed RNA polymerization using nucleoside triphosphates", Nature, Bd. 382, pp. 373-376, 1996.
- D. P. Horning und G. F. Joyce, "Amplification of RNA by an RNA polymerase ribozyme", Proceedings of the National Academy of Sciences, Bd. 113, Nr. 35, pp. 9786–9791, 2016.
- J. W. Szostak, D. P. Bartel und L. Luisi, "Synthesizing Life", Nature, Bd. 409, pp. 387-390, 18 January 2001.
- D. W. Deamer, "Membrane Compartments in Prebiotic Evolution", in s The Molecular Origins of Life, Cambridge, Cambridge University Press, 1998, p. 189.
- J. P. Ferris, "Montmorillonite-catalysed formation of RNA oligomers: the possible role of catalysis in the origins of life", Philosophical Transactions of the Royal Society B, Bd. 361, pp. 1777–1786, 29 October 2006.
- J. Attwater, A. Wochner, V. B. Pinheiro, A. Coulson und P. Holliger, "Ice as Protecellular Medium for RNA replication", Nature Communications, Bd. 1, pp. 1–9, 21 September 2010.
- M. M. Thomas, G. Ritter und B. R. T. Simoneit, "Lipid Synthesis Under Hydrothermal Conditions by Fischer- Tropsch-Type Reactions", Origins of life and evolution of the biosphere, Bd. 29, pp. 153–166, March 1999.
- S. Islam und M. W. Powner, "Prebiotic Systems Chemistry: Complexity Overcoming Clutter", Chem, Bd. 2, Nr. 4, pp. 470–501, 13 April 2017.
- M. W. Powner, B. Gerland und J. D. Sutherland, "Synthesis of activated pyrimidine ribonucleotides in prebiotically plausible conditions", Nature, Bd. 459, pp. 239–242, 2009.
- S. Becker, I. Thoma, A. Deutsch, T. Gehrke, P. Mayer, H. Zipse und T. Carell, "A high-yielding, strictly regioselective prebiotic purine nucleoside formation pathway", Science, Bd. 352, Nr. 6287, pp. 833–836, 13 May 2016.
- "What Is the RNA World Hypothesis?", Stated Clearly, August 2016. (Online.) Available: http://statedclearly.com/videos/RNA-World/. Zugriff am 9. Juni 2018.
- "Replicase ribozyme movie", Online. Available: http://exploringorigins.org/resources.html. Zugriff am 9. Juni 2018.
Vgl. auch unseren Artikel: Ursprünge des Lebens – Schöne RNA-Welt
28 Kommentare
Kommentare
Karol Dittel am Permanenter Link
Ist es nicht eher so, dass der Prozess der Abiogenese nie zum Stillstand gekommen ist oder anders gesagt immer noch aktiv ist ? Unsere Körper produzieren doch Tag für Tag "Lebendes aus Totem".
Ich weiß, dass bei der Diskussion es eher darum geht wie die erste "Lebende Materie" entstand. Also auch die ersten Baupläne des Lebens. Die heutige Umwandlung von unbelebter zu belebten Materie wird aufgrund schon vorhandenen Bauplänen aufgebaut. Das stimmt schon, dennoch sehe ich gelegentlich auch die heutigen Prozesse als eine Fortführung des Urprozesses. Naja... wie auch immer ;)
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nun hatten wir ja gerade das Thema (https://hpd.de/artikel/schoene-rna-welt-16137); dort etwas stringenter.
Vermutlich gut gemeint, m.E. aber vergeigt.
[Anm. d. Mod.: Vielen Dank für den Hinweis. Die Interpunktion im Artikel wurde angepasst.]
Thomas Waschke am Permanenter Link
Sehe ich auch so. Habe gerade auch den verlinkten Artikel gelesen, der ist auch nicht klarer.
Seit ich mich mit dem Thema befasse (seit gut 45 Jahren) sind die üblichen (nicht nur die populärwissenschaftlichen) Arbeiten Sammlungen von Konjunktiven. So richtig geklärt ist nichts, man bildet sich ein, das Bild zu kennen (es muss funktioniert haben ...), und alles was nützlich sein könnte, wird als Bestätigung gewertet, und die vielen, vielen Fragen werden einfach mit Hoffnung auf die Zukunft beiseite geschoben (es muss schließlich funktioniert haben ...).
Wenn dann ein Frommer auftaucht und nachfragt, hackt man sofort auf dem herum, weil dessen Gott doch nicht aufzeigbar sei, er sich Illusionen hingebe und so weiter. Da wird dann eindeutig mit zweierlei Maß gemessen. Klar, an den Grenzen des Wissens beginnt Nichtwissen, nicht Wissen um einen Designer, aber eben auch nicht das Wissen, dass es keinen Designer gibt oder dass alles ohne einen ablaufen konnte. Etwas belesenere Theisten basteln sich ihren Gott sowieso auf eine Art und Weise, dass eine naturalistische Abiogenese kein Problem für sie wäre.
Atheisten sollten sich meiner Meinung nach ein wenig nach der Decke strecken. Wir wissen längst nicht so viel, vor allem nicht über Abiogenese, um die Nase so hoch tragen zu können.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Wir wissen längst nicht so viel, vor allem nicht über Abiogenese, um die Nase so hoch tragen zu können."
Sehe ich auch so - aber ich bin da auch nur ferner Beobachter.
Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Ich weiß, dass ich subjektiv denke und geneigt bin, nicht genau überlegte Aussagen, zu machen.
Thomas Henninger am Permanenter Link
alle Fettsäuren gehören zu Gruppe der Lipide, so falsch war das nicht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Gebongt; bin da mit Lipid = Fett = Verbindung aus Glycerin und Fettsäuren etwas 'old school'.
Thomas Waschke am Permanenter Link
Ich habe sicherheitshalber zunächst gegoogelt. Klar, 'Lipid' ist umfassender als 'Fett'. Ich vermute aber, dass man aus Decansäure keine stabile Membran basteln kann.
In den ersten Ursuppen-Experimenten fand man derartige Substanzen nicht. Es war daher ein großes Problem, wie man Protobionten 'konstruieren' sollte, die auf eine Membran angewiesen sind. Die Proteinoide von Fox waren da nicht wirklich eine Lösung. Selbst Miller hat in der Retrospektive eingeräumt, dass der Hype angesichts dessen, was er herausfand, etwas überzogen war.
Fakt war, dass man davon ausgegangen war, dass es sehr schwer sei, Biomoleküle abiogen zu erzeugen. Dass es so einfach war, Aminosäuren zu erhalten, war daher ein Riesen-Schritt in die erhoffte Richtung. Aber eben in etwa so, wie wenn jemand im Garten einen Rucksack umschnallt und auf den Apfelbaum klettert und jubelt, dass nun der erste Schritt zur bemannten Raumfahrt gelungen sei. Immerhin ist er seinem Ziel näher gekommen, und er hat auch noch was zum Futtern dabei ...
Vollkommen schräg wird es, wenn jemand aus den Ergebnissen der Abiogenese-Forschung einen negativen Gottesbeweis konstruieren möchte. Das geht grauenhaft schief, wenn dieser Mensch an einen etwas beleseneren Kreationisten gerät. Ein moderner Theist, der in der Evolution die Schöpfungsmethode Gottes sieht, würde ihn sowieso nur belächeln, denn egal, was er erforscht, er würde immer nur die Spuren Gottes in der Schöpfung lesen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Ich habe sicherheitshalber zunächst gegoogelt. Klar, 'Lipid' ist umfassender als 'Fett'."
Thomas, mir wurde (aber schon vor ca. 50 Jahren...) beigebracht: Lipid = Triglycerid = Fett.
Seit wann eigentlich sind Fettsäuren Bestandteil der Lipide?
Finde ich schräg.
Denn: WELCHE Fettsäuren? Alle Monocarbonsäuren? Nur Gradzahlige? Auch Ethan- ('Essig'-) säure? (Wohl kaum; denn die ist ja hydrophil.) Oder erst ab Butan- ('Butter-) säure? Fragen über Fragen... (auf die ich hier und jetzt keine Antwort erwarte).
"Ich vermute aber, dass man aus Decansäure keine stabile Membran basteln kann."
Die Natur vermutet ja nicht, bastelt einfach ein paar 'echte' Lipide mit rein. Aber egal.
Ich lese deine Kommentare immer wieder gern; speziell bzgl. eines Schöpfers.
Ein auch hier aktiver, genialer Kommentator postete mal auf FB 'seinen' Schöpfer:
Eine Nudelschöpfkelle... :-D
Manchmal (nein, immer häufiger) denke ich, der Schöpfergilde (bes. der Fundi-Gilde) kommst du nur mit beinhartem Spott bei. Spott sei Dank!
Thomas Waschke am Permanenter Link
@Hans Trutnau
"Manchmal (nein, immer häufiger) denke ich, der Schöpfergilde (bes. der Fundi-Gilde) kommst du nur mit beinhartem Spott bei. Spott sei Dank!"
Kommt darauf an, an wen du kommst. Hinsichtlich der Fundi-Gilde magst du Recht haben. Vergiss aber nicht, dass es auch Theologen gibt, die ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Die Grundlage der Naturwissenschaften ist der *hypothetische* Realismus. Wenn du auch nur einen Moment nachdenkst und verstehst, was das bedeutet, merkst du schnell, dass man sich über bestimmte Gottes*bilder* durchaus amüsieren kann. Aber zu meinen, man hätte ein Argument gegen eine Übernatur, genauer, auch nur die Bedingung der Möglichkeit, darüber überhaupt eine gültige Aussage zu machen, ist naiv.
Klar, zum herzallerliebsten Jesulein führt so kein Weg, aber durchaus zur Möglichkeit einer, auch eingreifenden, Übernatur. Um hier gute Argumente zu haben, müssten wir weit mehr wissen, als aktuell der Fall ist. Denk nur an den Hype um das Miller-Experiment und was man damals alles meinte, nun zu wissen. Aus heutiger Sicht ist das so grenzenlos naiv, wie wohl Menschen in 50 Jahren über das sagen werden, was wir heute zu wissen meinen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich meinte bes. die Fundi-Gilde.
Thomas Waschke am Permanenter Link
"Ich meinte bes. die Fundi-Gilde."
"Wer von der weichgespülten Fraktion einen wie auch immer gearteten 'Trost' benötigt, hat nicht mit meinem Spott, sondern Mitleid zu rechnen - solange er/sie mich damit nicht behelligt."
Mir geht nur eine Gruppe auf den Senkel: Die weichgespülten, die auf Kreationisten eindreschen und dann meinen, Menschen wie uns mit im Boot zu haben. Die merken gar nicht, dass sie in deren Boot sitzen. Die wollen uns nach dem Motto 'der Feind meines Feindes ist mein Freund' als nützliche Idioten missbrauchen.
Ich muss schwer an mich halten, wenn ich Menschen wie Miller, Hemminger, Rhonheimer oder wen auch immer lese, die mit Akribie auf Intelligent Design-Vertretern herumhacken, nur um dann von einem Gott zu fabulieren, der sich im Quantenrauschen versteckt und dann auch noch meinen, Jesus sei auferstanden. Die vertreten doch exakt dasselbe wie die Intelligent Design-Vertreter, die meinen, dass der Designer eigenhändig Flagellen für Bakterien bastelt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nenne es "Ironie, Sarkasmus oder sonst was", Thomas. Icch nenne es Spott.
Spott sei Dank!
Die "weichgespülten" haben mich jedenfalls nicht in ihrem Boot.
Thomas Waschke am Permanenter Link
Wir sind uns vollkommen einig, vor allem hinsichtlich deines letzten Satzes.
Denn der gilt meiner Meinung nach für den Artikel, über den wir gerade diskutieren. Das war eigentlich mein Punkt, dass aus Abiogenese über Weltanschauung nichts folgt und dass man die beiden Threads (wissenschaftliche Erforschung der Abiogenese und naturalistisches Weltbild) besser auseinander hält.
Jan Sütterlin am Permanenter Link
Danke für die angeregte Diskussion.
1) Ist Decansäure ein Lipid?
Sie gehört zur Klasse der Lipide, da sie ein Biomolekül ist, dass in sehr unpolaren Lösungsmitteln wie z.B. Hexan löslich ist. Diese Eigenschaft alleine ist allerdings nicht entscheidend für Selbstorganisation zu Mizellen oder Vesikeln. Der Säureteil des Moleküls bewirkt Amphiphilie, so dass die Substanz gleichzeitig sowohl lipophil (ölliebend) als auch hydrophil (wasserliebend) ist. Aufgrund dessen gehört dieses Molekül zur Klasse der Tenside. Dies würde treffender beschreiben wie es zur Selbstorganisation kommen kann. Allerdings ist der Begriff Doppellipidschicht im Bereich der Zellmembranen bekannt und gebräuchlich. Die große Schwierigkeit in populärwissenschaftlichen Artikeln ist es, nicht mit unbekannten Fachtermini wie hydrophil, hydrophob, lipophil, Tensid, Emulgator, etc. um sich zu werfen, sondern dies so weit es geht auf wenige zu reduzieren und trotzdem korrekt zu bleiben. Ein schwieriger Spagat.
2) Kann man aus Decansäure Membranen machen, die zu Wachstum und Zellteilung fähig sind?
Ja, dies wurde in der von mir zitierten Literatur 4 "Coupled Growth and Division of Model Protocell Membranes" für Decansäure (C10, gesättigt), Myristinsäure (C14, gesättigt) und Ölsäure (C18, ungesättigt) bewiesen. Es ist richtig, dass diese Membranen weniger stabil sind als Zellmembranen heutiger Lebewesen, allerdings war dies im Rahmen der vorgestellten RNA/Lipid-Welthypothese zu Beginn auch notwendig, da Nukleotide leicht durch die Zellmembran diffundieren müssen. In modernen Zellmembranen wird der Stofftransport durch eine Vielzahl von Kanälen streng kontrolliert.
3) Zur Interpunktion: Entschuldigung. Das ist sicherlich nicht meine Stärke.
Thomas Waschke am Permanenter Link
@Jan Sütterlin
"1) Ist Decansäure ein Lipid?
Sie gehört zur Klasse der Lipide,"
genauer: Man hat 'Lipid' so definiert, dass Decansäure dazu gehört.
"Aufgrund dessen gehört dieses Molekül zur Klasse der Tenside."
Eben. Und nun könnte man noch weitere Schächtelchen aufmachen und sich fragen, wie sich Tenside zu Lipiden verhalten, ob die Definitionen im Lauf der Geschichte gleich geblieben sind und so weiter.
"Ein schwieriger Spagat."
Unbestritten. Ein Problem entsteht nur, wenn man meint, auf dieser Basis Aussagen über freien Willen und so weiter machen zu sollen. Die einzige Entschuldigung besteht dann darin, dass man zunächst sich selber täuscht.
"2) Kann man aus Decansäure Membranen machen, die zu Wachstum und Zellteilung fähig sind?"
Hier ist der Begriff *Zell*teilung vollkommen falsch, weil die untersuchten Systeme keine Zellen sind. Und hier liegt wohl Ihr Denkfehler: Sie interpretieren minimale Ansätze für mögliche Teilschritte einer Abiogenese so weitgehend, dass Sie weltanschauliche Schlüsse daraus zu ziehen meinen können. Sie täuschen sich, weil die Sprache durch falsch interpretierte Begriffe 'feiert'.
Das ist aber kein Problem, das auf der Ebene der Chemie angegangen werden kann.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Die große Schwierigkeit in populärwissenschaftlichen Artikeln ist es, nicht mit unbekannten Fachtermini wie hydrophil, hydrophob, lipophil, Tensid, Emulgator, etc.
Darüber stolperte ich schon vor 2 Wochen - geriet in Vergessenheit, kam aber wieder hoch, weil ich hier ja selbst in puncto Tensid unterwegs bin...:
Der Spagat wird m.E. mit dem 'unbekannten' Fachterminus Decansäure sicher nicht weniger schwierig; erst recht mit dem (der *gesamten* Leserschaft tatsächlich unbekannten!) Terminus "Decanteil", der ja zudem nicht in allen Lipiden derselbe Teil (hier ein relativ kurzkettiger KW) ist. Und Decan, weil C10? Oder wäre Nonanteil (besser: Nonan-Teil) nicht richtiger, weil das 10. C im "Säureteil" -COOH enthalten ist? Jetzt wird es aber so richtig schwierig...
Ein Bildchen* (mit Bezeichnung, was da hydrophil, hydrophob ist) hätte da aus didaktischer Sicht 'Wunder' bewirkt. Und Fachtermini, sofern sie wirklich unbekannt sind (wozu ich hydrophil, hydrophob nicht unbedingt rechnen würde), lassen sich einfach verlinken; Wikipedia-Artikel bieten meist eine gut verständliche Einleitung an.
*Gibt es im Netz ja mannigfaltig unter dem Stichwort Tensid.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Wir werden in absehbarer Zeit erfolgreich die Geheimnisse der Schöpfung entschlüsseln. Enträtseln wir nämlich alle Geheimnisse des Lebens benötigt es auch keinen Schöpfergott mehr.
Die Entwicklung geht jedenfalls rasant voran und wer möchte solche Forschungsarbeiten am liebsten verbieten ? - Genau, Kardinäle und Bischöfe, deren Geschäftsmodell in zunehmenden Maße immer mehr abhandenkommt.
Danke für den Beitrag.
Klemens am Permanenter Link
Wer einen "Schöpfergott" im Portfolio hat, muss sich normalerweise immer fragen, woher kommt dieser eigentlich?
Thomas Waschke am Permanenter Link
@Klemens:
Streng genommen nicht, denn Theologen betrachten einen Gott als etwas 'Unbedingt Seiendes'. Nach dessen Herkunft zu fragen ist in etwa so sinnvoll wie die Frage, was nördlicher als der Nordpol sei.
Man kann auch das Kalam-Argument bemühen. Dann ist nur die Herkunft dessen zu erklären, was nicht ewig ist. Gott wird als ewig gedacht.
Dawkins wird von Theologen nicht besonders ernst genommen, weil er genau das als zentrales Argument in seiner 'The God Delusion' benötigt. Er zeigt damit eigentlich nur, dass er die Argumentation der Gegenseite nicht kennt, aber meint, sie widerlegt zu haben.
Klemens am Permanenter Link
@Thomas
Thomas Waschke am Permanenter Link
@Klemens
"Ich glaube, man kann diese Dimension nicht mehr mit unseren Worten beschreiben."
100 Prozent Übereinstimmung. Genauso wenig, wie man die Eigenschaften eines Gottes (sollte es einen geben ...) beschreiben könnte.
Es geht deshalb eher darum, wie man in einer Diskussion mit Menschen, die ein Gottes*bild* vertreten, argumentiert. Wenn diese Menschen betonen, dass ihr Gott ewig sei, ist es sinnlos, zu fragen, woher dieser Gott kommt, weil man dann zwei Sprachspiele mischt. Das wird dann so 'sinnvoll' wie die Antwort 'rot' auf die Frage, wie schnell ein Auto sei. Ein Argument gegen das Gottesbild hat man so nicht, man begeht einfach einen Kategorienfehler.
Es ist beispielsweise zielführender, zu fragen, wie der theistische Diskussionspartner *begründet*, dass sein Gott ewig sei. Das führt dann zu einer Diskussion, was eigentlich eine Begründung ist und man wird sich letztlich auf inkommensurable Weltbilder einigen müssen. Aber man wird trotzdem erkennen, dass die Frage 'Wer hat den Schöpfer erschaffen?' keinen Sinn macht.
Sven F am Permanenter Link
Man könnte doch einfach antworten: Ich sehe das Universum als ewig.
Wer hätte dann "gewonnen"? ;-)
Thomas Waschke am Permanenter Link
@Sven F:
Wir Naturalisten, weil dann das Kalam-Argument wegfällt ;-)
Thomas Waschke am Permanenter Link
@Jan Sütterlin
"Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass die Entschlüsselung des Ursprungs des Lebens eine vergleichbar heilsame Revolution unseres Selbstverständnisses zur Folge haben wird."
Unser Selbstverständnis ist von den Ergebnissen der Abiogenese-Forschung vollkommen unabhängig, wenn man einer anderen Richtung des Intelligent Design anhängt, das beispielsweise auch die Großkirchen vertreten. Das kann man an besten anhand eines Witzes zeigen (wenn es jemanden interessiert, kann ich gerne die Quelle herauskramen): Die Wissenschaft hat alle Fragen geklärt. Nun wird jemand gesucht, der Gott beibringt, dass man ihn nicht mehr braucht. Einer geht zu Gott und trägt das vor und schlägt ein Wettschöpfen vor. "Menschen?" fragt Gott. "Okay", sagt der Forscher, und bückt sich, um eine Handvoll Erde aufzuheben. "Nicht mogeln", sagt Gott, "mach gefälligst deinen Lehm selber!".
Schon daran siehst man, dass jemand, der sein Selbstverständnis auf Gott gründet, vollkommen gelassen darauf warten kann, was die Wissenschaft alles herausfindet. Gott hat die Materie und die Naturgesetze erschaffen, und die hat via Evolution das generiert, was er wollte. Es könnte sogar sein, dass man herausfindet, dass das gar nicht funktionieren kann, wenn Gott nicht ab und an eingreift, eventuell so, dass man das nicht merken würde. Ein Meteoriteneinschlag hier, ein zufälliges Ereignis dort ...
Ich sehe nicht, welche heilsame Revolution auch nur prinzipiell hier stattfinden könnte, die in der Theologie nicht schon längst erfolgt ist. Das Gottes*bild* hat sich gewandelt, die alten Mythen sind eh obsolet.
Jan Sütterlin am Permanenter Link
Ich denke schon, dass ein naturalistisches Verständnis der Abiogenese einen großen Einfluss auf unser Selbstbild hat.
Thomas Waschke am Permanenter Link
"Aber diese Diskussion führt hier zu weit."
Stimmt, es reicht vollkommen, einzusehen, dass Abiogenese hinsichtlich dieser Fragen vollkommen irrelevant ist. Zudem ist bisher viel zu wenig über Abiogenese bekannt, um daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen, denn noch niemand konnte zeigen, dass das überhaupt naturalistisch funktionieren kann. Bevor das nicht geklärt ist, sind alle weiter gehenden Überlegungen, die Sie anstellen, sinnleer. Glasperlenspiele, bestenfalls schlechte Philosophie.
Sven F am Permanenter Link
"Ich sehe nicht, welche heilsame Revolution auch nur prinzipiell hier stattfinden könnte, die in der Theologie nicht schon längst erfolgt ist.
In der Theologie vielleicht schon, die Pfaffen predigen trotzdem noch die Mythen als Realität von der Kanzel. Da das das Einzige ist, was der Ottonormalbürger von seiner Religion erzählt bekommt, finde ich die Kritik an den Mythen immer noch gerechtfertigt - solange sich die Theologen nicht darum kümmern, dass ihr neues Gottesbild auch bei den Schäfchen ankommt.