Forscher und Forscherinnen um Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen haben die Verwandtschaftsverhältnisse der Vogelfamilien auf der Erde untersucht und konnten erstmals die Verwandtschaftsbeziehungen aller Familien der Nicht-Sperlingsvögel und fast aller Familien der Sperlingsvögel aufklären. Der neue Stammbaum basiert auf Genabschnitten, die nicht für Proteine kodieren, aber Sequenzen enthalten, die jeweils spezifisch sind für die Familien und deren Gattungen.
Die ersten Stammbäume im Tierreich basierten auf Vergleichen des Körperbaus. Inzwischen analysieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Verwandtschaftsbeziehungen anhand von DNA-Sequenzen. Mit aufwändigen Verfahren werden Erbgutabschnitte verschiedener Arten untersucht und miteinander verglichen.
Die Artenvielfalt der Vögel nahm zum ersten Mal nach dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren rasant zu. Vor 35 bis 33 Millionen Jahren stieg die Zahl der Vogelordnungen und -familien im Oligozän ein weiteres Mal stark an. Der neue Stammbaum zeigt auch, dass der bislang letzte Zuwachs im Miozän vor 23 bis zirka 15 Millionen Jahren beinahe ausschließlich die Ordnung der Sperlingsvögel (Passeriformes) betrifft, zu der die arten-, gattungs-, und familienreichen Singvögel gehören. In den anderen Vogelordnungen sind seither dagegen kaum noch neue Familien entstanden. Manfred Gahr, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie, hält die Erfindung des Gesangslernens für die treibende Kraft hinter der großen Artenvielfalt der Singvögel: "Bei vielen Singvögeln entscheidet der Gesang der Männchen über die Paarungsbereitschaft der Weibchen. Neue Gesänge könnten so zur Entstehung neuer Arten geführt haben."
Nicht-kodierende Gensequenzen
Das Max-Planck-Team hat entdeckt, dass mit einer molekularbiologischen Methode die verschiedenen Vogelgruppen klar untereinander abgegrenzt werden können. Sie beruht auf der Analyse aller aktiven Gene in einer Zelle, des sogenannten Transkriptoms. Neben den Sequenzen, die in Proteine übersetzt werden, enthalten die Gene auch verschiedene nicht-kodierende Sequenzen. "Diese werden normalerweise eher vernachlässigt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die nicht-kodierenden Sequenzen den Stammbaum der Vögel gut auflösen können", sagt Heiner Kuhl, Erstautor der Studie, der mittlerweile am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei forscht. "Die nicht-kodierenden Abschnitte enthalten für eine ganze Vogelfamilie typische Sequenzen, anhand derer sich genau feststellen lässt, zu welcher Familie ein Vogel gehört. Darüber hinaus fanden wir auch Sequenzen, die für die Gattungen innerhalb der Familie spezifisch waren", betont Carolina Frankl, Co-Autorin der Studie.
Die Forscherinnen und Forscher konnten damit die Verwandtschaftsbeziehungen aller 106 Vogelfamilien der Nicht-Sperlingsvögel und 115 der zirka 130 Familien der Sperlingsvögel aufklären. Letzteres ist besonders kompliziert, da in den letzten Jahren laufend neue Gattungen zu Familien erhoben wurden, die teils nur eine oder wenige Arten enthalten und dadurch schwer zu untersuchen sind.
Stammbaum der Vögel
Im Stammbaum trennen sich recht früh die Paleognathen (unter anderem Strauße) ab. Die Neognathen teilen sich dann in die Galloanserae (Hühner und Enten) und die Neoaves (Neuvögel) auf. Innerhalb der Neuvögel wurden jetzt die Mirandornithes (die Flamingos und Haubentaucher) als die Schwestergruppe aller anderen Ordnungen entdeckt. "Der bizarre Hoatzin, den man lange nicht einordnen konnte, hatte vor etwa 64 Millionen Jahren einen letzten gemeinsamen Vorfahren mit den Caprimulgiformes (Ziegenmelker, Segler, Kolibris)", sagt Carolina Frankl. Am oberen Ende des Stammbaums finden sich die Australaves, zu denen die Sperlingsvögel, die Papageien und die Falkenartigen gehören, was bereits bekannt war.
Der Vorteil der auf dem Transkriptom basierenden Methode besteht darin, dass sich mit ihr Verwandtschaftsbeziehungen anhand einer Vielzahl von Genen effizient analysieren lassen, welche in allen Vogelarten vorkommen. "Wir müssen nicht das gesamte Erbgut aufwendig entschlüsseln und wieder zusammensetzen. Auch reicht für die Analyse ein kleiner Blutstropfen oder eine kleines Stückchen Haut. Frühere Studien, die auf den Sequenzen kompletter Genome basieren, benötigten Supercomputer für die Stammbaumberechnung, mit unserer Methodik ist dagegen ein leistungsstarker Server ausreichend", sagt Heiner Kuhl. (mpg)