Christliche Fundis in den USA träumen von einem Gottesstaat

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Von Freiheit halten viele Fundis nicht viel.

Die rechtsnationalen christlichen Fundamentalisten in den USA erleben zurzeit eine Götterdämmerung der seltenen Art. Seit Jahrzehnten kämpfen sie auf der Politbühne verbissen gegen das Recht auf Abtreibung, nun schafften sie den Durchbruch beim Supreme Court, dem Obersten Gericht der USA.

Für die frommen Christen, die rund 30 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachen, markiert der Entscheid eine Zeitenwende. Entsprechend sind sie außer Rand und Band geraten. Sie wollen den Schwung nutzen, um noch mehr politischen Einfluss zu gewinnen. Für sie ist der Erfolg ein Zeichen Gottes und ein Beweis, dass er in die Welt wirkt und sie bei ihren politischen Anliegen unterstützt.

Gerichtsentscheid entmündigt die Frauen und spaltet die Gesellschaft

Ihr Erfolg ist aber gesellschaftspolitisch problematisch. Er entmündigt nicht nur die Frauen, sondern spaltet die ohnehin schon heillos zerstrittene und polarisierte amerikanische Bevölkerung zusätzlich. Treibende Kraft in diesem selbstzerstörerischen Prozess ist das "Pro Life Movement". Dieses ist nicht nur das Sammelbecken der evangelikalen und charismatischen Freikirchen, auch rechtskonservative Katholiken sympathisieren mit der schlagkräftigen Bewegung.

Der Kampf gegen das Recht auf Abtreibung hat die christlichen Hardliner aller Couleur zusammengeschweißt. Politexperten behaupten sogar, dass das "Movement" besser organisiert und in ihren Kernthemen einflussreicher sei als die republikanische oder demokratische Partei. Und ihre Mitglieder und Anhänger bestimmen weitgehend die Agenda der Republikaner.

"Pro Life" gibt sich aber nicht zufrieden mit den Abtreibungsrestriktionen, die christlichen Fundis wollen auch die Trennung von Kirche und Staat knacken oder zumindest aufweichen. Die republikanische Kongressabgeordnete Lauren Boebert sagte kürzlich in einem Gottesdienst so: "Die Kirche soll die Regierung anleiten." Nicht umgekehrt.

Für die Frommen ist deshalb klar, dass die Bibel als Wort Gottes die Richtschnur für das gesellschaftliche und politische Leben sein soll. Sie träumen von einer Theokratie, manche von einem Gottesstaat, auch wenn sie sich hüten, diesen Begriff zu verwenden, weil er an islamistische Terrorregimes erinnert. Der Erfolg in der Abtreibungsfrage hat sie beflügelt. Sie glauben, den Willen Gottes umsetzen zu müssen.

Die Fundis haben bereits erste Pflöcke eingeschlagen und einen Fall vor das Bundesgericht gebracht. Auslöser war die Entlassung des Football-Trainers Joseph Kennedy in einer Highschool in Bremerton, Washington. Er versammelte seine Mannschaft regelmäßig zum Gebet und hielt religiöse Unterweisungen in der Kabine.

Die Schulbehörde untersagte die Praktiken mit Verweis auf die Verfassung, wonach der Staat in öffentlichen Institutionen wie Schulen keine Religion bevorzugen dürfe. Kennedy weigerte sich aber und wurde entlassen.

Mithilfe der christlichen Lobby kämpfte er sich durch alle gerichtlichen Instanzen. Kürzlich entschied das Oberste Gericht mit sechs zu drei Stimmen zugunsten des Trainers. Das Beten sei durch einen Verfassungszusatz geschützt, erklärten die Richterinnen und Richter.

Eine unheilige Symbiose

"Pro Life" verdankt die Erfolge weitgehend Donald Trump, der während seiner Amtszeit drei konservative Bundesrichter ernannte, für die Abtreibungen des Teufels sind. Und Donald Trump verdankt seinen politischen Erfolg weitgehend den ultrakonservativen Christen. Denn ohne sie wäre er nie Präsident geworden.

Ein unheilige Symbiose. Und ein Deal zwischen der Politik und der Justiz, der einer Demokratie unwürdig ist, weil sie die Gewaltentrennung missachtet.

Für die Frommen war Trump ein Geschenk des Himmels. Als solches verehren sie ihn bis heute. Und beten die Lüge von der gestohlenen Wahl nach. Sie sind überzeugt, dass Gott ihn vom Sünder zum Heiligen und Heilsbringer geläutert hat. Den Beweis sehen sie im Urteil des Obersten Gerichts.

Nur ein Etappenziel

Der gerichtliche Entscheid ist für die Freikirchen und erzkatholischen Kreise nur ein Etappenziel. Sie wollen die Macht der christlichen Institutionen und Kirchen ausbauen. Dabei steht ihnen die Religionsfreiheit im Weg, ein Grundpfeiler der Menschenrechte.

Dass ausgerechnet Freikirchen die Religionsfreiheit angreifen, ist heuchlerisch und verlogen. Denn es waren ihre Vorfahren, die für die Trennung gekämpft hatten. Sie wollten damit sicherstellen, dass staatliche Institutionen und Behörden sie nicht an der Ausübung ihres Glaubens hindern konnten. Nun haben sie politische Macht erlangt und wollen nichts mehr wissen von dem Recht, das ihre Existenz gesichert hat.

Mit ihrem Anliegen stoßen sie bei der Mehrheit der neun Bundesrichter auf offene Ohren. Mit dem Bundesrichter Clarence Thomas haben sie sogar einen Mentor auf ihrer Seite. In einem Kommentar forderte dieser seine Kolleginnen und Kollegen kürzlich auf, weitere Grundrechte zu überprüfen, die seiner Ansicht nach problematisch sind.

Er erwähnt explizit das Recht auf Zugang zu Verhütungsmitteln, das Recht auf gleichgeschlechtliche Beziehungen und das Recht auf die Ehe für alle. Diese Errungenschaften möchte er wie das Recht auf Abtreibung über Bord werfen. Man erinnert sich an islamistische Gesellschaften, die Homosexuelle steinigen.

Ein schwarzer Richter unterstützt die Fundis

Für manche Minderheiten in den USA ist es besonders bitter, dass ausgerechnet der einzige schwarze Richter, der selbst zu einer unterdrückten Minderheit gehört, dem ultrachristlichen Establishment zudient. Denn gerade für die Randständigen sind die Möglichkeit auf Abtreibung und der Zugang zu Verhütungsmitteln existenziell.

Wenn die gemäßigten und toleranten Kräfte in Politik und Zivilgesellschaft das Machtgebaren der christlichen Hardliner nicht rechtzeitig stoppen, driften die USA Richtung Gottesstaat ab.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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