Ein Gespräch mit Sangey Tashi vom Tibetan Community Health Network

COVID-19 auf Tibetisch

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Ein Kloster in Tibet. Hier wird nicht wissenschaftlich über das Coronavirus aufgeklärt.
Ein Kloster in Tibet

Im Jahr 2013 hat Sangey Tashi in New York das Tibetan Community Health Network (TCHN) gegründet. Ziel ist es, medizinische Fakten auf Tibetisch zu vermitteln. Die buddhistische Weltsicht, aber auch Chinas Tibetpolitik erschweren diese Arbeit. Dabei ist medizinische Aufklärung in Covid-19-Zeiten von besonderer Bedeutung.

"Als das Coronavirus in China aufkam", sagt Sangey Tashi, "gab es in Tibet natürlich auch Angst und es gab wie überall sehr viele Falschinformationen, die diese Angst befeuert haben. Ich sehe meine Aufgabe darin, diesen Falschinformationen mit Fakten zu begegnen."

Wie diese Falschinformationen aussehen können, zeigte sich bereits im April 2020. Tashi nahm an einer Online-Diskussion mit einem Heilkundigen der tibetischen Medizin, Kunga Wangdue, teil. Es ging um die Frage, wie der Pandemie zu begegnen sei. Wangdue erklärte, er habe im Standardwerk der tibetischen Medizin eine jahrhundertealte Textstelle gefunden, welche die Symptome einer Covid-Erkrankung zu 90 Prozent beschreiben würde. Aufgrund dessen verordne er entsprechende Diäten, Kräuter und Tees. Außerdem empfehle er eine spezielle Kräuterkugel, die an einem Band um den Hals zu tragen sei. Aus der Kugel würden Dämpfe aufsteigen, die helfen, das Virus zu neutralisieren.1 Gleichzeitig stellte Wangdue aber auch klar, dass dies nur eine zusätzliche Schutzmaßnahme sein kann. Es sei wichtig, die Corona-Regeln (Abstand halten, Händewaschen etc.) zu befolgen.

Sangey Tashi sieht in solchen Aussagen dennoch ein Problem: "Die Menschen", sagt er, "werden nachlässig beim Einhalten der Corona-Regeln, wenn sie glauben, dass eine Kräuterkugel ihnen zusätzlichen Schutz gewährt."

Wie arbeitet das Tibetan Community Health Network?

Vor seiner Arbeit im TCHN hat Sangey Tashi u. a. für das Programm Science for Monks and Nuns übersetzt. Dabei hat er auch Urknall- und Evolutionstheorie für tibetische Mönche und Nonnen mittelbar gemacht. (Foto: privat)

Vor seiner Arbeit im TCHN hat Sangey Tashi u. a. für das Programm Science for Monks and Nuns übersetzt. Dabei hat er auch Urknall- und Evolutionstheorie für tibetische Mönche und Nonnen mittelbar gemacht. (Foto: privat)

Heute hat Tashi rund 150 Artikel zu Fragen der Alltagsgesundheit erstellt. Da geht es um HIV-Prävention oder um gesunde Ernährung. Es geht um Diabetes oder darum, wie Bakterien im Körper wirken. Es geht um frauenärztliche Fragen oder um die Gefahren des Rauchens. "Das sind Informationen", sagt Tashi, "die so im Tibetischen nicht vorhanden sind."

Beim Erstellen der Artikel steht Sangey Tashi ein Beraternetzwerk zur Seite. Dies sind vor allem Universitätsmitarbeiter*innen, Ärztinnen und Ärzte in den USA, Europa, Kanada und Indien. Unter ihnen sind auch Menschen, die in der traditionellen tibetischen Medizin geschult sind. Die Artikel, die Tashi erstellt, werden von ihm in eigens eingerichteten Chatgruppen angeboten und diskutiert. Diese Chatgruppen haben mehrere hundert Teilnehmer. Fragen der Tibeterinnen und Tibeter leitet Tashi an seine Berater weiter. Die Antworten übersetzt er zurück ins Tibetische.

Wie kann diese Wissensvermittlung weiter verbessert werden?

"Unsere tibetischsprachige Internetseite", sagt Sangey Tashi, "ist aufgrund mehrerer Hindernisse für viele Tibeterinnen und Tibeter schwer erreichbar. Zum einen muss die Webseitenadresse immer auf Englisch eingegeben werden. Das ist im asiatischen Raum ein Problem, wo ganz andere Schriftzeichen geschrieben werden. Außerdem hat China dafür gesorgt, dass Webseiten, die auf ausländischen Servern liegen, gar nicht oder nur schlecht erreichbar sind. Daher wünsche ich mir langfristig eine App, mit der sich die Tibeterinnen und Tibeter unsere Artikel und Videos direkt auf ihr Smartphone laden können. Dann wären die Informationen mit nur einem Fingertipp erreichbar. Wer uns dabei helfen möchte, eine solche App zu entwickeln, kann mich gerne kontaktieren." (Anm. d. Red.: Die E-Mail-Adresse lautet: commuhealtibet[at]gmail.com)

Welche sprachlichen Herausforderungen treten bei der Wissensvermittlung auf?

"Tibetisch ist zunächst einmal eine sehr reiche Sprache", erklärt Tashi, "es ist die Sprache der tibetischen Buddhalehre. Anders als die abstrakte Wissenschaftssprache ist das Tibetische sehr auf die Person, auf den Menschen gerichtet. Im Tibetischen können wir beispielsweise Dinge über den Menschen ausdrücken, die in anderen Sprachen nicht gesagt werden können. Wir haben diesbezüglich eine reiche Literatur und Tradition. Deswegen werden die Botschaften und Praktiken unserer Kultur auch weltweit studiert und von anderen Kulturen aufgenommen."

"Andererseits", sagt Sangey Tashi, "kommt ein Begriff wie 'Virus' in unserer tibetischen Kultur gar nicht vor. Es gibt auch keine Literatur, die an den Begriff anknüpft. Als Übersetzer muss ich dann Beschreibungen finden. Es stellt sich die Frage: Wie schließt die neue Terminologie an die Kultur an, in der sie gebraucht werden soll? Nehmen wir eine Corona-Regel als Beispiel. Da heißt es: 'Um das Coronavirus abzutöten, muss man sich 20 Sekunden lang die Hände waschen.' Das ist in den USA und in Europa eine klare Botschaft. Übersetze ich diesen Satz aber ins Tibetische, kann ich auch einen Begriff wie 'abtöten' nicht verwenden. Der Begriff legt zu sehr nahe, dass es sich bei dem Virus um ein empfindungsfähiges Lebewesen handelt. Tibeterinnen und Tibeter werden diese Regel dann nur schlecht annehmen können, da das Vermeiden von Leid in der tibetischen Kultur eine hohe Bedeutung hat."

"Die Herausforderung", sagt Tashi, "besteht für uns darin, grundlegende Fakten der gesundheitlichen Aufklärung so zu vermitteln, dass die Botschaften dort ankommen, wo sie gehört werden müssen."

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  1. Die Behauptung ist keine Maßnahme, die vor einer Covid-19-Infektion schützt. Sie wird vom hpd lediglich zu Aufklärungszwecken wiedergegeben. Informationen zum richtigen Verhalten während der Covid-19-Pandemie erteilt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. ↩︎