Deutschlands Ansatz im Umgang mit Pjöngjang ist dringend revisionsbedürftig, so das Ergebnis eines neuen Berichts der Stiftung SARAM, die sich für die Stärkung der Menschenrechte in Nordkorea einsetzt. Während renommierte deutsche Universitäten höchst fragwürdige Kooperationen mit der Kim-Il-Sung-Universität pflegen, der Kaderschmiede der Elite Nordkoreas, präsentieren sich manche "Korea-Kenner" in der Bundesrepublik erschreckend uninteressiert an den seit Jahren von den Vereinten Nationen angeprangerten Menschenrechtsverletzungen.
Die "Demokratische Volksrepublik Nordkorea", wie sie sich selbst nennt, dürfte wohl eines der letzten terra incognita auf dem Globus sein – zumindest in der Frage, wie es sich dort lebt. Reporter ohne Grenzen listet Nordkorea in der 2020er-Fassung des weltweiten Pressefreiheitsindexes auf dem letzten Platz.
Auch der Zugang zum Internet ist für die einfache Bevölkerung Nordkoreas quasi nicht existent. Im Jahr 2014 gab es gerade einmal müde 1.024 IP-Adressen im gesamten Land. Stattdessen bietet Nordkorea mit "Kwangmyong" ein landesweites Intranet an, das jedoch – Stand ebenfalls 2014 – mit zwischen 1.000 und 5.000 Websites ein sehr mageres Angebot ausweist.
Wer etwas über Nordkorea zu erfahren versucht, blickt also zuerst einmal auf eine sogenannte Black Box: ein System, von dem wir nicht wissen, was in seinem Inneren geschieht. Dies führt zu einem substantiellen Problem für die außenpolitische Arbeit der Bundesrepublik Deutschland: Welchen Quellen aus der Volksrepublik ist in welchem Ausmaß zu trauen?
Informationen über Nordkorea gelangen eigentlich nur auf zwei Wegen nach "draußen": Zum einen durch offizielle Veranstaltungen und Programme des Regimes, die Gesandten fremder Nationen einen Blick in das Nordkorea der Privilegierten ermöglichen und so den Anschein eines sich modernisierenden und öffnenden Landes vermitteln sollen. Und zum anderen durch die mehr als 32.000 Menschen, denen in den vergangenen Dekaden die Flucht ins tatsächlich demokratische Südkorea gelungen ist.
Klassengesellschaft und Konzentrationslager
Mit der sogenannten "Blutvererbungslehre" hat Nordkorea eine eigene Version der Rassenlehre. Nur wer versteht, in welchem Ausmaß diese Blutvererbungslehre, "Songbun" genannt, in der Sozialstruktur Nordkoreas verankert ist, versteht den quasi-religiösen Personenkult um den Führer dieser Nation. Gemäß dieses Konzepts ist der gesellschaftliche Status eines jeden Menschen durch dessen Vorfahren vollständig prädeterminiert. "Verdorbenes Blut", wie es die US-Journalistin Barbara Demick nennt, werde über drei Generationen weitervererbt. Welche Berufe ein Mensch ergreifen darf, wo dieser Mensch leben darf, welches Strafmaß bei Verfehlungen angelegt wird: All das regelt das Songbun.
An der Spitze des Staates steht ein "Supreme Leader". Gefestigt wird dessen Position durch die "Zehn Prinzipien zur Errichtung einer monolitischen Ideologie". Das Endergebnis dieser Prinzipien ist ein Dogma, demzufolge die Menschen Nordkoreas ohne den Supreme Leader völlig verloren, handlungsunfähig und mental verarmt seien. Damit präsentiert sich das ideologische System Nordkoreas als eine theokratische Chimäre, die sich auf eine Mischung aus Elementen der konfuzianischen und leninistischen Staatstheorie und Aspekten des christlichen Heilsbringer-Fundamentalismus stützt. Angesichts dieses kruden Potpourris aus Rassenlehre, Klassensystem und Erbfolgedynastie ist es schlichtweg falsch, Nordkorea als sozialistische oder kommunistische Diktatur zu bezeichnen.
SARAM zufolge befinden sich aktuell über 100.000 Menschen in den nordkoreanischen Arbeits- und Internierungslagern, deren Existenz durch Satellitenaufnahmen und Zeugenaussagen sowohl von Opfern als auch von Tätern hinlänglich belegt ist. Ein 2014 von einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen veröffentlichter Bericht zur Menschenrechtslage in Nordkorea spricht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die derzeit "keine Entsprechung auf der Welt" hätten. In einem speziellen Fall schilderte eine Zeugin, dass sie gezwungen wurde, ihr Baby – das mit einem chinesischen Mann gezeugt wurde – eigenhändig in einem Wasserbottich zu ertränken.
Michael Kirby, Vorsitzender der Untersuchungskommission, antwortete der Deutschen Welle auf die Frage, warum er Parallelen zwischen den Lagern in Nordkorea und den Verbrechen der Nationalsozialisten sehe, wie folgt:
"Die eigentliche Ähnlichkeit fiel mir durch die Aussage eines Zeugen auf, der über die Zustände in einem politischen Gefangenenlager berichtete. Sein Job bestand darin, die ausgemergelten Körper verhungerter Häftlinge zu beseitigen. [...] Die Asche und restliche Körperteile wurden auf den umliegenden Feldern als Düngemittel verwendet, er sagte, es sei guter Dünger gewesen.
Da musste ich an die Bilder aus meiner Kindheit denken, daran, wie am Ende des Zweiten Weltkrieges die Konzentrationslager geöffnet wurden und wie wir danach dachten, etwas Derartiges könnte sich nicht wiederholen. Aber die Zeugenaussagen, die wir jetzt gesammelt haben zeigen, dass wir in den nordkoreanischen Lagern ganz ähnliche Szenen vorfinden würden."
Kirby: "Niemand kann jetzt noch sagen, wir hätten es nicht gewusst"
Die 300 von der UN befragten Zeug:innen lassen keinen Zweifel daran, dass wir es mit einem Schurkenstaat der allerübelsten Sorte zu tun haben. Vor diesem Hintergrund erscheint der unkritische Umgang mancher deutscher Akteure mit Vertretern des nordkoreanischen Regimes und seinen Institutionen erschreckend naiv.
Da wären zum einen die Humboldt-Universität und die Freie Universität zu Berlin, die von der Kim-Il-Sung-Universität (KISU) als Partner geführt werden. Einem Bericht des Middlebury Institute for International Studies at Monterey zufolge hat die Freie Universität Berlin im Jahr 2018 sogar einen Kooperationsvertrag mit der KISU in den Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften abgeschlossen. Dem Middlebury Institute zufolge ist die KISU einer der wichtigsten Akteure in der militärischen Forschung Nordkoreas.
Es muss skeptisch machen, wenn deutsche Universitäten, an denen Sozialwissenschaftler:innen ausgebildet werden, welche später unter Umständen die Politik in Nordkoreafragen beraten werden, inhaltliche Kooperationen mit der ideologisch und militärisch motivierten Eliteuniversität Nordkoreas eingehen. Wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Institutionen, die Rassentheorien vertreten, im 21. Jahrhundert.
Exemplarisch für die Intransparenz der Verflechtungen mit Nordkorea sei ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Freien Universität Berlin, Eric Ballbach, angeführt. Auf der Website des Instituts für Koreastudien findet sich folgende Beschreibung: "Besonders im Bereich Nordkorea gilt der Politikwissenschaftler als absoluter Kenner der Materie, schließlich berät er nicht nur die deutsche Bundesregierung, sondern nimmt auch regelmäßig an halboffiziellen diplomatischen Gesprächen mit nordkoreanischen Vertretern teil."
Auf Anfrage von SARAM jedoch teilte die Bundesregierung mit: "Eine Beratertätigkeit für die Bundesregierung ist uns nicht bekannt. Auch hat Dr. Ballbach unserer Kenntnis nach bislang an keinem Gespräch der Bundesregierung mit Nordkoreanern teilgenommen."
Diese Verhandlungen müssen so geheim gewesen sein, dass selbst die Bundesregierung keine Kenntnis davon hat. Und selbst wenn designierte "Experten" vom nordkoreanischen Regime auf einen Tagesauflug nach Pjöngjang eingeladen werden – was ist von Informationen und Eindrücken zu halten, die von einem Regime vorausgewählt werden, das seine eigene Bevölkerung massakriert?
Ebenso irritierend präsentieren sich manche Aussagen des Präsidenten der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft, Uwe Schmelter. Bei einer Veranstaltung des Auswärtigen Amts im Jahr 2019, bei dem auch der deutsche Botschafter in Pjöngjang geladen war, soll sich Schmelter SARAM zufolge für Verständnis für Zwangsarbeit in Nordkorea ausgesprochen haben. Man müsse die patriotische Erfüllung berücksichtigen, die Nordkoreaner:innen dabei empfänden, für ihr Land arbeiten zu dürfen. Sicher, wer wird nicht gerne frühmorgens von einer Horde Soldat:innen aus dem Bett geprügelt, bei fünf Grad Celsius mit Eiswasser abgeduscht und freut sich dann auf einen produktiven 15-Stunden-Tag mit Gewehrlauf im Nacken?
Ein letztes Beispiel für den unbedarften Umgang mit Nordkoreas Regime liefert der "Goethe-Lesesaal" in Pjöngjang. Mit Geldmitteln der Bundesrepublik sollte der nordkoreanischen Bevölkerung, und zwar Angehörigen aller Klassen, Zugang zu deutscher Literatur ermöglicht werden. Schnell zeigte sich jedoch, wo der Haken lag – beziehungsweise die Schere: Nordkorea hatte aus den Publikationen mal eben alles herausgeschnitten, was auch nur im Ansatz als der Propaganda nicht entsprechend eingestuft wurde. SARAM zufolge fehlte in den meisten Magazinen mehr als die Hälfte des Inhalts. Dabei hätte man sich die Feinarbeit sparen können, war der Saal in Pjöngjang doch sowieso Tag und Nacht verschlossen. In seiner real umgesetzten Fassung war der Goethe-Lesesaal eine von deutschen Steuerzahler:innen subventionierte Privatbibliothek der nordkoreanischen Elite.
Die deutsche Verantwortung
Wenn Rüdiger Frank, dessen öffentliches Renommee ihn als Kenner Nordkoreas ausweist und dessen Meinung im politischen Diskurs über den Umgang mit dieser Nation hoch geschätzt wird, die Arbeitslager des Regimes als "Dörfer mit Zaun" und die darin Inhaftierten ausnahmslos als "Kriminelle" bezeichnet, wie SARAM ihn zitiert, dann hat das den bitteren Beigeschmack der Geschichtsvergessenheit. Wir sind die Kinder und Kindeskinder der Holocaust-Täter:innen. Wir sind die Nachfahren derer, die den industriellen Genozid erfunden haben. Aus dieser Historie entsteht die ewigwährende Verantwortung, Menschenfeindlichkeit und Grausamkeit auf dem gesamten Globus zu benennen, zu bekämpfen und auf eine friedlichere Welt hinzuarbeiten. Deutschland sendet ein höchst ambivalentes Signal an die internationale Gemeinschaft, wenn hierzulande Personen, die Arbeitslager und Massenmord relativieren, als Fachleute bezeichnet und behandelt werden.
Angesichts der höchst komplexen Situation auf der koreanischen Halbinsel wäre es falsch, den genannten Personen Eigennutz, Opportunismus oder sonstige Unredlichkeiten vorzuwerfen. Möglicherweise wurden viele Akteure von den pompösen Inszenierungen des nordkoreanischen Regimes geblendet, vielleicht haben sie einfach nie mit den Tausenden Geflüchteten gesprochen, die einen Bericht aus erster Hand vermitteln können.
All das ist entschuldbar, wenn es nur eingestanden und geändert wird. Wir sind auf einem Irrweg, wenn wir glauben, wir könnten ohne die Informationen der Geflüchteten vernünftige Politik machen. Weiterhin ist sicherzustellen, dass humanitäre Hilfen bei der lokalen Bevökerung ankommen, statt im Dunstkreis der Eliten zu versickern und deren Macht zu stärken.
Zur Legitimation nach innen wie nach außen ist ein totalitäres Regime stets auf internationale Anerkennung angewiesen. Diese müssen wir ihm verweigern, wenn sich eben jenes Regime seinerseits weigert, die eigene Bevölkerung human zu behandeln. Die Bundesrepublik Deutschland macht sich lächerlich, wenn sie den Umgang der chinesischen Regierung mit den Uiguren anpragert, gleichzeitig aber Vertreter:innen Nordkoreas hofiert.