Gestern fanden sich bei einem gemeinsamen Symposium Vertreter*innen der südkoreanischen Regierung und verschiedener NGOs ein, um anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der UN-Untersuchungskommision zu Nordkorea (COI) einen Lagebericht zu präsentieren. Seit die Weltgemeinschaft zum ersten Mal von den dortigen Arbeits- und Umerziehungslagern erfuhr, hat sich leider kaum etwas verbessert. Im Gegenteil: Während das Regime sein Atomprogramm ausbaut, droht der Bevölkerung die schlimmste Hungerkatastrophe seit den 1990er Jahren. Der hpd sprach dazu mit einer in Deutschland studierenden Nordkoreanerin.
Soo-min (Name geändert) flüchtete vor mehr als zehn Jahren über Laos und Thailand nach Südkorea. Über einen Studienclub knüpfte sie Kontakte nach Europa, seit einigen Jahren lebt sie in einer deutschen Großstadt und absolviert ihr Masterstudium. Unter der Bedingung der Anonymität sprach sie mit dem hpd über das Leben in Nordkorea und was sich seit der Coronapandemie geändert hat.
"Seit Corona ist es fast unmöglich geworden, Kontakt zu halten oder Geld in das Land zu schicken", sagt Soo-min. "Vor zehn bis 15 Jahren war die Regierung noch nicht so verrückt, wir haben drei bis vier mal im Jahr Geld geschickt. Das hat eine Gebühr von 30 Prozent gekostet. Ein paar Jahre später waren es schon 50 Prozent. Jetzt geht fast nichts mehr."
Die durch Jahrzehnte der uferlosen Korruption und geopolitischen Isolation entstandene Einzigartigkeit des Lebens in Nordkorea führt bisweilen zu bizarren Situationen. Kühe zu essen, so Soo-min, sei in Nordkorea bei Strafe verboten. In den Augen der Regierung seien Kühe sogar wichtiger als Menschen. Doch hat das nichts damit zu tun, dass das Tier – wie im Hinduismus – als heilig gilt. Der Grund ist viel weltlicher: Kühe sind die primären landwirtschaftlichen "Maschinen" des Landes.
In diesem Kontext lässt Soo-min einen Nebensatz fallen, der noch lange nachhallen sollte: "In Nordkorea träumen wir nicht von der Zukunft". Es gibt keine Reisefreiheit, keine Freiheit der Berufswahl. Nordkoreas Bürger*innen werden so rigoros indoktriniert und von der Außenwelt abgeschottet, dass nicht einmal der Traum von einem besseren Leben möglich ist – sie wissen nicht, dass es eines gibt. Der größte Unterschied in Soo-mins Leben sei Freiheit: "Hier [in Europa, Anm. d. A.] fühle ich mich so frei. Es gibt keine harten Grenzen. Jedes Stück Steak, das ich hier esse, ist ein Mittelfinger an meine Regierung".
Bericht der südkoreanischen Regierung dokumentiert 1.600 konkrete Menschenrechtsverletzungen
Eröffnet wurde das Symposium von Doo-hwan Song, Vorsitzender der südkoreanischen Menschenrechtskommission. Das kürzlich von Nordkorea verabschiedete "Gesetz zur Bekämpfung von reaktionärem Gedankengut und Kultur" gebe Anlass zur Besorgnis, weil es den Zugang zu ausländischen Informationen noch weiter einschränke, so Song in seinem Statement. Es sei von größter Wichtigkeit, dass die Menschen in Nordkorea "sich der Menschenrechtsverletzungen, die sie erdulden müssen, bewusst werden".
Yong-seok Choy, Generaldirektor des Center for North Korean Human Rights, sprach über den im März veröffentlichten Bericht zur Menschenrechtslage in Nordkorea, den die südkoreanische Regierung jährlich anfertigen lässt und dieses Jahr erstmals öffentlich macht. In mehr als 500 Interviews sind in diesem Bericht 1.600 Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Das Ziel, so Choy, müsse sein, diesen konkreten Fakt sowohl der internationalen Gemeinschaft als auch den Menschen Nordkoreas bewusst zu machen.
Zugeschaltet war außerdem der ehemalige Vorsitzende der COI, Michael Kirby. Kirby bemerkte, die Strategie des vorherigen Präsidenten Moon und des ehemaligen US-Präsidenten Trump, eine freundlichere Atmosphäre zu schaffen und die Menschenrechtsverletzungen nicht zu diskutieren, sei nicht aufgegangen. "Mit Nordkorea sanft umzugehen zahlt sich nicht aus", sagte Kirby.
"Das internationale Recht bring die Verantwortung, dass wir nicht wegschauen, weil es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht." – Michael Kirby
Auch per Videoschaltung anwesend war Jieun Kim, eine nordkoreanische Kinderärztin, die mittlerweile in Südkorea arbeitet. Kim betonte, mit die wichtigsten Güter, die die Weltgemeinschaft liefern könne, seien technische Geräte und medizinische Fachbücher. Nur so bestünde die Möglichkeit, dass funktionierende Versorgungswege und Infrastruktur aufgebaut werden können. Natürlich existiere das Risiko, dass diese Hilfen missbraucht würden, bemerkte Kim, doch die Situation zwinge uns, dies in Kauf zu nehmen: "Wir müssen zuerst an die Menschen denken, danach an den Rest", plädierte sie.
Der Worst Case sind Millionen Tote
Während in Deutschland Politik und Zivilgesellschaft beratschlagen, wie dem nordkoreanischen Regime wohl am besten beizukommen ist, schlittert das Land in die schlimmste Nahrungsmittelkrise seit den 1990er Jahren. Wie Berechnungen der NGO 38North zeigen, ist Nordkoreas Nettogetreidebilanz auf den niedrigsten Stand seit 1997 gefallen. Die aktuelle Produktionsmenge reicht nicht mehr aus, um den Mindestbedarf der Bevölkerung zu decken.
Einen ähnlich besorgniserregenden Ausblick liefert auch der japanische Journalist Jiro Ishimaru. Ishimaru, der seit Jahren mit nordkoreanischen Dissident*innen und Geflüchteten arbeitet. Er konstatiert, dass sich das Land längst mitten in einer Hungerkatastrophe befindet. Die Situation sei so gravierend, dass die ärmsten Teile der Bevölkerung bereits Baumrinde verzehren, weil sie sich nichts anderes mehr leisten können. Während der letzten Nahrungsmittelkrise verhungerten zwischen 240.000 und 3,5 Millionen Menschen.
Besonders interessant ist die Tatsache, dass sich die Getreidepreise in verschiedenen nordkoreanischen Regionen voneinander entkoppelt haben. Während sie in der Hauptstadt Pjöngjang seit Beginn der Pandemie vergleichsweise stabil geblieben sind, kletterten sie in anderen Städten in schwindelerregende Höhen. Dies zwingt die ärmeren Teile der Bevölkerung, auf weniger präferierte Getreide wie Mais umzuschwenken. Der Maispreis ist, auf die Gesamtheit Nordkoreas bezogen, in den vergangenen drei Jahren sogar noch stärker gestiegen als der Reispreis.
Diese Entwicklungen zeigen, so der Bericht von 38North, dass "die drakonischen Grenzschließungen und Mobilitätseinschränkungen des Regimes zu einer Entkoppelung der Binnenpreise zwischen Städten geführt haben". Anders ausgedrückt: Um inmitten einer globalen Gesundheits- und Wirtschaftskrise den eigenen Wohlstand zu sichern und das Atomprogramm weiter auszubauen, lässt Pjöngjangs Elite den Rest des Landes hungern.
1 Kommentar
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Es ist erschreckend, dass es im 21. Jahrhundert noch derartig Skrupellose "Politiker"
gibt, welche lieber die Bevölkerung verhungern lässt, dafür aber ein Arsenal von Atomwaffen anschafft.