Sterbehilfe in der Schweiz

Sterbehelferin entkommt Gefängnisstrafe nur knapp

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Dr. Erika Preisig, Basel
Dr. Erika Preisig, Basel

Wer bisher meinte, in der Schweiz sei hinsichtlich ärztlicher Suizidhilfe alles klar, sieht sich getäuscht. Die Ärztin Dr. Erika Preisig (61), Gründerin des dortigen Suizidhilfevereinigung Lifecircle / Eternal Spirit, der sich auch viele Deutsche angeschlossen haben, sah sich vor Gericht schweren Vorwürfen ausgesetzt. Das Urteil wurde vor wenigen Tagen verkündet.

Die schweizerische Sterbehelferin Erika Preisig sollte wegen vorsätzlicher Tötung ins Gefängnis.

Fünf Jahre Freiheitsstrafe hatte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft verlangt, dazu eine Geldstrafe. Zwar wurde dieser schwere Vorwurf mit dem hohen Strafmaß nicht bestätigt. Doch das Gericht verurteilte Preisig bedingt (d. h.: zur Bewährung) zu einer 15-monatigen Freiheitsstrafe und einer Buße von 20.000 Franken.

Psychiatrisches Fachgutachten fehlte

Das Vergehen: 2016 hatte Preisig einer 66-jährigen depressiven Frau geholfen, sich das Leben zu nehmen. Sie hatte ihr eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital verschreiben und besorgt. Das tödliche Mittel wurde der Frau über eine Infusion zugeführt, die sie selbst geöffnet hatte. Die Sterbewillige hatte also letztlich die Tatherrschaft – also anscheinend ein klassischer Fall von straffreier Hilfe zum Suizid. Diese ist in der Schweiz erlaubt bzw. in Grenzen geduldet, aber nicht näher gesetzlich geregelt. Allerdings hatte das Schweizer Bundesgericht in einem Leiturteil 2006 festgehalten, dass zwar auch psychisch Kranke Suizidhilfe erhalten dürfen, aber nur, sofern der Sterbewunsch auf einer autonomen Entscheidungsfähigkeit beruht. Sonst liegt die Tatherrschaft – ebenso wie in Deutschland – nicht beim Suizidenten, sondern beim Helfenden. Konkret müsse also die Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen gewährt sein und dazu bedürfe es in der Schweiz jedenfalls eines psychiatrisches Fachgutachtens.

Wieso hatte es in diesem Fall nicht vorgelegen? Einige werfen Preisig diesbezüglich Fahrlässigkeit vor. Sie ist eine Ärztin, die polarisiert. Ihre UnterstützerInnen sehen sie als Menschenrechtsaktivistin für den Freitod. Ihre GegnerInnen bezeichnen sie als "Doktor Tod", die immer wieder wegen ihrer möglichst kurzen, unbürokratischen Entscheidungswege zugunsten von SuizidkandidatInnen in die Schlagzeilen geraten war. So hatten ihr Apotheken in anderen Fällen aufgrund von Formfehlern schon die Herausgabe von Natrium-Pentobarbital verweigert. Das Gericht attestierte ihr den "missionarischen Eifer" einer uneinsichtigen Überzeugungstäterin.

In die verzweifelte Situation ist die Ärztin gekommen, als Psychiater und Neurologen die Zusammenarbeit mit ihr aufkündigten und für sie keine Gutachten für depressive Suizidwillige ihres Vereins mehr ausstellten. Früher übernahmen Fachärzte der Basler Memory Clinic diese Aufgabe, bis 2016 fand jedoch ein Umdenken statt. Um zu verhindern, dass die psychisch kranke 66-jährige Frau, die zudem eine psychiatrische Begutachtung ihrer Urteilsfähigkeit ablehnte, sich selber umbringen würde, entschloss sich Preisig auch ohne psychiatrisches Gutachten zur Suizidbegleitung.

Wie kam es zum Strafmaß

Nach der Selbsttötung wurde dies nachgeholt. Der Direktor der Klinik für Forensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel erstellte ein Post-mortem-Gutachten. Laut 1000-seitiger Krankengeschichte ließ sich die Patientin sieben Jahre lang von zig Ärzten untersuchen, doch keiner fand eine Diagnose, die sie zufriedenstellte, das heißt keiner fand eine körperliche Ursache für ihr Leiden. Es setzte sich die Diagnose durch, dass ihre Schmerzen psychisch bedingt sein müssten. Der Gutachter gelangte zu dem Schluss, dass die Verstorbene aufgrund der Schwere ihrer Depression nicht urteilsfähig war. Dies führte zu der harten Anklage der Staatsanwaltschaft.

Doch das Gericht ließ demgegenüber eher Milde walten, wertete das psychiatrische Gutachten rechtlich anders und sprach Preisig vom Hauptvorwurf der vorsätzlichen Tötung frei. Schuldsprüche und Bestrafung gab es dennoch: Wegen mehrfachen Verstößen gegen das Schweizer Heilmittelgesetz und die Arzneimittelverordnung. Das tödliche Natrium-Pentobarbital hatte Preisig teils blanko bezogen statt auf eine Person verschrieben und teils auch nicht eingesetzte Dosen umetikettiert.

Laut Gerichtspräsident wären für diese Heilmittelverstöße 15 Monate auf Bewährung angemessen, berücksichtigt worden sei, dass für 61-jährige Preisig ihre Zulassung als Ärztin auf dem Spiel stehe. Die Geldbuße von 20.000 Franken liege deutlich unter dem Maximum; bei Nichtbezahlen würden daraus 90 Tage Haft. Ferner wurden die Verfahrenskosten mit 29.000 Franken und die Gerichtsgebühr mit 30.000 Franken beziffert. Davon muss Preisig ebenfalls einen erheblichen Anteil zahlen. Der Gerichtspräsident ließ keinen Zweifel daran, dass die Freisprechung vom Vorwurf der Tötung einer willensunfähigen Patientin "am seidenen Faden gehangen" habe und Preisig sich "schwerwiegend fahrlässig" verhalten habe. Beobachter sehen das Urteil im Sinne einer Warnung von Seiten des Strafgerichts.

Erika Preisig dürfte sich weiterhin keiner Schuld bewusst sein. Sie legte inzwischen Berufung ein.