Kommentar

SPD-Positionierung zu Schwangerschaftsabbruch und Fetenschutz

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Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich in einem am 25. Juni veröffentlichten Positionspapier für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein. Gleichwohl soll es aber weiterhin "klare gesetzliche Voraussetzungen" geben, die mit einem "Schutzkonzept für das ungeborene Leben" auszutarieren wären. Doch (wie) kann das funktionieren?

Die umstrittene Beratungspflicht im Paragraf 218a StGB will die SPD-Bundestagsfraktion durch einen Rechtsanspruch auf freiwillige Beratung "rund um Schwangerschaft und Schwangerschaftskonflikt" ersetzen. Bestandteile sollen unter anderem staatliche Unterstützungsleistungen, vertrauliche Geburten und die Familienplanung sein. Schwangerschaftsabbrüche sollen in Zukunft Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen werden. Und sie sollen "noch besser in die medizinische Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten integriert werden".

Zudem sollen Krankenhäuser, denen die Leistungsgruppe Gynäkologie zugewiesen wird, gesetzlich verpflichtet werden, entweder selbst Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen oder Schwangere, die einen solchen bei eigener Methodenwahl wünschen, an eine geeignete Stelle weiterzuleiten. Es ist klug und richtig, im Papier darauf hinzuweisen, dass dabei ein ärztliches Weigerungsrecht zum direkten Abbruch (abgesehen von der Beteiligung an der Vor- und Nachsorge) beibehalten wird. Denn diese Befürchtung, dass einzelne Gynäkolog*innen gegen ihr persönliches Gewissen zu einer nunmehr normalen Versorgungsleistung gezwungen werden könnten, wird so gut wie in allen Stellungnahmen größerer medizinischer Fachgesellschaften geäußert.

Stärkung reproduktiver Frauenrechte durch Fristenregelung?

"Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken – Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren" – so lautet der Titel des gut dreiseitigen Positionspapiers der SPD-Bundestagsfraktion. Sie nimmt sich damit der jahrzehntelangen Frauenrechts-Forderung "Weg mit Paragraf 218 StGB" an. Die Beratungsinfrastruktur soll weiter gesichert sein: "Unser Ziel ist, dass möglichst viele Frauen eine rechtebasierte und psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen." Die SPD-Abgeordneten wollen das Recht von Frauen, über ihren Körper, ihre Familienplanung und ihr Sexualleben selbst zu bestimmen, stärken. Dies ist auch zwingend erforderlich. Denn die Rechtswidrigkeit von Abbrüchen ist – jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft – mit den Grundrechten von ungewollt Schwangeren längst nicht mehr vereinbar (entgegen den einschlägigen Bundesverfassungsgerichtsurteilen aus den Jahren 1975 und 1993 – und damals war es das natürlich auch nicht).

Seit dem 1995 erzielten "faulen" gesamtdeutschen Kompromiss zu den Paragrafen 218 ff wird in den letzten Jahren auch politisch wieder darüber gestritten. Im April hat eine von der Ampelregierung eingesetzte Expert*innen-Kommission in ihrem Bericht keinen Zweifel daran gelassen, dass Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen zu entkriminalisieren sind.

Nun schlagen auch die Mitglieder der SPD-Fraktion in ihrem Papier vor: "Schwangerschaftsabbrüche sollen bis zu einer gesetzlich zu bestimmenden konkreten Frist legalisiert werden". Und sie propagieren: "Für uns ist ein wirksames und angemessenes alternatives Schutzkonzept für das ungeborene Leben Voraussetzung für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts." Dieser Satz lässt aufhorchen. Ab wann soll der Fetus schützenswert sein, wenn sich etwa seine Empfindungsfähigkeit im zweiten Schwangerschaftsdrittel zu entwickeln beginnt? Und steht ein solches "Lebensschutzkonzept" nicht im Spannungsfeld zu Titel und Tendenz des SPD-Positionspapiers?

Zusätzliches Lebensschutzkonzept bloß als Lippenbekenntnis?

Dort wird dann im Sinne einer (erforderlichen verfassungsrechtlichen) Güterabwägung als grundsätzliches Ziel vorgegeben: "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und die Rechte der Schwangeren müssen daher neu austariert werden." Diesen Worten kann zwar zugestimmt werden, sie hören sich versöhnlich an, bleiben aber blumig und scheinen doch eher ein Lippenbekenntnis zu sein. Wie weit nun der Schutz des Embryos (bitte nicht von "ungeborenem Kind" sprechen!) über die zwölf Wochen hinausgehen soll – das steht nicht im SPD-Papier.

Die Expert*innen-Kommission hat dem Gesetzgeber weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt. So könne der Bundestag, wenn er den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig stellte, eine Beratungspflicht für die Frau mit oder ohne eine Wartezeit auch außerhalb des Strafrechts vorsehen. Bei dieser Ergebnisoffenheit dürfte vor allem über konkrete Fristsetzungen noch viel Rangelei und Streit vorprogrammiert sein, bis es überhaupt zu einem Gesetzentwurf für eine umfassende Neuregulierung kommt. Im SPD-Papier heißt es dazu: "Wir sprechen uns für eine Frist aus, die an der Überlebensfähigkeit des Fötus … mit ausreichend zeitlichem Abstand anknüpft." Wäre hier wohl eine gesetzlich vorzugebende Terminierung von etwa 18, 21, 24 (oder noch weniger oder noch mehr) Schwangerschaftswochen angezeigt? Es folgt der Satz: "Sobald eine Überlebenschance des Fötus außerhalb des Uterus in Einzelfällen besteht, muss ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verboten sein." Das führt zu Irritationen: Der gravierende Unterschied zwischen freigegebener Legalisierung einerseits und ärztlicher Bestrafung andererseits würde also auf Messers Schneide stehen – und gegebenenfalls vom Ablauf nur einer zu bestimmenden Woche abhängen. Die SPD-Bundestagsabgeordneten betonen dabei: "Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch sollen durch strafrechtliche Sanktionen flankiert werden." Diese greifen dann für Ärztinnen und Ärzte bei der "Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs nach Ablauf der gesetzlichen Frist".

Die bloße Abschaffung einer grundsätzlichen Rechtswidrigkeit im Strafrecht könnte zumindest intellektuell als ein relativ leichtes Unternehmen erscheinen. Die dann aber folgenden schwierigen Problemlösungen bestehen darin, ein Stufenmodell für die fortschreitende Entwicklung vom Embryo bis zum späten Fetus gesetzlich zu normieren. Dazu sind noch vertiefte Debatten, Überlegungen und eine Berücksichtigung auch der Ärzteschaft erforderlich, um innerhalb der Ampelkoalition und erst recht im Bundestag auch nur annähernd mehrheitsfähig zu werden. Statt eines exakten Zeitpunktes wären Übergangslösungen, Abwägungen und Indikationen zu formulieren, wonach Abbrüche auch über die völlige Freigabe einer Fristenregelung hinaus nicht rechtswidrig oder gar strafbar wären.

Was blendet das Positionspapier aus?

Die einzige in diesem Zusammenhang zu findende Aussage im Positionspapier macht deutlich, dass man sich damit noch gar nicht befasst hat. Sie lautet nämlich lapidar: "Bei medizinischer Indikation soll für die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin keine Frist gelten." Das ist zwar richtig und betrifft ja auch nach bestehender Rechtslage hochentwickelte und gegebenenfalls auch überlebensfähige Feten bis zum Zeitpunkt der Geburt. Diese Regelung einfach "weiterhin" so beibehalten zu wollen, zeigt jedoch, dass eine Forderung beziehungsweise Empfehlung der Expert*innen-Kommission unbeachtet geblieben ist.

Diese schlägt nämlich dem Gesetzgeber dringend vor, auch die bestehende (!) medizinische Indikation neu regeln, denn: "Die gegenwärtige Erfassung des Schwangerschaftsabbruchs bei einem fetopathischen Befund als Unterfall der medizinischen Indikation (s. § 218a Abs. 2 StGB) ist intransparent. Es fehlen gesetzliche Kriterien für die Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen bei einem pränataldiagnostisch auffälligen Befund ein Schwangerschaftsabbruch zulässig ist." In diesem Zusammenhang ist die Frage aufgeworfen worden, ob hierzu nicht eine (bei der Fristenregelung ja abzuschaffende und bei der Indikation bisher nicht vorhandene) Beratungspflicht eingeführt werden sollte.

Die medizinische Indikation ist seit dem Gesetz von 1995 zu Paragraf 218a ausdrücklich nur auf eine unzumutbar schwere (gar bis lebensgefährdende) seelische oder körperliche Gesundheitsbeeinträchtigung der Frau bezogen. Heute fuße sie jedoch, so der medizinische Fachverband für Ultraschall namens DEGUM, fast immer auf einer vorgeburtlich festgestellten Fehlentwicklung des Fetus. Dieser Befund würde dann quasi automatisch als schwere psychische Belastung der werdenden Mutter, also als bestehende Indikation für einen Abbruch anerkannt, obwohl eine ehrlicherweise fetopathisch zu nennende Indikation ausschlaggebend sei. Insbesondere beim im Fachjargon sogenannten "Fetozid durch Spätinterruptio" beklagt der Verband DEGUM in seiner Stellungnahme für die Expert*innen-Kommission, dass für die betroffene Ärzteschaft eine ungeregelte Grauzone entstanden ist. Dies führe aufgrund der Todesursache gelegentlich sogar zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.

Auch von etlichen anderen der (insgesamt 39) Stellungnahmen für die Kommission wird auf diese Problematik hingewiesen, wie etwa von Cara, einer Beratungsstelle zu Pränataldiagnostik. Diese fordert die Verantwortlichen für Neuregelungen auf, die dargestellten "Problemlagen ernst zu nehmen, zumal sich mit einer möglichen Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und einer veränderten Perspektive auf Fristen ohnehin Fragen nach dem Umgang mit späten Schwangerschaftsabbrüchen stellen werden."

Welches Fazit ist zu ziehen?

Die im SPD-Positionspapier "Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken" vorgesehenen praktischen Reformvorhaben zur Versorgungsverbesserung sind auch als Sofortmaßnahmen unbedingt zu begrüßen.

Hingegen bleibt der – entgegen dem Titel des Positionspapiers – formulierte Anspruch, die Selbstbestimmungsrechte von Schwangeren mit einem "Schutzkonzept für das ungeborene Leben" auszutarieren, uneingelöst. Eine solche Abwägung darf allein deshalb kein unausgegorenes Lippenbekenntnis sein, weil sonst diejenigen, die gegen eine liberale Neuregelung erneut vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wollen, dort allzu leichtes Spiel hätten. Medizinische und ethische Beiträge gegen ungeregelte Spätabtreibungen von Fach- und Interessenverbänden, welche die Expert*innen-Kommission eingeladen hatte, werden im SPD-Papier nicht zur Kenntnis genommen. Es bleibt dort fraglich, ob sich das "Lebensrecht des ungeborenen Kindes" ausschließlich auf den Rechtsstatus zu beziehen hätte, außerhalb des Uterus bereits potentiell lebensfähig zu sein.

Die im Papier noch vage bleibenden Angaben und Ausführungen, etwa auch zur Strafbarkeit für Gynäkolog*innen unter bestimmten Umständen, sollen der SPD-Fraktion hier nicht angekreidet werden. Entsprechende Konkretisierungen wären noch auszuarbeiten und abzustimmen. Es bleibt ihr Verdienst, eine frauenrechtliche Grundsatzposition abgesegnet zu haben, mit der politisch endlich der richtigen Kurs der Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eingeschlagen wird.

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