Etwa 25.000 Lobbyisten soll es in Brüssel geben. Die meisten von ihnen entstammen der Wirtschaft, einige auch Nichtregierungsorganisationen. Doch auch Kirchen haben ihre Vertretungen vor Ort, um Einfluss nehmen zu können. Humanistische und atheistische Gruppen betrachten mit Sorge den in Artikel 17 des "Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union" festgelegten, vermeintlich transparenten Dialog mit religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen. Hat doch Mairead McGuinness, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, angekündigt, den Dialogprozess verändern zu wollen.
53 Religionsgemeinschaften sind nach Angaben des Deutschlandfunk im Transparenz-Register der Europäischen Kommission gelistet. Die stärksten unter ihnen sind die evangelischen und katholischen. Andere religiöse Gemeinschaften wie jüdische, muslimische oder freikirchliche sind kleiner und mehr als Ansprechpartner denn als aktive Lobbyisten vor Ort.
Im Jahre 1999 hat die Europäische Union ihr politisches Verhältnis zu den Kirchen festgelegt. In Artikel 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es nun:
(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.
(2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen.
(3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.
Wenngleich hier betont werden soll, dass auch weltanschauliche Gemeinschaften Gehör finden, zeigt sich eine Schieflage doch auf einen zweiten Blick deutlich.
So ist es weltanschaulichen Gruppierungen wie humanistischen oder atheistischen Verbänden kaum möglich, ein Gegengewicht zu den Kirchen zu bilden, die reich an Geld und Personal sind. Hinzu kommen die starken und kaum anzutastenden Positionen, die Kirchen in Ländern wie zum Beispiel Deutschland oder Polen einnehmen und die nach Absatz 1 des Artikel 17 nicht beeinträchtigt werden. Und das, obwohl zum Beispiel die Personalpolitik der Kirchen immer wieder für Entsetzen sorgt, wenn Geschiedene und Wiederverheiratete gekündigt oder konfessionsfreie Personen nicht eingestellt werden sollen.
Schwierig für Humanisten und Atheisten ist es auch, Gehör zu finden, wenn Politiker im Europäischen Parlament selbst religiös sind und religiöse Überlegungen in politische Entscheidungen einfließen lassen. Dieses Problem hat sich mit dem Erstarken des Rechtspopulismus noch verstärkt. Obgleich die Politiker zumeist nicht wirklich religiös sind, werden christliche Ideale vorgeschoben, um konservative bis menschenfeindliche Entwürfe oder Entscheidungen zu begründen.
Mairead McGuinness, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, hält den Austausch mit Glaubens- und philosophischen Gruppen für ein wichtiges Element, um die Nähe zu den Wählern zu erhalten und die Europäische Union nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als sozialen Verband zu verstehen. In ihrem Einführungsvideo zur Erklärung des Artikel 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nehmen jedoch religiöse Gruppen den meisten Raum ein.
Dass McGuinness' Vorstoß für humanistische und atheistische Menschen ein Grund zur Sorge ist, bekräftigen auch Informationen des Economist, nach denen gerade die Kirchen noch an Einfluss im Europäischen Parlament gewinnen können, wenn sie nicht mehr nur zu drei Seminaren geladen werden, sondern auch zu Treffen mit Abgeordneten, die in die Planung parlamentarischer Angelegenheiten involviert sind. Durch die Journalistin Sian Norris geleakte Entwürfe bekräftigen dies. McGuinness widerspricht, indem sie gleichen Zugang für alle Gruppen bekräftigt.
Die European Humanist Federation sieht Menschenrechte, individuelle Freiheiten und wissenschaftliche Erkenntnisse in Gefahr, sollte religiöser Fundamentalismus in Brüssel noch mehr Raum einnehmen.
8 Kommentare
Kommentare
G.B. am Permanenter Link
Die Hab und Machtgier der Kirchen kennt keine Grenzen obgleich ihre Existenz einzig auf Lügen und Betrug aufgebaut ist.
Die Politik hält zum Klerus, da deren Grundeinstellung die gleiche ist.
Heinz Schwabe am Permanenter Link
yesss!!!!! Genau so!!!!! stimmt genau mit meiner Sichtweise überein!!!!!
G.B. am Permanenter Link
Danke Heiz Schwabe, sonst werde ich für meine Kommentare oft zynisch gemaßregelt.
Hermann Goldkamp am Permanenter Link
Obwohl nun etwa 40% der Deutschen keiner Religion mehr angehören, kommt dieser hohe Anteil auf der politischen Ebene praktisch nicht zum tragen. Könnte man den Grund dafür mit Ignoranz bezeichnen?
G.B. am Permanenter Link
Nein Herr Goldkamp, das ist Angst vor der Macht der Kirchen, gepaart mit Arroganz, nach dem Motto, " wir haben das sagen nicht die Bürger "
user unknown am Permanenter Link
Zu bedenken ist auch, dass selbst wenn die Kirchen noch viele Mitglieder haben (in D. etwa 60% d. Bev.), sie nicht für sich in Anspruch nehmen können, für diese zu sprechen.
Vor ca. 2 Jahren gab es dazu eine gr. Umfrage, leider habe ich den Link nicht bewahrt. Ich meine, dass nur ca. 20% der Gläubigen ihre Weltanschauung von ihrer Kirche vertreten sehen.
Sie sind aus irgendwelchen Gründen in der Kirche, aber nicht, damit die Kirche mit ihren Einstellungen mehr Gewicht bekommt. Als Ausrichter feierlicher Events, als Trostspender, als Treffpunkt mit gewisser Infrastruktur, als Ort für innere Einkehr wird die Kirche benutzt, nicht als Richtungsgeber für Fragen von Ehe und Scheidung, Homosexualität u. Sexualität überhaupt, selbstbestimmtes Sterben usw. Selbst in die Messe gehen die meisten nur spärlich.
Was die kirchl. Lobbyisten in Brüssel tun wird nicht in der Kirche von den Mitgliedern abgestimmt - das sind keine basisdemokratischen Organisationen.
M. S. am Permanenter Link
Und nicht zu vergessen diejenigen, die nur deshalb Mitglieder sind, weil sie sonst keine Arbeit haben. Vielerorts haben die Kirchen mit sozialen Einrichtungen eine Monopolstellung als Arbeitgeber.
A.S. am Permanenter Link
... und der mögliche künftige Kommissionspräsident Manfred Weber ist im Zentralkomitee der Katholiken: https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Weber_(Politiker) Abschnitt 1.3