Das Coronavirus und die damit einhergehende Atemwegserkrankung Covid-19 stellen Politik und Gesellschaft vor schwerwiegende Entscheidungen. Mitglieder des Hans-Albert-Instituts (HAI) setzen sich derzeit mit ethischen und juristischen Aspekten der Pandemie auseinander und sind Ansprechpartner für Politik und Medien.
Der Jurist und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel (Beiratsmitglied des HAI) hat jüngst an einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Corona-Pandemie mitgewirkt, das im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums verfasst wurde. Als Experte wurde er in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" vom 31. März 2020 zugeschaltet, um von der kontroversen Diskussion zu berichten, die innerhalb des Ethikrates geführt wurde. Merkel schilderte: "Das war in einem hohen Maße emotional unterströmt, viel stärker als sämtliche ethischen Debatten, die wir davor geführt haben."
Triage, [...] bezeichnet ein nicht gesetzlich kodifiziertes oder methodisch spezifiziertes Verfahren zur Priorisierung medizinischer Hilfeleistung, insbesondere bei unerwartet hohem Aufkommen an Patienten und objektiv unzureichenden Ressourcen. Die aufgeschobene, beziehungsweise abwartende, medizinische Hilfe ist in diesem Fall unvermeidlich. Ohne eine strukturierte Triage (Einstufung) besteht die Gefahr einer politisch oder
ideologisch motivierten, unethischen Selektion. (Wikipedia)
Falls es auch in Deutschland darauf hinauslaufen sollte, dass zu wenig Beatmungsgeräte für zu viele Patienten mit der Atemwegserkrankung Covid-19 zur Verfügung stehen, müsse bei einer sogenannten "Triage" entschieden werden, wie und bei wem eine lebensrettende Behandlung priorisiert wird. "Solche Dinge führen an die Grenzen des rational Entscheidbaren", erklärte Merkel. "Wir stehen vor einer Reihe möglicherweise tragischer Konflikte, für die es keine moralisch schuldlose Lösung gibt." So sei es in juristischer Hinsicht problematisch, hochbetagte Menschen mit einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit von einer Behandlung im Vorhinein auszuschließen, damit mehr Beatmungsgeräte für jüngere Patienten bereitgestellt werden können. Das Alter allein sei demnach kein hinreichendes Kriterium für den Zugang zu einer medizinische Versorgung. Ebenso bedenklich sei das Beenden einer laufenden Behandlung, um das Leben eines anderen Patienten zu retten. Merkel stellte fest: "Das ist eine verzweifelt schwierige Entscheidung", die nach rechtlichen Prinzipien jedoch nicht erlaubt sei.
Eric Hilgendorf: Nicht die Ärzte mit juristischen Problemen belasten
Auch Eric Hilgendorf, Rechtsphilosoph und Direktoriumsmitglied des HAI, äußerte sich zu den juristischen Herausforderungen, die mit der Corona-Pandemie und unzureichenden medizinischen Ressourcen einhergehen. In einem Gastkommentar bei Legal Tribune Online gab er zu bedenken: "In Triage-Situationen, wie sie jetzt vorkommen, wird die Schwäche mancher Positionen offenbar: Wollen wir wirklich behaupten, dass Ärzte, die einen Infizierten an das einzige vorhandene überlebenswichtige Beatmungsgerät anschließen, einen anderen aber nicht mehr anschließen können, rechtswidrig handeln?" Rechtliche Vorgaben, die eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage liefern könnten, gebe es bislang nicht. Umso wichtiger sei es nun, Ärzte in solchen Extremsituationen nicht zusätzlich mit juristischen Problemen zu belasten. "Eine pragmatische Lösung ist es, zunächst einmal jede als noch vertretbar erscheinende medizinische Entscheidung zu akzeptieren, und nur offenkundig nicht mehr vertretbare Entscheidungen als rechtswidrig einzustufen", so Hilgendorf.
Erstveröffentlichung auf der Website des Hans-Albert-Instituts.
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Oh, der erste Beitrag vom HAI.
Und bevor es richtig losgeht, ist er schon zu Ende.
Sehr positiv auffallend ist schon mal, dass dem Artikel so modische Füll-Unwörter wie "evidenzbasierte Narrative (oder, noch warm) entropische(r) Prozesse" gänzlich abgehen.
Viel Erfolg weiterhin!
sitha Berg am Permanenter Link
Die weltweite, gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber, welches Leben vorrangig rettenswert ist, ist gut und wichtig.
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Als zweimal Nierentransplantierter Vierundsechzigjähriger werde ich betroffen sein.
In der einen oder anderen Art.
Leider nennt der Artikel keine Lösung, weder für mich noch für einen Arzt.
Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Patientenverfügung und Corona
Die vielen Probleme, die Corona mit sich bringt, lässt mich daran zweifeln, ob meine notariell errichtete Patientenverfügung vom 26.6.2015 noch eine gültige oder gar verpflichtende Patientenverfügung ist.
Das sich derzeit in Kraft befindliche Patientenverfügung-Gesetz sieht in § 10, Abs. 3 vor, dass eine Patientenverfügung unwirksam ist, wenn „der Stand der medizinischen Wissenschaft sich im Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert hat.“ Durch Corona ist das geschehen. Zum Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung konnte in keiner Weise das Entstehen eines Coronavirus erahnt werden. Es gab es die künstliche Beatmung nur zum Zweck der Lebensverlängerung. Die Patientenverfügung legitimierte vor allem den Arzt, die künstliche Beatmung einzustellen, ohne straffällig zu werden. Im Falle von Corona erfolgt die künstliche Beatmung primär nicht dazu, das zu Ende gehende Leben zu verlängern, sondern das Leben zu retten, also den Kranken zu heilen.
Ich habe dieses Problem an meinen Notar herangetragen, musste aber zur Kenntnis nehmen, dass die Notariatskammer für das Problem Coronavirus noch keine Weisungen erteilt hat. Ich habe versucht, es an das Justizministerium, die Wiener Ärztekammer und die Notariatskammer weiterzuleiten. Wie weit ich die richtigen Mailadressen herausgefunden habe, weiß ich nicht. Ich weiß daher auch nicht, ob meine Fragestellung die kompetenten Stellen erreicht hat. Seitens der Patientenanwaltschaft Wien wurde mir jedoch in Aussicht gestellt, die Rechtsabteilung der Ärztekammer mit meiner Anfrage zu befassen.
In der ORF Sendung Meryns- Sprechzimmer vom 2.4.2020, https://tvthek.orf.at/profile/MERYNS-sprechzimmer/12486668/MERYNS-sprechzimmer-Spezial/14046912, sprach Herr Professor Dr. Siegfried Meryns auch über das Thema Triage. Offenbar ging er davon aus, dass, wenn jemand in seiner Patientenverfügung die künstliche Beatmung ausgeschlossen hat, er auch für den Fall einer Corona Erkrankung die künstliche Beatmung ablehne. Ich würde dringend empfehlen, diese Meinung einer kritischen Diskussion zu unterziehen.
Zitat aus https://laizisteninderseestadt.blogspot.com/