Der "European Skeptics Congress" 2022 in Wien

Europäische Skeptikerinnen und Skeptiker im Gespräch

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Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ESC 2022 in Wien
Gruppenfoto

Welche Impulse trägt die Wissenschaft zur Klimadebatte und zum Umgang mit Verschwörungsglauben bei? Wie lässt sich kritisches Denken bereits im Schulunterricht vermitteln? Und wie gehen wir mit Unsicherheiten um, mit denen Forschungsergebnisse naturgemäß behaftet sind? All diese Fragen standen auf dem Programm des European Skeptics Congress (ESC) 2022, der vom 9. bis 11. September in Wien stattfand. Ausgerichtet von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und der Gesellschaft für kritisches Denken (GkD), versammelte der englischsprachige Kongress fast 170 Teilnehmende, darunter Vertreterinnen und Vertreter verschiedener europäischer Skeptikerorganisationen. Den stilvollen Rahmen bildete das historische Billrothhaus, Sitz der Gesellschaft der Ärzte in Wien.

Die skeptische Bewegung ist zum Mainstream geworden, so formulierte es Claudia Preis aus dem GWUP-Vorstand zu Beginn der Veranstaltung. Mehr als zwei Jahre Pandemie haben auch letzte Zweifel ausgeräumt, dass dem skeptischen Denken in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit eine wichtige Rolle zukommt. Angesichts von Klimakrise und aggressivem Verschwörungsdenken nehmen die Skeptikerorganisationen ihre Aufgabe ernst, sich weiterhin in Politik und Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen.

Unsicherheiten gehören zur Wissenschaft

Die Großthemen der Gegenwart kamen bereits früh am ersten Kongresstag zur Sprache. Unter der Überschrift "Dealing with Uncertainty" erklärte zunächst der Präsident der italienischen Skeptikerorganisation CICAP, Prof. Sergio Della Salla, aus der Sicht seines Fachgebiets Neurowissenschaft, warum die Spezies Mensch beim rationalen Denken so fehleranfällig ist. Dahinter stecken häufig Wahrnehmungsmechanismen, die sich im Verlauf der Evolution als nützlich erwiesen haben, obgleich sie die Welt nicht korrekt abbilden. Auf diese Weise schleichen sich Irrtümer ein, die sich durch wissenschaftliche Mess- und Beobachtungsmethoden korrigieren lassen.

Anschließend skizzierte der ungarische Virologe Gábor Kemenesi in einem historischen Überblick die Faktoren, welche Epidemien und nicht zuletzt die Covid-Pandemie begünstigt haben: Große Bevölkerungsdichte, Globalisierung und Klimawandel spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Ein weiteres drängendes Thema brachte Elisa Palazzi (CICAP) zur Sprache. Die Klimaforscherin von der Universität Turin erläuterte, dass die Forschungsergebnisse ihres Fachs, wie alle Wissenschaft, mit Unsicherheiten behaftet sind. Diese Unsicherheiten gegenüber Politik und Öffentlichkeit zu kommunizieren, ohne die Dringlichkeit des Problems zu verharmlosen, darin sieht Palazzi eine Hauptaufgabe ihrer Arbeit.

Der zweite Themenblock des Tages widmete sich aus wissenschaftlicher Sicht verschiedenen Umweltfragen. Einer der Referenten war Georg Steinhauser, Professor für Radioökologie an der Universität Wien, der sich mit den ökologischen Folgen der Katastrophen von Fukushima und Tschernobyl befasst. Sein Fazit: Wir überschätzen die Risiken, die von ionisierender Strahlung ausgehen.

So sehr Radioaktivität in der öffentlichen Wahrnehmung dämonisiert wird, so positiv ist das Image des "Natürlichen", etwa bei der Landwirtschaft. Mit dem Begriff verbinden viele Menschen ethische Werte wie Fürsorge, Gerechtigkeit und Reinheit, wie Johannes Kopton in seinem Vortrag ausführte. Der Systemwissenschaftler arbeitet an der Uni Bonn zum Thema landwirtschaftliche Entscheidungsanalyse und hat sich mit der Ideengeschichte des Biolandbaus auseinandergesetzt. Sein Vortrag führte von den Ursprüngen der Öko-Landwirtschaft in der mystisch aufgeladenen Lebensreform-Bewegung des 19. Jahrhunderts über die 1960er und 70er Jahre bis in die Gegenwart. Dabei bleibt es nicht unbedingt bei der Mystik, denn häufig führen die Anhänger scheinbar rationale Begründungen für ihre Haltung an, indem indem sie auf die (oft empfundenen) Risiken von Gentechnik und Pestiziden verweisen. Die ebenfalls vorhandenen, teilweise sogar höheren Risiken der natürlichen Alternativen würden dabei ausgeblendet, so Kopton.

Zum Abschluss des Tages fasste Dr. Florian Aigner (GWUP) noch einmal zusammen, weshalb wir trotz aller Unsicherheiten dennoch der Wissenschaft vertrauen können. Der Physiker und Buchautor zeigte darin, wie Wissenschaft als System von unzähligen Theorien funktioniert, die immer wieder auf die Probe gestellt werden und sich gegenseitig stützen.

Vom Lehnstuhl ans Lehrerpult

Skeptisches Denken ist jedoch nicht nur eine wissenschaftliche Position, sondern auch eine Lebenseinstellung, wie der amerikanische Philosoph Prof. Massimo Pigliucci zum Einstieg in den zweiten Veranstaltungstag ausführte. Sowohl aus ethischer wie aus wissenschaftlicher Sicht erfordere es der Skeptizismus, dass wir unsere Meinung ändern, wenn es die Beweislage erfordert. Motivation sind die Wertschätzung wissenschaftlicher Erkenntnis und das Ziel, das eigene Leben und das anderer Menschen zu verbessern, etwa indem man auf schädliche pseudowissenschaftliche Praktiken hinweist.

Vor diesem Hintergrund ist es wünschenswert, dass skeptisches Denken in den Schulen Fuß fasst. Doch noch wird dem evidenzbasierten Schulunterricht zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, so der Referent Franck Ramus, der am Laboratoire de Sciences Cognitives et Psycholinguistiques in Paris über die kognitive Entwicklung bei Kindern forscht. Für die Auswahl effizienter Unterrichtsmethoden sei eine objektive Evaluation erforderlich – und natürlich muss die Bildungspolitik mitspielen.

Widerstände gegen innovative Lehrmethoden kommen nicht selten von religiös und politisch konservativer Seite. Deren vermeintlichen "Kulturkampf" betrachtete der Philosoph Stephen Law (Universität Oxford) im anschließenden Vortrag. Ziel dieser Kräfte sei es, liberale Positionen zu bekämpfen und autoritäre Standpunkte zu verteidigen.

Zurück ans Lehrerpult führte der dritte Referent des Themenblocks, Philippe Longchamps, der 2020 in seiner Wahlheimat Schweden mit dem Titel "Lehrer des Jahres" ausgezeichnet wurde. Auch er bekräftigte die Forderung nach einer evidenzbasierten Lehrerausbildung und plädierte eindringlich dafür, die Techniken des Faktencheckens möglichst früh und fächerübergreifend zu trainieren. Die Defizite auf diesem Gebiet traten durch eine 2021 veröffentlichte Auswertung hervor: Demnach konnten nur 47 Prozent der 15-Jährigen in den OECD-Ländern beim Lesen eines Textes Fakten von Meinungen unterscheiden.

Irrwege der Drogenpolitik

Der abschließende Themenblock des Tages betrachtete die europäische Drogenpolitik aus rationaler Sicht und eröffnete damit ein relativ neues Feld skeptischer Untersuchung. Die Referierenden, Dr. Anne Katrin Schlag und Dr. David Badcock, arbeiten für die Organisation Drug Science, die wissenschaftliche Daten über die Risiken verschiedener Drogen veröffentlicht. Diese belegen, dass die legalen Drogen Alkohol und Tabak erheblich mehr Schaden anrichten als etwa Heroin oder Cannabis. So sei Alkohol die häufigste Todesursache bei Männern unter 50 Jahren und Tabak ein bekannter Risikofaktor für viele Erkrankungen. Die derzeitigen Drogengesetze vieler Länder ließen sich mit den wissenschaftlichen Daten nicht vereinbaren, fasste die Psychologin Anne Karin Schlag zusammen. Auch Badcock, CEO von Drug Science, zieht eine düstere Bilanz der bisherigen Anti-Drogen-Politik. Über eine Trillion Dollar habe der "Krieg gegen die Drogen" verschlungen, über 300.000 Menschen das Leben gekostet und in vielen Ländern zu einer Destabilisierung geführt. Die Erfolge seien dagegen zu vernachlässigen. Als positives Gegenbeispiel verwies Badcock auf die Schweiz, die seit den 1990er Jahren mit Erfolg eine regulierende Drogenpolitik betreibe mit dem Ziel, negative Folgen des Konsums zu verhindern.

Hier Wissenschaft, dort Politik

Zum Abschluss des Tages stand eine Podiumsdiskussion über die Kommunikation von Wissenschaft und Politik auf dem Programm. Das Verhältnis beider Akteure ist nicht ungetrübt, wie die ungarische Europaabgeordnete Katalin Cseh (Momentum-Bewegung) betonte. Dennoch ermutigte sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausdrücklich, ihre Erkenntnisse in die politische und gesellschaftliche Debatte einzubringen. Je nach Thema geschieht dies mit unterschiedlichem Erfolg. Während in der Pandemie die Stimme von Wissenschaftlern bei Entscheidern Gewicht hatte, ignorieren diese im Falle des Klimawandels immer noch die Dringlichkeit von Maßnahmen, wie Klimaforscherin Giulia Conforto beklagte. Über die Ursachen mag diskutiert werden – Kellie C. Payne von Sense about Science etwa wies auf den Zeitdruck hin, der in der Pandemie schnelles Handeln erforderte. Um auf künftige zeitkritische Krisen adäquat reagieren zu können, forderte GWUP-Geschäftsführer Amardeo Sarma die Einrichtung eines EU-weiten "sofortigen Reaktionsteams" von Expertinnen und Experten verschiedener Wissenschaftsgebiete.

Diskussion mit Amardeo Sarma

Kellie C. Payne, Amardeo Sarma, Giulia Conforto, Moderator András Pintér (von links, Foto: © Nikil Mukerji)

Er wies auch auf einen Erfolg langfristiger Aufklärungsarbeit hin. So haben GWUP und das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass sich immer mehr Ärztekammern von der pseudowissenschaftlichen Homöopathie distanzieren. Sicher, "die Wissenschaft kann der Politik nicht vorschreiben, was sie zu entscheiden hat", betonte Sarma weiter. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, fundierte Informationen bereitzustellen, auf deren Basis Politikerinnen und Politiker ihre Entscheidungen treffen können – wobei sie die unterschiedlichen Interessenlagen in der Bevölkerung berücksichtigen müssen.

Der Abschlusstag stand im Zeichen der Debatte um den Umgang mit Verschwörungsmythen. Häufig gelten diese als Domäne gesellschaftlicher Verlierer, doch das trifft nur zum Teil zu, wie der ungarische Politikwissenschaftler Peter Krekó zeigte. Vielmehr nutzten Machthaber in autoritären Systemen solche Erzählungen, um ihre Position zu stärken. Diktatoren neueren Typs unterdrückten oppositionelle Kräfte nicht mehr durch Gefängnis oder Gewalt, sondern durch die Verbreitung von Desinformation. Dazu ein Beispiel aus Ungarn: Laut einer Umfrage vom April 2021 glaubten 90 Prozent der dortigen Wahlberechtigten, dass das Land gute Fortschritte bei der Covid-Impfung mache. In Wahrheit habe Ungarn die zweithöchste Sterblichkeit weltweit verzeichnet. In weiteren Vorträgen widmete sich der niederländische Sozialpsychologe Jan-Willem van Prooijen dem Verschwörungsglauben in der Pandemie, während der Physiker und Buchautor Dr. Holm Hümmler (GWUP) mit den aktuellen Verschwörungserzählungen über den Mobilfunkstandard 5G ein aktuelles Thema betrachtete.

Die Gesprächspartner von Verschwörungsgläubigen befinden sich häufig in einer schwierigen Situation, denn viele Gläubige schmettern alle Gegenargumente kategorisch ab. Einige Angehörige suchen dann Rat bei der österreichischen Bundesstelle für Sektenfragen, wo die Psychologin Ulrike Schiesser tätig ist. Wie schon in ihrem Buch "Fakt und Vorurteil" (Co-Autor: Holm Hümmler) widmete sie sich im Vortrag der Frage, wie die Kommunikation mit Verschwörungsanhängern gelingen kann. Hilfreich sei es, sich an die Umstände zu erinnern, unter denen man sich selbst früher einmal von einer grundlegenden Überzeugung entfernt hat, sei sie politischer, religiöser oder anderer Art gewesen. Schiesser empfahl, eine freundliche Haltung zu zeigen, gemeinsame Wertvorstellungen zu betonen und immer wieder kleine Impulse zu setzen, die das Weltbild der Verschwörung infragestellen. Vielleicht das Wichtigste: Geduld, denn ein grundlegender Perspektivwechsel braucht seine Zeit.

Weitere Informationen auf der Website des European Skeptics Congress 2022.

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