Puccinis "Gianni Schicchi" und Menottis "Das Telefon" an einem Abend auf Schloss Nymphenburg

Familien-Bande von Seattle bis Florenz oder zweifacher Sieg für die Liebe

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Szene aus "Gianni Schicci"

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Szene aus "Das Telefon"
Szene aus "Das Telefon"

"Gianni Schicci" ohne Orchester – geht das? Eine Oper mit dem Titel "Das Telefon" – wo gibt’s denn sowas? Diese und viele wichtige Fragen über das menschliche Zusammenleben beantwortete bei der Premiere dieser zwei Einakter das Ensemble der Opera Incognita auf Schloss Nymphenburg durchaus zufriedenstellend.

Wie macht man einem "Smombie" (Smartphone-süchtiger Mensch des 21. Jahrhunderts) einen Heiratsantrag? Mit dieser Aufgabe sieht sich Ben konfrontiert, als er in der Wohnung seiner Freundin Lucy steht und kurz vor seinem Aufbruch zu einer längeren Dienstreise vergebens versucht, mit Wort und Tat zu ihr durchzudringen. Samantha Britt und Mantas Gacevičius geben dieses Paar im Saal auf Schloss Nymphenburg in Gian Carlo Menottis Oper "Das Telefon" – und sie machen das musikalisch hochprofessionell und darstellerisch so anrührend, dass eigentlich nur noch die Frage im Raum steht, warum man dieses musiktheatrale Juwel so selten auf die Bühne bringt, zumal die spritzige Musik permanent Lust auf mehr macht. Es ist herrlich anzuhören, wie Lucy mit glockenhellem Sopran immer wieder auf ihr Telefon einplaudert und Ben mit seinem schmachtenden Bariton einfach nicht durch ihre Koloraturen und Lach-Flashs durchzudringen vermag. Die Smartphone-Süchtige Lucy ist nicht ansprechbar – dauernd klingelt das Handy und unterbricht Ben kurz bevor er sein wichtiges Anliegen zur Sprache bringen könnte. Er versucht es mit Worten, mit wildem Gepose und mit einem Striptease. Chancenlos – Lucy ist ihrem Telefon vollkommen verfallen. Er tut das einzig Richtige: Er verlässt die Wohnung und ruft sie an. Der Plan geht auf, am Telefon kann er seine Frage stellen und sie nimmt seinen Antrag an.

Nach diesem erfrischenden Auftakt folgt ein neu hinzugedichtetes Intermezzo, welches das Ableben von Buoso Donati – bei der Opera Incognita ein Verwandter von Lucy oder Ben – auf eben derer Verlobungsfeier erzählt. Vom Klavier untermalt fällt Zio Buoso während des Sektempfangs plötzlich tot um und gibt die Bühne frei für die Erschleichung seiner Erbschaft durch seine Sippe in Puccinis "Gianni Schicci" – eine dramaturgische Meisterleistung.

Zugegeben: Die Abwesenheit des Orchesters verhindert natürlich den Raum zum "Schwelgen" im verführerischen Rausch der Klänge. Gleichsam schärft dies aber den Blick für ganz neue Aspekte der Komödie. Ebenso wie Menotti ist Puccini gerade in diesem Werk nämlich so hochgradig aktuell wie wenige große Klassiker des Musiktheaters. Gianni Schicci und seine Tochter Lauretta entspringen einer Art Hippie- oder Künstler-Milieu. Sie sind die mittellose Bohème, die sich durch Kreativität Zutritt zur Welt der zwar reichen aber fantasielosen Spießbürger verschafft.

Onkel Buoso ist also tot und hat sein ansehnliches Hab und Gut ausgerechnet der Kirche vererbt. Was für die gesamte Sippschaft ein mittelgroßes Drama darstellt. Für Rinuccio und Lauretta aber wird es die Chance zur Erfüllung ihrer Liebe. Es ist nämlich ausgerechnet Laurettas Vater, Ginanni Schicci, den man um Rat fragt. Arm aber sexy schlägt Schicci bekanntermaßen dann mehrere Fliegen mit einer Klappe: Da noch niemand von Buosos Tod erfahren hat, wird der Leichnam kurzerhand ins Nebenzimmer gebracht, Schicci schlüpft in das Nachthemd des Toten und diktiert einem Notar Buosos neues Testament. Die Kirche bekommt 5 Lire, die Sippschaft Bargeld und Immobilien, den größten Teil der Erbschaft vermacht Schicci sich selbst und schafft damit die Voraussetzung für Laurettas Hochzeit mit Rinuccio.

Ganz im Sinne dieses Plädoyers für die Macht der Kreativität gestaltet Regisseur Andreas Wiedermann einen kurzweiligen Abend. Das junge Ensemble agiert auf einer kleinen Bühne unter einem der Kornleuchter im Saal, der sich sinnig ins Bühnenbild (Anton Empl) integriert. Zwischen Kühlschrank, Couch und Pizzaservice lässt die Verwandtschaft die Korken knallen und die Fetzen fliegen. Schmunzelnd denkt wohl so mancher Zuschauer an den alltäglichen Wahnsinn zuhause.

Neben mitreißendem darstellerischem Können in einer präzise gearbeiteten Personenregie brilliert das Ensemble mit hervorragenden Stimmen und nahezu perfekter Textverständlichkeit – sowohl im Englischen als auch im Italienischen. In den einzelnen Charakteren zerfließen Fragmente aus Figuren der Commedia Dell’Arte und typischen Verhaltensmustern unserer Zeit zu einer Einheit. Unterstrichen wird dies durch die gelungene Wahl der Kostüme (Bärbel Gruber), die aus jeder Figur den Teil eines Familienfotos macht, das die meisten von uns zu Hause in der Schublade wissen. Einziger Kritikpunkt wäre, dass es mit sehr viel Klamauk gelegentlich etwas zu viel des Guten wird. An einigen Stellen wäre weniger vielleicht mehr gewesen.

Der heimliche oder auch offensichtliche Star der gesamten Perfomance ist Ernst Bartmann am Klavier. Unermüdlich haut er 1 Stunde 45 Minuten non stop in die Tasten und ersetzt zwei Orchester, eine Jazzband und den Dirigenten in einem Zug. So steht unmissverständlich im Raum, dass selbst Puccini (oder vielleicht gerade Puccini?) auch ohne instrumentale Vielfalt und großen Apparat seinen musikalischen Zauber zu entfalten weiß.

Wer noch niemals eine Oper gesehen hat und gerne seine Hemmungen abbauen würde, der sollte dringend eine der wenigen Aufführungen besuchen. Doch auch den eingefleischten Fans der Oper des 20. Jahrhunderts hat dieser Abend eine Menge zu bieten!

Weitere Informationen: opera-incognita.de