Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt über zwei Klagen

Freigabe von Natrium-Pentobarbital für die Suizidhilfe?

demo_verwaltungsgericht_leipzig_nap_titel.jpg

Demonstration vor dem Bundesverwaltungsgericht im Vorfeld der Verhandlung
Demonstration vor dem Bundesverwaltungsgericht

demo_verwaltungsgericht_leipzig_nap_harald_mayer.jpg

Im Rollstuhl: Harald Mayer, einer der beiden Kläger auf Freigabe von Natrium-Pentobarbital
Demonstration vor dem Bundesverwaltungsgericht

demo_verwaltungsgericht_leipzig_nap.jpg

Demonstration vor dem Bundesverwaltungsgericht im Vorfeld der Verhandlung
Demonstration vor dem Bundesverwaltungsgericht

Harald Mayer und Hannsjürgen Brennecke klagen seit 2017 auf Zugang zu Natrium-Pentobarbital (NaP), dem derzeit geeignetsten Mittel zur Selbsttötung. Es wird seit über 20 Jahren in der Schweiz zur Freitodbegleitung eingesetzt und hat sich dort bewährt. Gestern verhandelte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig über ihre Klage. Der Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg hatte anlässlich dessen zu einer Kundgebung vor dem BVerwG aufgerufen. Mitglieder des Arbeitskreises waren aus Oldenburg angereist. Weitere Teilnehmer:innen der Kundgebung kamen aus Sachsen, Rheinland-Pfalz, Hannover, Saarbrücken und anderen Teilen Deutschlands, um die Kläger zu unterstützen.

Angelika Salzburg-Reige eröffnete um 9:00 Uhr die Kundgebung und stellte den Oldenburger Arbeitskreis vor, der über das Recht auf selbstbestimmtes Sterben informieren und aufklären will. Danach sprach die 93-jährige Käte Nebel aus Oldenburg, eine der Gründerinnen des Arbeitskreises. Sie schilderte ihre Erfahrung mit einer Freundin, die nicht selbstbestimmt sterben konnte. Sie will es für sich anders: "Es muss endlich eine Genehmigung für den Freitod geben in ganz Deutschland. Dafür bin ich hier." Ich forderte als Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS): "Wir wollen endlich die Freigabe von Natrium-Pentobarbital." Abschließend sprach ein Vertreter der Partei der Humanisten, die sich ebenfalls für Selbstbestimmung am Lebensende einsetzt.

Viele Kläger sind mittlerweile verstorben

Seit 26 Jahren leidet Harald Mayer an Multipler Sklerose. Inzwischen ist er von den Schultern abwärts gelähmt. Er war mit seinen Helfern zur Verhandlung nach Leipzig gereist. Dem ZDF sagte er auf die Frage, warum er Natrium-Pentobarbital erhalten wolle: "Weil ich es dann selbst in der Hand habe, ohne jegliche Vereine, deswegen ist mir das so wichtig." Sein Anwalt, Prof. Robert Roßbruch, übernahm 2017 das Mandat für sieben Kläger:innen, fünf sind inzwischen verstorben. Der zweite noch lebende Kläger, Hansjürgen Brennecke, der aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Verhandlung nach Leipzig kommen konnte, sagte im Vorfeld: "2017 beantragt, abgelehnt, Widerspruch, Klage, jetzt dritte Instanz – empörend langsam!". Elke Neuendorf, die Vizepräsidentin der DGHS, erhoffte sich, "dass die Richter die richtigen Fragen stellen, damit die Sache am 7. November in Sinne der Kläger entschieden wird."

Zwei Gesundheitsminister verhinderten Umsetzung des Urteils von 2017

Bereits am 2. März 2017 entschied das BVerwG, dass in extremen Notlagen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb des Betäubungsmittels NaP zum Zweck der Selbsttötung erteilen kann. Das BfArM ist eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und später auch sein Nachfolger Jens Spahn (CDU) lehnten es strikt ab, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts umzusetzen. Ein Staatssekretär schrieb an das BfArM: "Nach intensiver Beratung im Bundesministerium für Gesundheit möchten wir Sie hiermit bitten, solche Anträge zu versagen". Zwei Bundesgesundheitsminister wiesen eine ihrer Behörden an, das Urteil eines Bundesgerichts nicht umzusetzen – ein Skandal. Das BfArM folgte der Anweisung, blieb stur, von den Antragstellenden erhielt niemand die Erlaubnis, NaP zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben. Einige erhoben Untätigkeitsklagen gegen das BfArM vor den Verwaltungsgerichten. Sechs Jahre später landeten sie hier, wo 2017 alles begann. Den Klägern und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kundgebung reicht es.

Zwei Kläger kämpfen weiter

Nachdem ihre Klagen auf Zugang zu NaP vom Verwaltungsgericht Köln und vom Oberverwaltungsgericht Münster abgewiesen worden waren, fand nun vor dem Bundesverwaltungsgericht die nächste Verhandlung statt. Die Verhandlung begann um 10:00 Uhr. Drei der fünf Richter:innen waren bereits 2017 am Urteil des Gerichts beteiligt gewesen und hatten entschieden, dass die Abgabe von NaP im Falle einer existenziellen Notlage durch das BfArM zum Zweck der Selbsttötung möglich sein muss.

Zunächst führte die Berichterstatterin in den Sachverhalt ein. Dann fasste die Vorsitzende erst einmal das Urteil des BVerfG vom Februar 2020 in seinen Grundzügen zusammen. Sie stellte fest, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht auf bestimmte schwere Krankheiten oder Krankheitsstadien beschränkt sei, sondern in jeder Phase der menschlichen Existenz bestehe. Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde immer wieder auf dieses Urteil Bezug genommen und Fragen unter dieser Prämisse erörtert.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hält am Verbot von NaP zur Selbsttötung fest

Das beklagte BfArM verweigerte den Klägern die Erlaubnis zum Erwerb von NaP und berief sich dabei auf das Betäubungsmittelgesetz, das den Erwerb von Betäubungsmitteln nur zu therapeutischen Zwecken erlaubt. Das BVerwG warf nun die Frage auf, ob das Betäubungsmittelgesetz durch die Verweigerung des Erwerbs von NaP zum Zweck der Selbsttötung in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eingreife und ob dieser Eingriff gegebenenfalls gerechtfertigt sei. Dabei seien die Verhältnismäßigkeit und die Zumutbarkeit des Eingriffs zu prüfen. Die Vorsitzende Richterin Dr. Renate Philipps deutete in der mündlichen Verhandlung an, dass sie einen Eingriff in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben annimmt.

Kläger Harald Mayer und sein Anwalt Robert Roßbruch
Kläger Harald Mayer (im Rollstuhl) und sein Anwalt Robert Roßbruch (rechts)
(Foto: © Reinhard Konermann)

Prof. Robert Roßbruch, der Anwalt der Kläger und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, meinte, die Kläger hätten ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das ihnen vom Bundesverfassungsgericht zuerkannt worden sei. Sie wollten dieses Recht wahrnehmen, weil sie an einer schweren Krankheit leiden oder einen Rückfall befürchten, der ihre Lebensqualität massiv beeinträchtigt. Der anwesende Beschwerdeführer Harald Mayer lehnt die Hilfe eines Vereins ab. Er wolle auch keinen Arzt oder fremde Personen bei seinem Freitod. Er wolle sein Ende privat im Kreise seiner Familie herbeiführen. Dazu benötige er das Medikament NaP, das ihm eine schmerzlose und sichere Sterbehilfe ermögliche. Er könne dieses Medikament jedoch nicht legal erwerben, weil das BfArM ihm die Erlaubnis verweigert hat. Das BfArM verletze das Recht des Beschwerdeführers auf ein selbstbestimmtes Sterben, indem es ihm den Zugang zu dem Medikament verweigere.

Das BfArM als Gegenseite der Kläger beruft sich auf das Betäubungsmittelgesetz (BtMG), das den Erwerb von Betäubungsmitteln nur zu therapeutischen Zwecken erlaubt. Das Medikament NaP habe keinen therapeutischen Zweck, sondern diene ausschließlich der Selbsttötung. Die Erlaubnis zum Erwerb von NaP verstoße daher gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das BfArM wies darauf hin, dass es für den Kläger zumutbare Alternativen zu seinem Suizidwunsch gebe, unter anderem Arzneimittel, die nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen.

Ist das Betäubungsmittelrecht mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben vereinbar?

Für das Gericht stellte sich schließlich die Frage, ob Paragraf 5 Absatz 1 Nummer 6 BtMG im Lichte eines Rechts auf selbstbestimmtes Sterben verfassungskonform ausgelegt werden kann. Dies sei nun zu klären. Dabei tauchte die Vorsitzende Richterin Dr. Renate Philipps tief in die Praxis und die Details der Methoden und Mittel der Suizidbeihilfe ein, um der Frage nachzugehen, was den Klägern zumutbar sei. Und wie sichergestellt werden könne, dass NaP auch beim Erwerb zur Selbsttötung ohne ärztliche Hilfe so aufbewahrt und angewendet wird, dass niemand gefährdet oder geschädigt wird. Die Vertreter des BfArM wiesen auf die Möglichkeit des Missbrauchs und der Fehlanwendung hin.

Das Gericht wird nun darüber beraten. Sollte es zu dem Ergebnis kommen, dass die Verweigerung der Erlaubnis zum Erwerb von NaP eine Grundrechtsverletzung darstellt, wird es eine weitere Entscheidung zu treffen haben.

Kann Paragraf 5 Absatz 1 Nummer 6 BtMG verfassungskonform ausgelegt werden? Könnte die Verwendung von NaP für einen sanften und humanen Suizid nicht doch dem Wohl des Patienten dienen und in diesem Sinne eine Therapie darstellen und damit einen medizinischen Zweck erfüllen? Dann wäre aber auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG keine Beschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben auf schwere Krankheiten und bestimmte Krankheitsphasen vorgenommen hat.

Man darf also auf die Urteilsverkündung am 7. November um 10:00 Uhr gespannt sein. Roßbruch jedenfalls ist nach der mündlichen Verhandlung vorsichtig optimistisch.

Unterstützen Sie uns bei Steady!