Erste Erkenntnisse zu Beratungs- und Versorgungsangeboten aus der ELSA-Studie

Wie geht es ungewollt Schwangeren in Deutschland?

mein_bauch_gehort_mir.jpg

Die ELSA-Studie zeigt, dass die Versorgungssituation regional sehr unterschiedlich ist. Dies gilt sowohl für die Versorgung mit Beratungsstellen als auch für die Versorgung mit Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Hier besteht vielfach noch erheblicher Verbesserungsbedarf.

Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland seit 1871 eine Straftat. Trotz Reformen in den Jahren 1975 und 1993 hat sich daran nichts geändert. Er ist nach wie vor rechtswidrig und bleibt nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Die praktischen Auswirkungen auf die Versorgungssituation beim Schwangerschaftsabbruch hat eine Gruppe von Forscher:innen im Rahmen der ELSA-Studie https://elsa-studie.de/ untersucht, die noch von Gesundheitsminister Jens Spahn in Auftrag gegeben wurde.

Seit dreieinhalb Jahren forschen mehr als 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von sechs Universitäten und Hochschulen im Projekt ELSA. ELSA steht für "Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer - Angebote der Beratung und Versorgung". Ziel des Projektes ist es, Daten zur Versorgungssituation von Frauen zu erheben, die ungewollt schwanger geworden sind.

Die Forschungsgruppe stellte am 10. April in einer sechsstündigen Online-Präsentation erste Zwischenergebnisse vor. Diese vorläufigen Daten zeigen, dass sich Frauen mit ungewollten Schwangerschaften häufig in schwierigen Lebenssituationen befinden und dass der Zugang zu medizinischer Versorgung regional unterschiedlich ist. Der im Herbst erscheinende Gesamtbericht wird auf einer umfangreichen Online-Befragung von über 5.000 Frauen basieren und wichtige Handlungsempfehlungen enthalten.

Welche Schritte sind bei einem Schwangerschaftsabbruch zu durchlaufen?

Um eine Schwangerschaft straffrei abbrechen zu können, muss eine ungewollt Schwangere eine Reihe von Schritten unternehmen: eine staatlich anerkannte Beratungsstelle finden, die einen Beratungsschein ausstellt, und einen Termin für die gesetzlich vorgeschriebene Pflichtberatung vereinbaren. Nach der Beratung erhält die Frau den Beratungsschein. Sie muss nun eine Praxis oder Klinik finden, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt und einen Termin vereinbaren. Zwischen der Pflichtberatung und dem Abbruch muss eine Wartezeit von 3 Tagen eingehalten werden. Für den Tag des Schwangerschaftsabbruchs ist einiges zu organisieren. Je nach persönlicher Situation muss sie für die Betreuung der Kinder sorgen, bei der Arbeitsstelle Urlaub beantragen oder eine Krankmeldung vorlegen, eventuell eine Begleitung für den Tag des Abbruchs finden. Wenn die ungewollt Schwangere eine Kostenübernahme wünscht, weil sie sozial bedürftig ist, muss diese vor dem Abbruch bei der Krankenkasse beantragt werden. Ein weiterer zusätzlicher Schritt.

Ohne Pflichtberatung kein Schwangerschaftsabbruch - Versorgungssituation der Beratungsstellen

Im Bundesdurchschnitt kommen auf eine Beratungsstelle 60.532 Einwohner: innen. Unterschiede bestehen in der Trägervielfalt und je nach Bundesland im Anteil der Beratungsstellen, die keinen Beratungsschein ausstellen.

Die meisten Beratungsstellen (47 Prozent) in Deutschland befinden sich in konfessioneller Trägerschaft. 40 Prozent werden von nicht-konfessionellen Trägern und 13 Prozent vom öffentlichen Gesundheitsdienst angeboten.

Im Durchschnitt stellen 76,5 Prozent der Beratungsstellen einen Beratungsschein aus. Während in Rheinland-Pfalz nur 61,2 Prozent Beratungsscheine ausstellen, sind es in Sachsen-Anhalt 94,9 Prozent. Auch in Baden-Württemberg ist der Anteil der Beratungsstellen, in denen Frauen einen Beratungsschein erhalten können, mit 66,9 Prozent gering. Es wäre interessant zu wissen, ob es Unterschiede in der finanziellen Förderung durch das Land gibt, je nachdem, ob eine ungewollt Schwangere in der Beratungsstelle einen Beratungsschein erhält oder nicht. Es wäre gut, wenn die Gesamtergebnisse im Herbst auch hier Klarheit bringen würden.

Wer macht es? Angebot der Praxen und Kliniken

Wie gut sind Praxen und Kliniken erreichbar, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten? Nach der ELSA-Studie leben in Deutschland 4,5 Millionen Menschen (5,4 Prozent) außerhalb der angemessenen Erreichbarkeit (40 Minuten mit dem Auto) der nächsten Einrichtung für einen Schwangerschaftsabbruch. In 85 von 400 Landkreisen wird das Kriterium der angemessenen Erreichbarkeit nicht erfüllt. Interessant ist die regionale Verteilung: Von den 85 Kreisen liegen 43 in Bayern und jeweils acht in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Kliniken und Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sind verpflichtet, Daten an das Statistische Bundesamt zu melden. Sie werden deshalb als "Meldestellen" bezeichnet. Die Verteilung der Schwangerschaftsabbrüche auf die Meldestellen zeigt ein deutliches Gefälle. Im Jahr 2020 führten nur 7,3 Prozent der Meldestellen fast die Hälfte aller Schwangerschaftsabbrüche durch. Ein Viertel führte keine oder nur sehr wenige Schwangerschaftsabbrüche durch. Diese Diskrepanz ist auch regional unterschiedlich ausgeprägt, wobei in Bayern eine besonders hohe Konzentration von Schwangerschaftsabbrüchen auf einige wenige Beratungsstellen zu verzeichnen ist, während in Mecklenburg-Vorpommern keine Beratungsstelle sehr hohe Abbruchraten aufweist. Die Daten zeigen, dass eine angemessene Erreichbarkeit von Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, nicht flächendeckend gegeben ist.

Neben der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Beratungsstellen, Praxen oder Kliniken spielen auch die Kosten und der Zugang zu Informationen eine wichtige Rolle. Auch hier besteht aus Sicht der ungewollt Schwangeren Verbesserungsbedarf.

Wie erleben ungewollt Schwangere ihre Situation? Schweigen, Stigmatisierung und Barrieren?

Die Situation ungewollt schwangerer Frauen ist komplex und individuell sehr unterschiedlich. Die ELSA-Studie zeigt, dass ungünstige Lebensumstände wie finanzielle Schwierigkeiten, instabile Partnerschaften oder fehlende berufliche Sicherheit bei ungewollten Schwangerschaften häufiger auftreten als bei geplanten.

Mehrere Faktoren können das Wohlbefinden ungewollt schwangerer Frauen beeinflussen. Diese variieren je nach der individuellen Situation der Frau. 83% der Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen haben, weisen eine internalisierte Stigmatisierung auf, 74 Prozent machen sich Sorgen über die Reaktionen ihrer Angehörigen und 29 Prozent berichten von mindestens einer Stigmatisierungserfahrung. All dies führt zu Scham- und Schuldgefühlen und zum Schweigen über den Schwangerschaftsabbruch. Partnerschaftskonflikte und Zugangsbarrieren zum Schwangerschaftsabbruch wirken sich ebenfalls aus. Die Entscheidung, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen, hat jedoch keinen langfristigen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden, wie die ELSA-Studie zeigt. Dieses Ergebnis deckt sich mit internationalen Forschungsergebnissen.

Situation und Veränderungswünsche der Ärzt:innen

Die Gynäkolog:innen wurden schwerpunktmäßig in drei Regionen befragt. Zielgruppe waren sowohl Anbieter:innen, die Abbrüche nach einer Pflichtberatung durchführen (30,7 Prozent), als auch Ärzt:innen, die keine Abbrüche durchführen (62,7 Prozent) und Ärzt:innen, die Abbrüche nur aufgrund einer medizinischen Indikation oder nach einer Vergewaltigung durchführen (6,6 Prozent).

Die Studie ergibt, dass es innere und äußere Barrieren gibt, die Gynäkolog:innen davon abhalten, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Zu den inneren Barrieren zählen persönliche Erfahrungen und Einstellungen sowie Handlungsunsicherheit. Äußere Barrieren sind Aufwand, Bezahlung und Qualifikation. Erlebte und befürchtete Stigmatisierung tritt sowohl als äußere als auch als innere Barriere auf.

Auf die Frage, warum sie keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sagten 34 Prozent der Klinikärzt:innen, dass in ihrer Einrichtung generell keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. 33 Prozent der niedergelassenen Gynäkolog:innen gaben an, dass es ihnen in ihrer Praxis an geeigneten Räumlichkeiten mangelt. 34 Prozent gaben an, dass sie Schwangerschaftsabbrüche als belastend empfinden. Dabei spielt die Religiosität eine wichtige Rolle. 47,5 Prozent der Ärzt:innen, die sich als religiös bezeichnen, empfinden Schwangerschaftsabbrüche als belastend, während dies nur auf 25,8 Prozent der nicht oder kaum religiösen Ärzt:innen zutrifft.

Wenn Barrieren beseitigt würden, wären die Nicht-Anbieter:innen dann bereit, Abbrüche durchzuführen? 57 Prozent sagen "nein", 43 Prozent sagen "ja". Welche weiteren Veränderungen könnten dazu beitragen, die medizinische Versorgung zu verbessern und die ärztliche Tätigkeit zu erleichtern? Neben der Einführung von Behandlungsstandards (98 Prozent), mehr gesellschaftlicher Akzeptanz (95 Prozent), mehr fachlicher Diskussion (94 Prozent), Aufnahme in die Weiterbildungsordnung (88 Prozent) und einer besseren Vergütung (85 Prozent) wünschen sich 75 Prozent aller befragten Ärzt:innen eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches. In der Teilgruppe der Anbieter:innen haben 83 Prozent diesen Wunsch.

Ein wichtiger Einflussfaktor auf die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, liegt in der Aus- und Weiterbildung. Nicht alle Gynäkolog:innen erwerben in der Facharztweiterbildung die Fähigkeit, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Insbesondere der medikamentöse Abbruch wird nur selten erlernt. Die Studie kommt zu folgendem Ergebnis: Es besteht ein Zusammenhang zwischen der praktischen Ausbildung in Schwangerschaftsabbrüchen und deren Durchführung in der späteren Praxis. Diejenigen, die während ihrer Facharztausbildung Abbrüche gelernt haben, führen später häufiger Schwangerschaftsabbrüche durch. Die Ausbildung in der Facharztweiterbildung erhöht die Handlungssicherheit und hilft, eine der bestehenden Barrieren zu überwinden.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Ergebnissen der sechsstündigen Präsentation. Sie machen Lust auf mehr und neugierig auf das Gesamtergebnis im Herbst. Zusammen mit den Empfehlungen der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung sollten die Ergebnisse der ELSA-Studie ein starker Ansporn für die Ampel sein, ihr Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag endlich in Angriff zu nehmen. Dort heißt es: "Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir schaffen Versorgungssicherheit. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung werden. Die Möglichkeit eines kostenlosen Schwangerschaftsabbruchs gehört zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung." Und eine Kommission soll die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches überprüfen. Die Zeit ist reif für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Frauen warten seit mehr als 150 Jahren darauf. Die Chance muss in dieser Legislaturperiode genutzt werden. Das ist die Ampel den Frauen schuldig.

Unterstützen Sie uns bei Steady!