Der Roman "Der Mauerläufer" von Nell Zink über unorthodoxe Biotope

Freiheit den Flüssen

BERLIN. (hpd) Freiheit den Flüssen, Krieg den Bürokraten! Die Wandlung von einer willenlosen Kindfrau aus gutem orthodoxen amerikanischen Hause, Spielgefährtin und Spielzeug ihres Gatten, mit dem sie eine Leidenschaft zu Vögeln und erotischen Experimenten teilt, zur anarchischen und militanten Ökoaktivistin - das macht Nell Zink uns in dem Roman "Der Mauerläufer" weis. Eine entsetzlich komische Ver-Lust-Geschichte.

Eigentlich wollte die 51-Jährige mit ihrem ersten Roman ja Jonathan Franzen auf die Vogeljagd im Balkan aufmerksam machen. Denn Vögel begeistern sie genauso wie Franzen. So schrieb sie diesmal nicht privatissimo einen Roman an einen ihrer Freunde wie sonst, sondern dem Großmeister der amerikanischen Literatur. Der war fasziniert von diesem kleinen skizzenhaften Werk, dessen Schluss hier wie bei einem Kriminalroman gar nicht erzählt sein will, so unvermutet ist er. Aber vielleicht ließ Nell Zink die Geschichte mit einem Erzählrhythmus voller Salti und Synkopen nur eine derartige Wendung nehmen, weil sie irgendwie wieder herauskommen musste aus dem Geschehen. Auf jeden Fall endlich mal wieder ein Roman, der offensichtlich ohne Plot geschrieben wurde.

In den ersten drei Zeilen liegt das Leitmotiv auf dem Tisch: Vögel, ein Mauerläufer, wegen dem Stephan, der Mann, das Auto in einen Graben fährt, dazu ein Autounfall und eine Fehlgeburt dann. Der traumatisierte Vogel wird adoptiert. Schließlich ausgesiedelt, stirbt er sofort. Das Paar bleibt kinderlos. Er wandelt sich vom PR-Lobbyisten in der Pharmaindustrie in Bern zum im Bereich der NGO-Aktivisten-Industrie selbständigen Subunternehmer in Berlin. Tiffany rollt schließlich mit zäher Ausdauer Ufersteine von der Deichbefestigung einer Elbschleife in den Fluss, um das Gewässer zum Versanden zu bringen und zu renaturieren.

Das Paar landet immer mehr auf dem Boden der kargen Realität. Derweil kittet die beiden die Vogelliebe zusammen, bis sie merken, dass die Natur sie eigentlich gar nicht braucht und man sie am besten liebt, indem man sie in Ruhe lässt. Bis es so weit kommt, finden sich herrliche Sätze wie: "Aber ich konnte die Vögel hören: Gänse, die nörgelten und klagten wie Ehepaare im Gerangel um die Bettdecke, Kiebitze, die sich mit den Ellenbogen in die Seite stießen, ein Brachvogel, der Gott um gesegneten Schlaf bat." Oder: "Piña Colada trinkend, sahen wir den Blässhühnern zu, die mit Schilfhalmen im Schnabel herumrührten, wie es ihre Art ist, kleinen Pfadfinderinnen gleich, die tapsig und gickernd ein Gemeindehaus ausfegen, - und der DJ legte Horace Andy (Skylarking) auf."

Tiffany zieht mit ihrem 30 Jahre jungen herzkranken Ehemann, den sie auf einen winzigen Maulesel bugsiert, durch Albanien, bis er ihr eher zufällig abhanden kommt (der Mann). Auf Sinn- oder Projektsuche (wie es heute heißen muss), wozu es zu spät ist, und zum Vogelzählen. Zink verpasst ihrer Heldin ohne Scheidung und Emanzipation jedoch, nachdem sich ihre vergangenen Liebhaber als unbrauchbar erweisen, schnell ein neues Leben. Ein ziemlich ernüchterndes, aber sicher nützliches als selbständige Ökogeologin, die nach brav absolviertem Studium nun Gutachten in Gewässerschutzfragen erstellt. Als Romansujet nicht mehr der Rede wert (und der Autorin nur noch ein paar Sätze – wie stets wenn es um alles geht).

Stephan hatte es geahnt: "Leben ist das, was passiert, wenn du die Finger davon lässt. Es verläuft zirkulär! Aber niemand will die Finger davon lassen. Alle wollen die Natur lieben. Naturliebe ist ein Widerspruch in sich.

Nell Zink: "Der Mauerläufer", ein Roman aus dem Englischen übersetzt von Thomas Überhoff, Rowohlt Verlag Hamburg 2016, 188 S., 19,95 Euro