Bericht von Human Rights Watch

Gefahren für LGBT im Nahen Osten und Nordafrika

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Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat sich die Situation von homo- und bisexuellen sowie Trans-Personen in Teilen Nordafrikas und des Mittleren Ostens angesehen. Dabei musste HRW feststellen, dass nicht nur Privatpersonen, sondern auch staatliche Stellen für deren Verfolgung, Belästigung und ihr Outing verwantwortlich sind. Sie verwenden unrechtmäßig Digitalfotos, Chats und weitere Daten, unter anderem aus Sozialen Medien. Die Folgen für Betroffene reichen vom Verlust des Kontakts zu Familie und Freunden bis hin zur Ermordung.

Für den aktuellen Bericht zur Situation von LGBT in Teilen des Mittleren Ostens und Nordafrikas hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 120 Interviews geführt. Die Interviewten stammen aus Ägypten, Irak, Jordanien, Libanon und Tunesien. Bei 90 von ihnen handelt es sich um von digitaler Verfolgung betroffene LGBT, bei 30 um Expert*innen wie zum Beispiel Jurist*innen und zu digitalen Rechten Tätige.

Obwohl nur explizit im Irak illegal, wird Homosexualität in Ägypten, Tunesien und im Libanon indirekt bestraft, indem Vergehen konstruiert werden. Ein gesellschaftliches Tabu trifft zudem nicht nur auf die bereits genannten Länder, sondern auch auf Jordanien zu.

Unterstützt wurde HRW in den untersuchten Ländern von Organisationen, die sich für digitalen Schutz und die bisher staatlich und gesellschaftlich versagten Rechte von LGBT-Personen einsetzen. In Ägypten halfen die Organisationen masaar und eine weitere, die im HRW-Bericht nicht genannt werden wollte. Im Irak unterstützten IraQueer und das Iraqi Network for Social Media. In Jordanien arbeiteten Rainbow Street und die Jordan Open Source Association mit und im Libanon Helem und Social Media Exchange. In Tunesien war es die Damj Association.

Manipulative Methoden von Privatpersonen und Behörden

Im Rahmen des Berichts war es nicht möglich, auf von Regierungen eingesetzte Spionagesoftware einzugehen. Er konzentriert sich auf die Methoden, mit denen Soziale Medien wie Facebook oder Dating-Apps wie Grindr durchsucht wurden. Außerdem versuchten Privatpersonen wie auch Behörden, mittels Fakeprofilen User*innen zu vermeintlich unmoralischem Verhalten zu bewegen oder gar Beweise für Unmoral zu kreieren. So wollte man Druck auf Personen ausüben, sie erpressen, outen oder melden.

Interviewte Personen gaben an, dass sie mit Gewalt oder angedrohter Gewalt gezwungen wurden, ihre Mobiltelefone für Strafverfolgende freizuschalten. Diese Geräte wurden dann auf Bilder, Videos oder Unterhaltungen sowie Apps durchsucht. So erhielt man neben der Sammlung vermeintlicher Beweise für unmoralisches Verhalten auch Zugriff auf weitere Menschen, weil sie an Unterhaltungen beteiligt oder auf gemeinsamen Fotos zu sehen waren. Diese Personen gerieten dann ebenfalls in den Fokus der Behörden.

Wenn keine verdächtigen Apps, Bilder oder Chats auf den Mobilgeräten gefunden wurden, seien diese kreiert worden, gaben Personen, die für den Bericht befragt wurden, darüber hinaus an. So luden die Sicherheitsdienste und Strafverfolgungsbehörden Apps herunter, erstellten Fotos oder kreierten eigene Chats im Messenger-Dienst WhatsApp, um Verfolgung und Verhaftung rechtfertigen zu können. Teilweise wurden sogar vermeintliche Geständnisse erzwungen.

Human Rights Watch dokumentierte 45 Fälle von willkürlicher Verhaftung von 40 LGBT in Ägypten, Libanon, Jordanien und Tunesien. In allen Fällen wurden die Mobiltelefone durchsucht, um Verhaftungsgründe zu finden oder zu erfinden. In diesen vier Ländern prüfte HRW Gerichtsakten zu 23 Fällen, in denen mit Hilfe digitaler Beweise LGBT-Personen verfolgt wurden, auf Grundlage von Gesetzen zu gleichgeschlechtlichem Verhalten, Ausschweifungen beziehungsweise Anstiftung dazu, Prostitution und Cyberkriminalität. Die meisten Angeklagten wurden in Berufungsverfahren freigesprochen. In fünf Fällen jedoch wurden Personen verurteilt. Die auferlegten Strafen reichten von einem bis zu drei Jahren Haft. 22 der festgenommenen Personen wurden nicht angeklagt, sondern in Untersuchungshaft gehalten. In einem Fall musste eine Person 52 Tage auf einer Polizeiwache verbringen. Es wurde berichtet, dass nach der Verhaftung der Kontakt zu juristischer Vertretung, zur Familie oder gar Wasser und Nahrung sowie medizinische Versorgung versagt wurden. Gewalt und sexuelle Übergriffe sowie Demütigungen aller Art wurden berichtet. Trans-Frauen gaben zu Protokoll, in einer Zelle mit Männern untergebracht worden zu sein, wo sie Misshandlungen und sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. Eine von ihnen sogar 13 Monate lang.

Gesellschaftliche Ächtung kommt hinzu

Zur juristischen Verfolgung kommt die Gefahr von gesellschaftlichen Konsequenzen, ähnlich wie bei Menschen, die wegen vermeintlicher Blasphemie verfolgt werden. Selbst den wieder Freigelassenen und Freigesprochenen haftet der Zweifel an, ob nicht etwas an den Vorwürfen dran sein könnte. Die Gefahr, sogar ermordet zu werden, besteht ebenfalls. Im Irak dokumentierte HRW allein 32 Fälle von Todesdrohungen durch bewaffnete Gruppen in Sozialen Medien.

Betroffene berichteten davon, dass sie als Konsequenz der Verfolgung ihre Arbeit verloren, Gewalt in der Familie erlebten, Konversionsbehandlungen ausgesetzt wurden und ihr Leben bedroht wurde. Sie waren gezwungen umzuziehen, ihre Telefonnummer zu wechseln, Profile in Sozialen Netzwerken zu löschen oder sogar außer Landes zu fliehen. Viele berichteten von gravierenden Folgen für ihre mentale Gesundheit. Die Befragten gaben zu Protokoll, dass auf Sozialen Medien gemeldete Fälle von Belästigung und Verfolgung nicht gelöscht wurden, weil sie Unternehmensstandards und -richtlinien nicht verletzt hätten.

Alle 90 Interviewten gaben an, sich nach ihrer Verfolgung selbst zu zensieren. Teilweise, indem sie die Nutzung bestimmter Medien für sich ausschlossen oder diese nicht mehr frei, sondern sehr eingeschränkt nutzten. Hinzu kommt ein Verlust von Vertrauen in die Behörden. Die meisten Befragten gaben an, ein Verbrechen gegen sie nicht melden zu wollen. Allein schon, weil sie befürchteten, dass ihnen die Schuld für das Verbrechen aufgrund ihrer Sexualität oder ihres Geschlechts zugeschoben wird.

In einer Empfehlung wendet sich der HRW-Bericht auch an Soziale Netzwerke und Messenger-Dienste und warnt sie davor, zu Werkzeugen staatlicher Repression zu werden. Er fordert die großen Unternehmen wie die zu Meta gehörenden Plattformen Facebook und Instagram, die Dating-App Grindr und Twitter dazu auf, mehr für den Schutz verwundbarer Menschen zu tun. So solle in die Moderation von Inhalten, besonders auf Arabisch, investiert werden. Auf diese Weise soll unter anderem durch proaktives und schnelles Entfernen von missbräuchlichen Inhalten, die gegen Plattformrichtlinien oder -standards in Bezug auf Hassrede und Aufstachelung zu Gewalt verstoßen, die Sicherheit von Nutzer*innen gewährleistet werden. Zudem sollten Bereiche eingerichtet werden, in denen LGBT ihre jeweiligen Rechte einsehen können.

Einen weiteren Appell richtet die Menschenrechtsorganisation an die Regierungen der fünf untersuchten Länder. Diese sollen die Rechte von LGBT-Personen respektieren und schützen, anstatt ihre Meinungsäußerung zu kriminalisieren und sie online anzugreifen. Sie sollen Gesetze zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität auch für das Internet einführen und umsetzen. Zudem sollen ihre Sicherheitskräfte aufhören, LGBT zu belästigen und zu verhaften. Schließlich sollten die Regierungen sicherstellen, dass alle digitalen Verfolger*innen – und nicht die LGBT-Opfer selbst – zur Verantwortung gezogen werden.

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