Rezension

Hamed Abdel-Samad: "Islam. Eine kritische Geschichte"

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Hamed Abdel-Samad präsentiert in seinem Buch "Islam. Eine kritische Geschichte" einen historischen Überblick, der gelegentlich in der Darstellung des Stoffs etwas freihändig wirkt, aber häufig auch analytische Einschätzungen im systematischen Sinne präsentiert. Gerade die letztgenannten Aspekte verbunden mit der inhaltlichen Differenzierung sprechen für eine Lektüre dieser neuen Monographie.

Mittlerweile liegt eine Fülle an Literatur vor, welche die Geschichte des Islam thematisiert. Dazu zählen bloße Beschreibungen von historischen Ereignissen ebenso wie apologetische Darstellungen im idealisierten Lichte oder polemische Streitschriften mit inhaltlichen Verzerrungen. Hamed Abdel-Samads neues Buch fällt glücklicherweise in keine der genannten Kategorien. Bei fortexistierender Distanz zur islamischen Religion verfällt er nicht darauf, in "Islam. Eine kritische Geschichte" mit platten Zuordnungen zu arbeiten. Er korrigiert auch frühere Bewertungen, etwa die zur islamischen Reform(un)fähigkeit. Und dann präsentiert seine Darstellung auch Erklärungsfaktoren, wobei unterschiedliche Ebenen angesprochen und monokausale Interpretationen vermieden werden. Dies alles geschieht auf knapp über 300 Textseiten, meist historisch-chronologisch strukturiert in 13 Kapiteln mit zwei Exkursen. Dabei verarbeitet der Autor eine Fülle an Stoff, was verständlicherweise detaillierte Darstellungen und Erklärungen verunmöglicht. Darüber hinaus lässt sich gelegentlich eine doch eher freihändige Präsentation konstatieren.

Cover

Das Buch startet mit einem ungewöhnlich langen Vorwort, worin auf die aktuelle polarisierte Debatte eingegangen wird. Deutlich wendet sich der Autor gegen haltlose "Islamophobie"-Vorwürfe, bekanntlich werden sie gern bei jeglicher Kritik an der islamischen Religion vorgetragen. Er beklagt auch die kursierende Ignoranz von Religionskritikern, also nicht nur auf den Islam negativ fixierten aufklärerischen Positionen. "Man unterscheidet nicht zwischen Menschen, die Muslime aufgrund ihrer Religion hassen, und Menschen, die die Ideologie des Hasses im Islam aus humanistischen Motiven kritisieren" (S. 14). Abdel-Samad will mit der entsprechenden Differenzierung die Kontroverse um Migration und Religion befruchten, wobei er einen historisch-chronologischen Ansatz wählt, entsprechend bei der Entstehung des Islam beginnt und in der Gegenwart aktueller Konflikte zum Thema endet. In der ebenfalls relativ lang geratenen Einleitung fasst er seine Positionen in zehn Thesen zusammen, welche für die folgende Darstellung der historischen Entwicklung die inhaltlichen Leitlinien verkörpern. Eine zusätzliche Orientierung gibt danach an dieser Stelle ein Zeitstrahl.

Zwar beginnt das erste Kapitel mit: "Die Wüste ist ein Ort voller Klarheit und Illusionen" (S. 49), womit sich aber keine blumige Beschreibung der folgenden historischen Ereignisse verbindet. Für die Entstehung und Entwicklung des Islam werden auch verschiedene Gründe vorgetragen, wobei politische, theologische und wirtschaftliche Faktoren in Kombination miteinander wirkten. Immer wieder abstrahiert Abdel-Samad von den historischen Ereignissen, eben auch in einem solchen Sinne. Zunächst hat man den Eindruck, dass die für die Frühgeschichte doch unsichere Quellenlage nicht näher thematisiert wird. Am Beispiel von Ibn Ishaq und dem ersten "Mohamed-Roman" geschieht dies aber dann doch. Außerdem macht der Autor immer wieder darauf aufmerksam, dass die Geschichte von inner-islamischen Konflikten geprägt war, wobei es eben nicht nur um religiöse Fragen, sondern auch um handfeste Interessen ging. Er wendet sich außerdem gegen historische Mythen, etwa die von Horten der Toleranz, welche es laut der kritischen Forschung durchaus gab, aber nicht als heutige Idealvorstellungen für ein gleichrangiges Miteinander.

Die Entwicklung im 20. Jahrhundert wird dann aber doch sehr knapp thematisiert, auch und gerade was die Entwicklung des Islamismus angeht. Gegen die Auffassung vom postulierten Einklang von Islam und Islamismus (vgl. S. 238) darf auch Widerspruch angemeldet werden, lässt sich doch mit dem Kompatibilitätstheorem das Verhältnis differenzierter bestimmen. Eine mögliche Aufklärung des Islam ist dann in den letzten Kapiteln noch ein gesondertes Thema: Hier korrigiert der Autor auch eine frühere Sichtweise, denn: "Dabei kann alles, was von Menschen gemacht ist, reformiert werden. Und Religion ist nun einmal ein menschliches Produkt" (S. 283). Gleichwohl stehen dem unterschiedliche Gegebenheiten entgegen, was ein präsentierter "Neun-Punkte-Plan für eine Reform" (S. 286-288) veranschaulicht. Gerade die hier zum Ausdruck kommende Systematik macht formal wie inhaltlich den Wert aus, welcher dem Buch als Darstellung wie als Einschätzung des Islam eigen ist. Etwas irritierend wirkt die kurze und selektive Literaturliste am Schluss mit manchmal verwunderlicher Titelauswahl. Dieser Einwand spricht aber nicht gegen das Interesse an der Monographie.

Hamed Abdel-Samad, Islam, Eine kritische Geschichte, dtv Verlagsgesellschaft, München 2023, 317 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-423-44663-1

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