Mit seinem neuen Buch "Schlacht der Identitäten" liefert der Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad einen in 20 Thesen gegliederten Beitrag zur gegenwärtigen Rassismusdebatte.
Wer über Rassismus diskutieren möchte, begibt sich derzeit auf schwieriges Gelände. Denn die öffentliche Debatte darüber hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend polarisiert: Auf der einen Seite diejenigen, die sich mit Moralismus und Pauschalvorwürfen selbstgewiss auf der "richtigen Seite" wähnen, auf der anderen Seite jene, die die Augen vor den tatsächlich bestehenden Problemen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verschließen oder gar aktiv daran partizipieren. Dabei wäre es durchaus möglich, das Thema differenziert und selbstkritisch anzugehen, um es in seiner komplexen Ambivalenz zu erfassen. Dass ein solcher Anspruch auf Sachlichkeit mit Empathie und Lebensnähe verknüpft werden kann, beweist der Publizist Hamed Abdel-Samad mit seinem neuen Buch "Schlacht der Identitäten. 20 Thesen zum Rassismus – und wie wir ihm die Macht nehmen", welches vor kurzem im dtv-Verlag erschienen ist.
Rassismus als Menschheitsproblem
Abdel-Samad beschreibt Rassismus als "Menschheitsproblem, das nur gemeinsam gelöst werden kann". Die Ursachen des Rassismus liegen für ihn im menschlichen Hang zum Gruppendenken, das sich etwa auch im Alltag bei Fußballspielen beobachten lässt. Problematisch wird es spätestens dann, wenn sich die Trennlinie zwischen "uns" und "den anderen" verfestigt, man sich bedrohliche Geschichten über den anderen erzählt, statt mit ihm zu sprechen, und sich die archaische Angst vor der nunmehr als homogen wahrgenommenen Fremdgruppe als trügerisches Überlegenheitsgefühl manifestiert. Die daraus resultierenden Feindbilder werden oft implizit über Generationen hinweg vermittelt und beruhen bisweilen auf längst vergangenen Konflikten.
Die Besonderheit des Buches liegt sicherlich darin, dass sich Hamed Abdel-Samad nicht als Täter oder Opfer von Rassismus versteht, sondern in mutiger Offenheit persönliche Erlebnisse schildert, in denen er mal das eine, mal das andere gewesen ist. Für den Autor ist klar: Die Lösung kann nur in einer Aufwertung des Individuums liegen und in der Anerkennung des unendlichen Facettenreichtums der eigenen (und anderen) Identität. Wir sollten rassistischen Ansichten entschieden entgegentreten, den Menschen dahinter jedoch nicht verloren geben, sondern ihm aufzeigen, wie er sich durch die "Mauern seiner geschlossenen Identität" bereichernden Erfahrungen gegenüber verschließt.
Abdel-Samad ist überzeugt, dass wir die Opfer nur dann wirkungsvoll schützen können, wenn wir die Täter und ihre Gedankenwelt zu verstehen versuchen. Seine Botschaft ist positiv: In jedem Menschen steckt zwar die Anlage für rassistisches Denken, aber ebenso das Potenzial, diese durch Bildung, Reflexion und prägende Begegnungen hinter sich zu lassen. Am Ende seines Buches entwirft er die Utopie einer empathischen Gesellschaft, in der die Rassismus verfestigende Kette von Angst und Gewalt durchtrennt wird.
Mit Humanismus gegen Rassismus
In 20 pointierten Thesen entfaltet Hamed Abdel-Samad einen humanistischen Ansatz, der das Problem des Rassismus an der Wurzel packen möchte. Nicht nur implizit kritisiert er damit inkonsequente Antirassisten, die festgefahrene Gruppenidentitäten in den Vordergrund stellen statt den einzelnen Menschen. Ein solcher Antirassismus habe nämlich "das Potenzial, die Gesellschaft auf ähnliche Weise zu spalten wie der Rassismus selbst. Weil es eben nicht um die Menschen geht, sondern um die Attribute, die man ihnen zuschreibt." Den Rassismus, erklärt Abdel-Samad, bekämpfe man daher am besten durch das Lösen starrer Loyalitäten und die befreiende Auseinandersetzung mit den Koffern aus überkommenen Identitätsschablonen, die wir alle mit uns herumschleppen. An deren Stelle solle eine weltoffene Kultur des Pluralismus treten, "die sich natürlich entwickelt, nicht aber durch ideologisches Social Engineering einer Identitätspolitik, die nur zu noch mehr Spaltung führt".
Die Öffnung von kollektiven Identitäten sieht Abdel-Samad nicht zuletzt auch als Voraussetzung für eine gelungene Integrationspolitik. Zugleich betont er die Notwendigkeit eines "positiven Nationalbewusstseins", welches nicht dem Nationalismus verfällt, sondern sich durch Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Sichtweisen und Erfahrungen auszeichnet. Unklar bleibt allerdings, worin ein solches Nationalbewusstsein besteht und wofür wir es zwischen Individualismus und Kosmopolitismus eigentlich noch benötigen. Angesichts einer voranschreitenden Globalisierung, so könnte man Abdel-Samad entgegenhalten, braucht es vielmehr eine weltbürgerliche Haltung, die selbstbewusst für die universell gültigen Prinzipien der Menschenrechte und der offenen Gesellschaft eintritt. Einen Bezug auf die Nation braucht es dafür nicht.
Hamed Abdel-Samads neues Buch ist keine sozialwissenschaftliche Abhandlung, sondern ein engagierter Aufruf zum selbstkritischen Dialog. Auch wenn man nicht jeder These zustimmen mag, findet man in dem Buch vielfältige Gedankenanstöße und bewegende Erfahrungsberichte zum komplexen Thema der Identität. In einem politischen Klima, das von ideologischen Verhärtungen und Anfeindungen geprägt ist, kommt Abdel-Samads Plädoyer für eine empathische Gesellschaft genau zur richtigen Zeit.