Der bekannte Publizist Hamed Abdel-Samad legt mit "Schlacht der Identitäten. 20 Thesen zum Rassismus – und wie wir ihm die Macht nehmen" seine Reflexionen zu aktuellen Kontroversen um Identitätspolitik und Rassismus vor. Es handelt sich um teilweise auch autobiographisch geprägte Betrachtungen, welche die problematischen Dimensionen eines identitären Antirassismus betonen und dabei beachtenswerte und interessante Positionen zu einem kontroversen Thema liefern.
Gegenwärtig wird eine heftige Debatte um Identitätspolitik und Rassismus geführt, wobei Emotionalisierung und Polarisierung mal wieder die typischen Strukturmerkmale sind. Während einerseits eine Diskriminierung von Minderheiten missachtet wird, wird sie andererseits für die Gesellschaft zu einem Grundprinzip erklärt. Beide Denkweisen ignorieren die individuelle Dimension und verweisen auf kollektive Zugehörigkeiten. Insofern sind sie sich in der formalen Ausrichtung ähnlicher, als sie von ihren ideologischen Prägungen her meinen. Diese Dimension wird indessen nur selten thematisiert. Eine Ausnahme stellt hier Hamed Abdel-Samad dar, der zu unterschiedlichsten Aspekten von Islam und Migration publiziert hat. Sein neuestes Buch trägt den Titel: "Schlacht der Identitäten. 20 Thesen zum Rassismus – und wie wir ihm die Macht nehmen". Es handelt sich um eine Intervention zur aktuellen Kontroverse, die persönliche Erfahrungen wie politische Reflexionen vermittelt. Demnach hat man es eher mit einem Essay mit eben 20 Thesen zu tun.
Gleichwohl gibt es für die Ausführungen eine inhaltliche Basis, die erst ganz am Ende ausdrücklich hervorgehoben wird: den Individualismus. Berechtigt macht der Autor darauf aufmerksam, dass in Kollektivdimensionen sowohl in der Mehrheitsgesellschaft wie in den Minderheitsgesellschaften gedacht wird: "Gruppenidentitäten sind eine wichtige Brutstätte. Denn starre Identitäten, ob in der Mehrheitsgesellschaft oder innerhalb einer Gruppe von Minderheiten, laden zum Identitätskampf und somit zu Rassismus ein" (S. 127). Genau in dieser Fixierung wird das Problem gesehen. Dazu besteht ein breites Bewusstsein eben für die Mehrheitskultur, aber nicht notwendigerweise auch für Minderheitsgesellschaften. Abdel-Samad verweist dezidiert auf damit zusammenhängende Schwierigkeiten, was wohl einseitig ideologisch denkende Kritiker wieder zu schiefen Zuordnungen motivieren dürfte. Denn wenn der Autor etwa auch in Minderheiten einen Rassismus thematisiert, dann ignoriert er ja damit nicht einen Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft.
Und genau dieser weitere Blick macht seine inhaltlichen Reflexionen so interessant. Hamed Abdel-Samad erinnert etwa daran, dass es Rassismus nicht nur bei Weißen gegeben hat und gibt. Ein "Ethos der Schuld" (S. 22) sei von daher problematisch, verdecke es doch andere Formen des Rassismus. Der Autor arbeitet mit einem Begriffsverständnis, das allgemein von Herabwürdigungen beim Rassismus ausgeht. Insofern spricht er auch an: "Wenn Antirassisten sich wie Rassisten verhalten" (S. 69). Dabei würden Einzelne der homogenen Gruppe der Rassisten zugeordnet. Und dann thematisiert er ebenfalls: "Wenn der Rassismusvorwurf zum Machtinstrument der (vermeintlich) Schwächeren wird" (S. 81). Eine aufklärerische Denkperspektive kann tatsächlich eine Instrumentalisierung ausmachen, wobei Rassismusunterstellungen in einem sachfremden Sinne erfolgen. Abdel-Samad veranschaulicht dies aus eigener Erfahrung etwa daran, dass Einwände gegen den Islamismus als "antimuslimischer Rassismus" fehlgedeutet wurden und werden.
Damit berührt der Autor viele heikle Fragen, was aber gerade um einer Differenzierung und Versachlichung willen nötig ist. In der Gesamtschau hätte er seine Kritik noch gleichrangiger in beide Richtungen verteilen können. Darüber hinaus wäre anzumerken, dass die Diskriminierungspraktiken in der Gesellschaft schon bestanden und die identitätslinken Kritiker darauf mit einer Reaktion antworteten. Gleichwohl adeln nicht gute Absichten bedenkliche Schlussfolgerungen. Und auf diese macht Abdel-Samad gerade hinsichtlich der gesellschaftlichen Spaltungen aufmerksam: "Das Leugnen, dass wir ein Rassismusproblem haben, spaltet uns. Die Aussage, dass alle Weißen, alle Deutschen Rassisten sind, spaltet uns" (S. 122). Den Ausweg sieht er in einem Individualismus, den erst eine empathische Gesellschaft ermögliche. Zu ihr gehört – so darf ergänzt werden – nicht ein identitärer, sondern ein universalistischer Antirassismus. Abedel-Samad liefert zu all dem beachtenswerte Reflexionen, kein stringentes Werk. Beachtung verdienen seine Thesen unbedingt.
2 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Menschen und Völker haben eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich zu überschätzen, sich für wertvoller, nützlicher, achtbarer zu halten als andere.
Die Inkas hielten ihre Hauptstadt Cuzco für den Nabel der Welt. Die Wampanoag Indianer an der Ostküste Nordamerikas bezeichneten sich als Volk des ersten Lichtes. „Die amerikanischen Indianer betrachteten sich als das erwählte Volk, vom großen Geiste zu erhabenem Beispiel der Menschheit geschaffen. Ein Indianerstamm führte den Namen ‚die einzigen Männer‘; ein anderer ,Männer der Männer‘; die Karaiben sagten von sich: ,Nur wir sind Leute‘, und die Eskimo glaubten, dass die Europäer nach Grönland gekommen seien, um gute Manieren und Tugenden zu erlernen.“ (Will Durant) Die Chinesen bezeichneten ihr Reich als das „Reich der Mitte“, weil sie sich im Mittelpunkt der Welt und der Weltgeschichte wähnten. Sie fühlten sich anderen Völkern überlegen. Die Japaner glaubten, mindestens bis 1945, dass alle Königreiche von Menschen gemacht und nur das japanische göttlichen Ursprungs sei. Die Franken glaubten, als führendes christliches Volk „das neue von Christus auserwählte Volk zu sein“, was ihnen auch erlaubte, alle nicht-christlichen Völker, z.B. die Sachsen, zu verfolgen, auszurauben und zu „bekehren“. Die USA nennen sich gerne „Gods own nation“. Auch die Pilgerväter glaubten zu Gottes auserwähltem Volk zu gehören. Für ihre Nachbarn, die Indianer, war das tödlich. Die Russen hielten sich seit den Anfängen ihres Staates für das neue Israel, als dem Land, in dem sich die Heilsgeschichte vollenden werde. Die Engländer hielten sich seit Cromwell für das auserwählte Land, das dazu berufen sei, die ganze Welt mit dem Christentum missionieren zu müssen und allen kolonialisierten Völkern die „englische Lebensart“ aufzwingen zu dürfen…(Aus meinem Buch: Von Verfolgern und Verfolgten)
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
So und nicht anders ist und war es lieber Roland und der Irrsinn hört nicht auf, es ist zum verzweifeln, wie dumm die Menschheit noch heute ist. Merkt denn keiner, dass wir an einem