Intensive Tage im "Haus Weitblick": Am Sitz der Giordano-Bruno-Stiftung oberhalb des Rheins sprachen die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Bertha von Suttner-Studienwerks über die Themen, die sie bewegen. Die gute Stimmung übertrug sich auf das anschließende "gbs-Sommerforum", das Ideen zur "Zukunft des Humanismus" entwickelte.
"Werden wir immer dümmer?": Forscherinnen und Forscher rätseln über die Ursachen des merkwürdigen Phänomens, dass der durchschnittliche IQ, der zuvor über Jahrzehnte gestiegen war, in den letzten Jahren kontinuierlich gefallen ist. Wer in der vergangenen Woche die Diskussionen im "Haus Weitblick" verfolgt hat, würde auf diesen Gedanken niemals kommen. Denn die Vorträge der Stipendiatinnen und Stipendiaten des Bertha von Suttner-Studienwerks (BvS) zeichneten sich sowohl durch intellektuelle Tiefe als auch durch eine enorme thematische Bandbreite aus.
Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
Nachdem Anja Krüger-Chan (Humanistischer Verband Deutschlands), Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung), Ralf Schöppner (Humanistische Akademie Deutschland) und Tobias Wolfram (Bundesarbeitsgemeinschaft humanistischer Studierender) das Konzept des Bertha von Suttner-Studienwerks vorgestellt hatten, sprachen die Suttner-Stipendiat*innen über die Themen, die sie aktuell am meisten bewegen. Dabei ging es am vergangenen Donnerstag und Freitag unter anderem um den Prozess der europäischen Integration, um neue Ausbeutungsformen bei Startups ("Life at Google"), den quantitativen Veröffentlichungsdruck in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, die politischen Folgen des (ungleich verteilten) Bevölkerungswachstums, die Prinzipien des Effektiven Altruismus (EA), um Integrität und Konsequenz ("Gibt es ein richtiges Leben im falschen?"), um mathematische Knoten ("Wo landet man, wenn man Portale in fremde Welten übereinanderlegt?") sowie um die (angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine) heiß diskutierte Frage, ob der Pazifismus einen Verrat am Humanismus darstellt.
Am Donnerstagabend referierte die Psychologin und Begabungsforscherin Tanja Gabriele Baudson (u.a. Mitglied des wissenschaftlichen Direktoriums des Suttner-Studienwerks, Initiatorin des "March4Science Deutschland" und Vorsitzende von MENSA Deutschland) über "Begabung und Verantwortung", wobei sie mit weitverbreiteten Fehlannahmen über Hochbegabungen aufräumte. Nicht nur ihr Vortrag, sondern auch die Vorträge der Stipendiat*innen lösten lebhafte Diskussionen aus. Dabei trafen mitunter kontroverse Standpunkte aufeinander, doch die Debatte war stets von gegenseitigem Respekt, ja: von Freundschaft geprägt. "Ich habe mich selten in einer Gruppe so wohlgefühlt!", brachte es eine der Stipendiatinnen später auf den Punkt.
Die Zukunft des Humanismus
Am Freitagabend stießen 20 weitere junge Humanistinnen und Humanisten zu den Suttner-Stipendiat*innen hinzu, um sich im Rahmen des "gbs-Sommerforums" Gedanken über die "Zukunft des Humanismus" zu machen. Tobias Wolfram, Laura Wartschinski und Konstantin Haubner von der Bundesarbeitsgemeinschaft humanistischer Studierender (BAG) hatten hierzu ein Open-Space-Konzept vorbereitet, das es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ermöglichte, eigene Ideen einzubringen und konkrete Projekte zur Verbesserung der Wissenschaftskommunikation sowie zur Verbreitung evolutionärer und humanistischer Sichtweisen in der Bevölkerung zu entwickeln. Dass solche Projektideen tatsächlich umgesetzt werden können, verdeutlichten Tobias Wolfram, Florian Chefai und Nicolai Sprekels an den Ergebnissen des gbs-Sommerforums 2019, aus dem unter anderem das Hans-Albert-Institut hervorgegangen ist.
Zusätzlich zu den Open-Space-Workshops fanden nach dem Abendessen "Kamingespräche" statt. Am Freitagabend erläuterte Michael Schmidt-Salomon (gbs-Vorstandssprecher und Autor u.a. der Bücher "Hoffnung Mensch", "Die Grenzen der Toleranz" und "Jenseits von Gut und Böse") im Gespräch mit Florian Chefai (Hans-Albert-Institut), über welche Umwege er selbst zu einem "konsistenten Weltbild" gefunden hat und wie aus einem akademischen Vortrag über die Philosophie des evolutionären Humanismus eine Stiftung mit rund 12.000 Fördermitgliedern wurde. Am Samstag stellte der Philosoph Franz Josef Wetz (Direktoriumsmitglied des Hans-Albert-Instituts und Autor u.a. von "Baustelle Körper", "Rebellion der Selbstachtung" und "Tot ohne Gott") im Gespräch mit Konstantin Haubner (Bundesarbeitsgemeinschaft humanistischer Studierender) heraus, warum gerade Naturalistinnen und Naturalisten das Staunen über den Kosmos kultivieren sollten. Denn obwohl wir das Geschehen im Universum immer besser verstehen, ist es keineswegs selbstverständlich, dass dieses Universum überhaupt existiert – und nicht vielmehr nichts.
"Die Atmosphäre war fantastisch"
Bei gutem Essen und gutem Wein gingen die Gespräche bis tief in die Nacht. Dennoch trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am nächsten Morgen wieder pünktlich im Stiftungshaus ein, um über die Zukunft des Humanismus zu diskutieren. Die damit einhergehenden Schlafdefizite taten der guten Stimmung keinen Abbruch. "Ich habe noch nie so viele interessante und nette Menschen auf einen Schlag getroffen", sagte einer der Suttner-Stipendiaten bei der Abschlussrunde am Sonntagmorgen. "Die Atmosphäre hier war einfach fantastisch. Das hat meine Erwartungen weit übertroffen!"