Atheismus als Asylgrund

Hussain darf bleiben

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Das Verwaltungsgericht Münster entschied im Asylverfahren von Hussain P.
Verwaltungsgericht Münster

Als atheistischer Blogger muss Hussain P. in Pakistan um sein Leben fürchten. Trotzdem lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag ab. Zu Unrecht. Dies entschied nun das Verwaltungsgericht Münster.

Hussain P. * ist der Sohn eines Imams. Als Teenager begann er jedoch, seinen Glauben intensiv zu hinterfragen und wurde so zum Atheisten. In den Sozialen Medien tauschte er sich mit anderen über seinen Weg aus und begann, über Atheismus zu bloggen. In Pakistan kein ungefährliches Unterfangen. Nicht allein das öffentliche Werben für den Atheismus, sondern bereits der persönliche Abfall vom Glauben ist in dem immer stärker von einem strengen Islam geprägten Land lebensgefährlich. Blasphemie steht dort unter Todesstrafe – und schon der Zweifel an der Existenz Gottes kann dort als Blasphemie gewertet werden.

Aber nicht nur von staatlicher Seite droht einem säkularen Blogger in Pakistan Gefahr, sondern auch durch die immer weiter erstarkenden fundamentalistischen Kräfte im Land – umso mehr als laut Koran der Abfall vom Islam mit dem Tode zu bestrafen ist und jeder Muslim dazu berechtigt ist, diesen Akt der Bestrafung durchzuführen.

Als sich 2015 die Situation in Pakistan verschärfte, weil die Regierung verstärkt das Internet und die Sozialen Medien ins Visier nahm, um dort stattfindende Verstöße gegen das Blasphemie-Gesetz des Landes zu ahnden, floh Hussain nach Deutschland und beantragte dort Asyl. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte seinen Asylantrag ab.

Dass die Ablehnung des Asylantrags von Hussain P. durch das BAMF zu Unrecht geschah, entschied nun das Verwaltungsgericht Münster, vor dem Hussain geklagt und das am 26. Juli seinen Fall verhandelt hatte. Das Gericht erkannte Hussains Atheismus bzw. die daraus resultierende Verfolgung in seinem Heimatland als Asylgrund an:

"Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er (unter anderem) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe den Schutz seines Herkunftslandes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Gemäß § 3a Abs. 1 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung, die entweder aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft umfasst, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Diesen Vorschriften kann entnommen werden, dass nicht jeder Eingriff in die Religionsfreiheit eine Verfolgung darstellt; vielmehr muss eine schwerwiegende Verletzung dieser Freiheit vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. (…)

Ob ein Betroffener die Gefahr durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen vermeiden könnte, ist grundsätzlich irrelevant. Ist vernünftigerweise anzunehmen, dass sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Heimatland in einer Art und Weise religiös betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen wird, ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Vgl. hierzu im Einzelnen EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – C-71/11 und C-99/11 – zur Richtlinie 2004/83/EG, die Grundlage der o.g. Vorschriften des AsylG war.

In diesem Zusammenhang ist wesentlich, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris.

Da sowohl § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch der dieser nationalen Regelung zugrunde liegende Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie – QRL) eine Unterscheidung zwischen theistischer und atheistischer Glaubensüberzeugung gerade nicht treffen, gilt der soeben dargestellte Schutz, die Glaubensüberzeugung auch in die Öffentlichkeit zu tragen, werbend zu verbreiten und nach der eigenen Glaubensvorstellung zu leben und zu handeln, für Atheisten im gleichen Maße wie für religiöse Personen.

Vgl. VG Chemnitz, Urteil vom 26. April 2017 – 6 K 921/16.A –, juris.

Nach den vorstehenden Grundsätzen ist es beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger Verfolgungshandlungen drohen, die an seine religiöse Einstellung anknüpfen."

(Verwaltungsgericht Münster, Aktenzeichen 7 K 5896/16.A)

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der regulären Anerkennung von Atheismus als Asylgrund. Und damit auch ein wichtiger Beitrag zur öffentlichen Wahrnehmung der Tatsache, dass Atheisten in vielen Ländern der Welt Opfer von Verfolgung sind.

In Asylverfahren wird Atheismus vergleichsweise selten als Asylgrund angegeben. Laut Michael Labrenz, Pressesprecher des Verwaltungsgerichts Münster, spielt in den am VG Münster verhandelten Verfahren zwar oft die Religion eine Rolle und auch die Abkehr vom Islam. Allerdings wird in den mit Abstand meisten Fällen der Übertritt vom Islam zum Christentum als Asylgrund genannt.  

(* Name von der Redaktion geändert.)