Kommentar

Hype um Maria 2.0

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Maria mit zugeklebtem Mund – das Emblem der Initiative "Maria 2.0"

Einigen Frauen in der katholischen Kirche reicht es. Sie fordern offen einen anderen Umgang mit dem Thema Missbrauch sowie die Priesterweihe für Frauen. Die Medien stürzen sich auf diese katholische Graswurzel-Bewegung. Doch der Hype um Maria 2.0 ist ebenso hoffnungslos übertrieben wie die Aussichten der Initiative, die katholische Kirche tatsächlich zu ändern.

Alles begann mit einem Bibelkreis in der katholischen Gemeinde Heilig Kreuz im westfälischen Münster Anfang 2019. Die eigentlich kirchennahen Katholikinnen des Lesekreises stellten fest, dass ihnen in ihrer Kirche derzeit doch einiges gegen den Strich geht. Vor allem der katastrophale Umgang mit dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in den eigenen Reihen schockierte sie. Sie beschlossen zu handeln und riefen die Aktion "Maria 2.0" ins Leben, die die Katholikinnen in Deutschland in dieser Woche zum Kirchenstreik aufruft. Die Idee dahinter: Eine Woche lang sollen Frauen keine Kirche mehr betreten und auch keine ehrenamtliche Tätigkeit in den Gemeinden mehr verrichten, um ein Zeichen zu setzen und die männliche katholische Hierarchie erkennen zu lassen, wie wichtig Frauen für die katholische Kirche sind.

Maria 2.0 versteht sich nicht als Gruppe einer bestimmten Gemeinde, sondern als "freie Initiative von Frauen" und hat in den wenigen Monaten ihres Bestehens Anhängerinnen in ganz Deutschland gefunden. Die Forderungen der Initiative sind in einem Offenen Brief nachzulesen, der von ihren Initiatorinnen an Papst Franziskus, den "Heiligen Vater", gerichtet wurde:

Kein Amt mehr für diejenigen, die andere geschändet haben an Leib und Seele oder diese Taten geduldet oder vertuscht haben.

Die selbstverständliche Überstellung der Täter an weltliche Gerichte und uneingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden.

Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche.
Aufhebung des Pflichtzölibats.

Kirchliche Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausrichten.

Hintergrund der Forderungen der katholischen Aktivistinnen ist, dass ihrer Meinung nach die aktuellen "männerbündischen Machtstrukturen" der Kirche den Missbrauch und seine Vertuschung begünstigen und deshalb Frauen nicht länger von grundsätzlichen Entscheidungen und Kontrollmöglichkeiten in der Kirche ausgeschlossen werden dürften. Von "männerbündischen Machtstrukturen" spricht die Initiative freilich nicht in ihrem Brief an den "Heiligen Vater", sondern lediglich auf ihrer Webseite.

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Streikende Katholikinnen mit stilisiertem Porträt einer Frau mit zugeklebtem Mund – dem Symbolbild der Initiative Maria 2.0. (© Daniela Wakonigg)

Nun ist eine solche Bewegung, die versucht, die verkrusteten und frauenfeindlichen Strukturen der katholischen Kirche von innen aufzubrechen, gewiss eine tolle Sache. Nur: Die Aktion wird nichts, aber auch wirklich gar nichts bringen. Warum? Nun, weil die Männerbünde in der katholischen Kirche eine Woche mit ungeputzten Sakristeien, ausgefallenen Kinder-Bibel-Bastel-Kreisen, nicht geschmückten Altaren und noch leereren Kirchenbänken als sonst bereits üblich, locker überstehen werden. Auch scheint einigen streikenden Katholikinnen der Sinn und Zweck eines Streiks nicht so ganz klar zu sein. In Münsters Pfarr-Bücherei Liebfrauen-Überwasser jedenfalls haben die streikenden ehrenamtlichen Frauen dafür gesorgt, dass die ehrenamtlichen männlichen Mitarbeiter der Bücherei nun ihre Dienste übernehmen, weil man ja schließlich nicht die Menschen bestrafen wolle.

Liebe Katholikinnen, so ein Streik tut niemandem weh und er bringt die katholischen Männerbünde garantiert nicht zum Nachdenken. Warum kein unbefristeter Streik? Das wäre das Mindeste, um bei den seit Jahrhunderten verhärteten Strukturen der katholischen Kirche wenigstens einen kleinen Schmerzreflex auszulösen. Zumal Ihr Ehrenamtlerinnen die einzigen seid, die in der katholischen Kirche streiken dürfen. Alle Frauen mit Arbeitsvertrag bei der Kirche und Untenehmen in kirchlicher Trägerschaft dürfen dies nicht, weil für sie das kirchliche Arbeitsrecht gilt, das ein probates Mittel ist, jede Form von Aufruhr bereits im Keim tatkräftig zu ersticken.

Doch das ist nicht der einzige Grund, warum Maria 2.0 im Sande verlaufen wird. Liebe katholische Frauen, ich kenne die Kirche, an der der ihr so sehr hängt, recht genau. Ich war selbst Mitglied, ja ich habe sogar katholische Theologie studiert. Ich habe während dieser Zeit viele Menschen kennengelernt, die an ihrer Kirche litten, aber einfach nicht von ihr loslassen konnten und wollten. Ich habe Bewegungen wie "Kirche von unten" kennengelernt und viele Menschen, die glaubten, die katholische Kirche von der Basis aus reformieren zu können. Keinem von ihnen ist es gelungen. Und das wird bei Euch nicht anders sein. Wenn Ihr eine andere Form von Christentum leben wollt, als es die katholische Kirche praktiziert, solltet Ihr besser Eure eigene Kirche aufmachen. So wie es viele andere Abspaltungen von der katholischen Kirche vor Euch getan haben, nachdem sie sich an den verkrusteten Strukturen vergeblich die Zähne ausgebissen hatten.

Dass die katholische Kirche ihre Graswurzel-Bewegungen entweder durch Ignoranz oder durch vertröstende Gespräche ausbluten lässt und es Maria 2.0 aller Voraussicht nach nicht anders gehen wird, sollte allgemein bekannt sein. Auch dass Forderungen nach der Priester-Weihe für Frauen und die Abschaffung des Zölibats aus Reihen katholischer Laien schon seit Jahrzehnten zu hören sind, ist keine Neuigkeit. Trotzdem wird "Maria 2.0" von den Medien derzeit hochgejubelt, als hätten die beteiligten Frauen den Heiligen Gral des Katholizismus entdeckt. Durch die massive Berichterstattung wird die Initiative größer und einflussreicher dargestellt als sie ist. Das gilt nicht nur für die Initiative insgesamt, sondern mitunter auch für einzelne ihrer Veranstaltungen.

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Das Kamerateam des ZDF lauert für Statements auf Besucher des Dom-Gottesdienstes, während im Hintergrund Maria 2.0 ihren Gottesdienst feiert. (© Daniela Wakonigg)

Am Samstag hatten die Initiatorinnen von Maria 2.0 in Münster die Streikwoche eingeläutet. Am Sonntag setzten sie auf dem Domplatz von Münster ein entsprechendes Zeichen. Während im Dom die Sonntagsmesse stattfand – besucht von Männern und Frauen, denn die meisten Katholikinnen nehmen an dem Streik nicht teil – fand auf dem Domplatz eine Mahnwache mit Gottesdienst – geleitet von den streikenden Frauen – statt. Mehrere Kamerateams waren anwesend, darunter WDR und ZDF, aber auch viele Pressevertreter von lokalen und überregionalen Medien. 

Nach Angabe der katholikenfreundlichen Lokalzeitung Westfälische Nachrichten hatten sich am Sonntag auf dem Domplatz rund 800 Frauen und Männer zum alternativen Maria 2.0-Gottesdienst versammelt. In den lokalen Radionachrichten des WDR waren es lediglich 500 und nach meinen Schätzungen eher 300 Personen, die sich am Sonntag rund um eine große, mit weißen Bettlaken ausgelegte Fläche auf dem Domplatz versammelt hatten. Egal wie viele es nun tatsächlich waren, ein Foto des gesamten Domplatzes während des alternativen Gottesdienstes zeigt, wie verschwindend gering die Zahl der streikenden Katholikinnen (und einiger solidarischer männlicher Katholiken) letztlich ist. Bedenkt man ferner, dass der Anteil von Angehörigen der römisch-katholischen Kirche an der Gesamtbevölkerung Deutschlands nur noch rund 28 Prozent beträgt (2017), muss die Frage erlaubt sein, ob dieser Medienrummel um eine innerkirchliche Angelegenheit tatsächlich angemessen ist. Zumal selbst offizielle Kirchenmitglieder oft lediglich Taufscheinchristen sind, bei denen keine Bindung mehr an die Institution Kirche vorhanden ist.

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Der alternative Gottesdienst von Maria 2.0 auf dem Domplatz hat eine überschaubare Zahl von TeilnehmerInnen. (© Daniela Wakonigg)

Übrigens: Am selben Tag, als die Initiative Maria 2.0 ihre Streikwoche startete, war in Münster die Säkulare Buskampagne 2019 zu Gast, die im Namen der 37 Prozent Konfessionsfreien in Deutschland (2017) fordert, endlich die verfassungsrechtlich festgeschriebene Trennung von Staat und Kirche konsequent umzusetzen. Bei der Münsteraner Bevölkerung, deren konfessionsfreier Anteil in der offiziellen Statistik der Stadt Münster übrigens nicht mal Erwähnung findet, obwohl er bei 20 bis 25 Prozent liegt, stieß die Kampagne auf reges Interesse und großen Zuspruch. Über die Buskampagne in Münster berichteten jedoch weder private noch öffentlich-rechtliche lokale Medien. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.