Influencerin wegen "Obszönität" in der Türkei vor Gericht

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Im Sexmuseum Amsterdam machte die Influencerin Merve Taskin Fotos.
Sexmuseum Amsterdam

Wie das gesellschaftliche Zusammenleben aussehen soll, ist nicht in Stein gemeißelt, sondern einem beständigen Wandel ausgesetzt. Dass es aber noch immer Regionen auf dem Globus gibt, in denen religiöse Menschen anderen mit härtesten Mitteln eine rigide Lebensform aufzwängen, ist kein zukunftsweisender Weg und kann heutzutage nicht mehr einfach so hingenommen werden. Das Beispiel der türkischen Influencerin Merve Taskin, die Bilder von sich aus einem Sexmuseum in Amsterdam online stellte und deshalb angeklagt wird, veranschaulicht das sehr eindrücklich.

Es gibt viele berechtigte Gründe für einen Staat, auch in das Privatleben von Menschen einzugreifen. Wer etwa innerorts mit 120 Kilometern pro Stunde fahren möchte oder aber der Ansicht ist, es sei zulässig, aus fremden Häusern Gegenstände zu stehlen, muss damit rechnen, dass sich die Behörden mit diesen Taten beschäftigen und sie entsprechend juristisch verfolgen. Allerdings gibt es auch Länder, die völlig harmloses und alltägliches Verhalten sanktionieren. In der Türkei kam es vor einigen Wochen zu einem besonders absurden Fall: Eine Influencerin muss sich wegen auf der Social-Media-Plattform Instagram geposteten Fotos ab heute vor Gericht verantworten. Zuvor wurde sie zwei Mal festgenommen und verhört. Der Vorwurf: Obszönität. Dabei hatte sie nur Bilder gezeigt, auf denen etwas nackte Haut, Sexspielzeug oder Scherzartikel zu sehen waren.

Gemäß Artikel 226 des türkischen Strafgesetzbuches ist die Verbreitung von obszönem Bild-, Audio- oder Videomaterial verboten. Bei einer Verurteilung drohen bis zu zwei Jahre Haft. Verschärft geahndet wird derlei, seitdem 2020 ein neues Gesetz in der Türkei in Kraft trat, welches die freie Meinungsäußerung im Netz massiv einschränkt. Damit setzt Ankara den Kurs fort, die Medien des Landes unter die Kontrolle der Regierung zu bringen. Expert:innen für Cyberrecht und Menschenrechtsorganisationen wie etwa Human Rights Watch kritisieren dieses Vorgehen scharf und umschreiben es als Einschränkung demokratischer Grundrechte, das einzig dem Zweck dient, die staatlich angeordnete Zensur voranzutreiben.

Gesellschaftliche Konsequenzen

Nun kann in einer liberalen Gesellschaft im Prinzip jeder ganz individuell tun und lassen, was er:sie möchte. Nur dann, wenn durch das Verhalten einzelner Personen das Leben anderer unverhältnismäßig stark beeinflusst wird, kann ein Rechtsstaat eingreifen, bestimmte Rahmenbedingungen setzen und gegebenenfalls Sanktionen anordnen. Das ist eines der Grundprinzipien moderner Gesellschaften. Wie genau eine solche Beeinflussung aussieht, handelt die Gesellschaft immer wieder von Neuem aus. Dass in einigen, meist sehr religiösen Staaten bereits in das Privatleben eingegriffen wird, wenn lediglich freizügige Bilder gepostet werden, ist nach heutigen ethischen Maßstäben eindeutig autoritär und reaktionär – sowie im Falle der Türkei auch Ausdruck eines fortschreitenden Umbaus der Justiz. Tatsächlich ist die Gewaltenteilung laut EU-Kommission unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan mittlerweile aufgehoben, mit fatalen Folgen für die Opposition, Journalist:innen und eben auch für das Privatleben der Bürger:innen.

Dabei sollte eigentlich Konsens darüber bestehen, dass jede:r für sich selbst entscheiden kann, (keine) Bilder mit Sexspielzeug in die Sozialen Netzwerke zu posten. Auch ist es legitim, sehr konservativ und äußerst rigide zu sein und ein solches Verhalten für nicht angebracht zu halten. Was allerdings im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich sein sollte, ist, dass Menschen mit solchen Einstellungen anderen ohne stichhaltige Begründung vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Religiöse Menschen, die sich als vermeintliche Sittenwächter:innen aufspielen, tragen nämlich nicht nur dazu bei, dass Menschen in manchen Staaten für ein offenes und selbstbestimmtes Leben gerichtlich verurteilt werden, sondern selbst in den liberaleren Gegenden noch immer Stigmata aufrechterhalten werden, die dazu führen, dass sich die queere Community eingeschüchtert fühlt und letztlich auch dadurch diskriminiert wird.

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