BERLIN/FRANKFURT/M. (hpd) Raif Badawi und Ensaf Haidar erhielten am vergangen Samstag den Deschner-Preis der Giordano Bruno Stiftung (GBS). In einem feierlichen Festakt überreichten GBS-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon und Laudator Hamed Abdel-Samad den Preis an Ensaf Haidar in der Deutschen Nationalbibliothek.
"Säkularismus ist die Lösung" - das Graffiti, das Raif Badawi in seinem Buch "1000 Peitschenhiebe - Weil ich sage, was ich denke" erwähnt, heißt ein neues Video von Ricarda Hinz. Das Video, das den Festakt einleitete, erklärt, weshalb sich die Giordano Bruno Stiftung dazu entschloss, Raif Badawi und Ensaf Haidar mit dem Deschner-Preis des Jahres 2016 auszuzeichnen.
"Mit der Preisvergabe ehrt die Giordano-Bruno-Stiftung Raif Badawi und Ensaf Haidar für ihren gemeinsamen, mutigen und aufopferungsvollen Einsatz für Säkularismus, Liberalismus und Menschenrechte, der weit über Saudi-Arabien hinaus Bedeutung hat", erklärte Michael Schmidt-Salomon. In seiner Begründung der Preisverleihung an das Ehepaar wies er darauf hin, dass die Welt tapferen Menschen wie Badawi und Haidar zu verdanken habe, dass in einigen Teilen der Erde Meinungs- und andere Freiheiten als Normalität gelebt werden können.
Deshalb sei es auch weiterhin bitter notwendig, dass sich freiheitsliebende Menschen weiterhin für Raif Badawi einsetzen, der wegen seiner Meinungsäußerung zu zu 1000 Stockschlägen und zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Inzwischen spricht kaum noch jemand über den saudischen Blogger, der in Einzelhaft sitzt und auf die weitere Vollstreckung des Urteils wartet. Das Thema hat längst die Medien verlassen und ohne Scham verkaufen Deutschland und andere Staaten dem Königreich wieder Waffen und nehmen das Öl der Saudis. Zwar hat der Deutsche Bundestag Ende Januar die unverzügliche Freilassung von Raif Badawi gefordert, sich aber mehrheitlich nicht dazu entschließen können, stärkeren Druck auf Saudi-Arabien auszuüben.
Mit dem Deschner-Preis 2016 soll der Fokus wieder auf die permanenten Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien gelenkt werden. Zudem will die Giordano Bruno Stiftung mit der Auszeichnung auch das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass "Säkularismus" tatsächlich "die Lösung ist", um die drängenden Probleme in der Welt zu lösen. "Würde die Formel 'Säkularismus ist die Lösung' politisch ernstgenommen, ließen sich sowohl die Konflikte in den arabischen Staaten entschärfen als auch ein Teil der Probleme, die sich hierzulande durch den Zuzug von Flüchtlingen ergeben".
Die Auslandskorrespondentin und Fachfrau für den Nahen und Mittleren Osten, Andrea C. Hoffmann, schrieb gemeinsam mit der Ehefrau Raif Badawis, Ensaf Haidar, das Buch "Freiheit für Raif Badawi, Liebe meines Lebens", das Ende letzten Jahres erschien. Aus diesem Buch las sie drei kurze Abschnitte, die einen Einblick in das Leben und Denken des Paares zeigen. Häufig wird bei Menschen, die sich für die Freiheit einsetzen und engagieren, vergessen, dass sie ein "ganz normales" Leben führten, ehe sie mehr oder weniger freiwillig "berühmt" wurden.
Das zeigte dann auch deutlich das emotionale Video von Amnesty International: "Doudi schreibt an seinen Vater Raif". Die etwas mehr als 300 Gäste des Festaktes wurden davon tief berührt.
Auch Hamed Abdel-Samad, der anschließend die Laudatio auf die beiden Preisträger hielt, brauchte einen Moment, um das Gesehene zu verarbeiten. Der noch immer nur mit Personenschutz auftretende GBS-Beirat hielt ein flammendes Plädoyer für die Freiheit und deren Verteidigung. Seine frei gehaltene Rede wurde durch häufigen Beifall unterbrochen. Abdel-Samad machte deutlich, dass viele Menschen – Politiker ebenso wie "einfache Menschen" – im Westen die hier erkämpfte Freiheit nicht mehr zu schätzen wissen. Man nehme als gegeben an, was in anderen Teilen der Welt tagtäglich neu erkämpft werden muss.
Das Schicksal der beiden Preisträger ist in diesem Land und in diesem Teil der Welt kein Einzelfall. Hamed Abdel-Samad benannte andere Opfer dieser Unterdrückung: Namen, die vermutlich bisher nur die allerwenigsten im Saal gehört hatten; Namen, hinter denen das gleiche oder gar ein schrecklicheres Schicksal wie hinter Raif Badawi stehen. Menschen, die wegen eines Gedichts zum Tode verurteilt wurden. In Saudi-Arabien ebenso wie in Ägypten. Allein im saudischen Königreich gibt es mehr als 40.000 Menschen, die als "politische Gefangene" inhaftiert sind, weil sie eine eigene Meinung öffentlich machten.
Es ist vor allem dem Mut und der Kraft Ensaf Haidars zu verdanken, dass der Name ihres Mannes, Raif Badawi, international bekannt wurde. Viele andere Betroffene sind zu eingeschüchtert, um sich für sich und ihre (verurteilten und inhaftierten) Angehörigen einzusetzen. Deshalb wäre es so wichtig, dass der Preis beiden verliehen werde.
Abdel-Samad nannte westliche Politiker feige, die gegenüber der Ideologie der Wahabiten einknicken und die die europäischen Werte der Aufklärung aufs Spiel setzen würden im Tausch gegen billiges Öl. Es gäbe einen deutschen Politiker, der von Raif Badawi tatsächlich erwarten würde, dass dieser sich "entschuldigen" möge und kleinbeigeben, damit die Geschäfte nicht von Diskussionen um Menschenrechte gestört werden. Hamed Abdel-Samad findet es beschämend, dass es kaum jemanden gibt, der die Gefahren, die vom Islamismus ausgehen, laut benennt. Was unter anderem dazu führe, dass Populisten das Thema für sich in Beschlag nehmen und sich als Verteidiger einer Freiheit aufspielen, die sie ebenfalls abzuschaffen drohen.
Ensaf Haidar nahm im Anschluss und unter stehenden Ovationen die Urkunde des mit 10.000 Euro dotierten Deschner-Preises entgegen. In ihrer Dankesrede sprach sie nicht von sich, sondern allein von ihrem Mann. Sie hofft, so sagte sie, dass Raif Badawi auch durch diesen Preis weiterhin den Mut behalten würde und seine aufrechte Haltung bewahren möge. Es gehe nicht um sie, die drei Kinder oder Raif. Es gehe darum, dass die Welt begreifen muss, dass Freiheit ein solch kostbares Gut ist, dass Einzelschicksale dagegen unwichtig werden. Selbst, wenn es das eigene ist.
Mit einem Ausschnitt aus dem Video "Hoffnung Mensch" endete der Festakt in der Nationalbibliothek.
Der hpd konnte mit Ensaf Haidar ein längeres Interview führen, dass in den kommenden Tagen hier veröffentlicht wird.
2 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Juliana und ich hatten das außerordentliche Vergnügen, an der Veranstaltung teilnehmen zu dürfen.
Gegen die vorgestern Stehengebliebenen, gegen die vorgestern stehen bleiben Wollenden und gegen die ins Vorgestern zurückdrängen Wollenden.
Wer nicht spürt - mit jeder Faser seines Körpers spürt -, dass alles Leben auf unserer zerbrechlichen Erde im Mittelpunkt all unseres Strebens stehen sollte - und kein übernatürliches Geistwesen -, der wird kaum zum Gelingen der Welt beitragen können.
Wer um die Endlichkeit aller Existenz - auch der universellen - weiß, wird dafür sorgen, dass die uns verbleibende Zeit sinnvoller genutzt werden kann, als Menschen - wie Raif Badawi und viele andere - für Nichtigkeiten drakonisch und menschenverachtend zu bestrafen.
Umso dankenswerter, dass sich seine tapfere kleine Frau mit einem Riesenherz unermüdlich als Botschafterin der Menschenwürde einsetzt. So zerbrechlich sie wirkt, hat sie doch, wie Hamed richtig anmerkte, mehr Rückgrat, als alle unsere VolksvertreterInnen.
Der Film mit den Kindern der beiden, denen Saudibarbarien den Vater geraubt hat, hat mich ähnlich überwältigt, wie Hamed, der danach mit den Tränen kämpfte. Auch ich hatte diesen Kampf verloren. Seine Laudatio war spontan, ehrlich und emotional, nachdem Michael die Causa Badawi sachlich beleuchtet hatte.
Nicht enden wollende Standing Ovations für Ensaf Haidar folgten bei der Preisübergabe. Wie sagt man da heute? Gänsehaut pur. Nicht, weil irgendein Popsternchen ein Lied geträllert hat, sondern weil mit der Verleihung des Deschner-Preises ein Mann, eine Frau und eine Sache geehrt wurden, die zum Umdenken der westlichen Politik führen müsste.
Wer sich mit "Fluchtursachen" beschäftigt, darf damit nicht nur die Lagerbedingungen der Flüchtlinge in der Türkei meinen, sondern die Gründe, warum Menschen mehr und mehr die Schnauze voll haben, in selbstherrlichen Gottesstaaten leben zu wollen, in denen Menschen wie Vieh behandelt werden.
Statt im Dauerstress zu leben, wie wir Flüchtlinge in Europa verteilen können, sollten wir Menschenrechte - Meinungsfreiheit und Demokratie - in diesen Ländern verteilen. Dazu dürfen wir dorthin keine Waffen mehr exportieren, sondern den freien Geist der Aufklärung. Die Achtung der Würde allen Lebens auf der Erde.
Die Frau auf der Bühne war an diesem Tag das leuchtende und doch bescheidene Symbol für die bittere Notwendigkeit, hier schnell zu handeln. In Anbetracht ihres offenen, freundlichen Gesichts sollten sich alle Politiker schämen, die sich wegducken, weil Wirtschaftslobbisten (noch) wichtiger scheinen, als eine grundlegende Befriedung des Nahen und Mittleren Ostens.
Danke an die gbs, Danke vor allem auch an Herbert und Bibi, an Michael, Elke, Hamed, alle Organisatoren und die vielen hundert Gäste, die Gesicht zeigten.
FREE RAIF - and don't forget the others worldwide! Säkularismus ist die Lösung.
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Danke, Bernd Kammermeier, für Ihren Kommentar, der mir Wort für Wort aus dem Herzen spricht.
Hinzugefügt sei noch der, auch im Festakt m.E. zu wenig spürbare, Bezug zum Namensgeber dieses von Herbert Steffen 2004 gestifteten Preises:
Karlheinz Deschners Lebenszeit reichte nur für die Kritik des Christentums, doch im großen Essay "Warum ich Agnostiker bin" wie auch in seiner Aphoristik zielt er auf a l l e institutionalisierten Religionen, voran die monotheistischen mit allein seligmachendem Offenbarungsanspruch, einst und heute idealer Nährboden für die militante Durchsetzung machtpolitischer Interessen: "Aller Monotheismus hat etwas Chauvinistisches."
Wie hätte sich Deschner gefreut über diese Würdigung des mutigen Kampfes von Raif Badawi für Säkularismus und Menschenwürde, ganz im Sinne seiner Überzeugung: "Illusionen müssen sterben, damit Menschen leben können."
(Siehe auch Deschners Auswahl alter und neuer Aphorismen "letzter Hand" bei Lenos, September 2016: "Auf hohlen Köpfen ist gut trommeln")